Digitalisierung: "Den Faktor Mensch mitdenken"
Junge Menschen, die sich nach Cybermobbing das Leben nehmen, Computersucht und Hasspostings in Online-Netzwerken, in denen zu Gewalt aufgerufen wird. Die Digitalisierung verändere nicht nur unsere Arbeitswelt und unser Kommunikationsverhalten, sondern zeige auch negative Auswirkungen auf Menschen und Gesellschaft, sagt die Psychologin Petra Sansone bei der vom Kuratorium Sicheres Österreich (KSÖ) veranstalteten Vortragsreihe "Mensch & IT-Sicherheit in der Digitalisierung" bei einer IKT-Sicherheitskonferenz des Bundesheeres am Mittwoch im Tiroler Alpbach.
"Nur das Gesicht ist neu"
Viele der Phänomene, die heute der Digitalisierung zugeschrieben würden, seien nicht neu, ihre Wirkung werde durch die Technik jedoch verstärkt. Das Cybermobbing sei etwa eine moderne Spielart, Menschen an den Rand zu drängen und von Gruppen auszuschließen. "Es ist nur das Gesicht neu", sagt Sansone. Cyber-Mobbing habe aber massive Auswirkungen. Studien hätten ergeben, dass die Folgen für Jugendliche genauso massiv und traumatisierend seien wie Gewalterfahrungen oder sexueller Missbrauch.
Auch extreme Haltungen, wie sie in Online-Netzwerken vermittelt würden, habe es immer gegeben. "Durch die Vernetzung erscheinen sie aber viel dominanter als sie sind." Filterblasen habe es ebenso bereits lange vor der Digitalisierung gegeben. "Wir produzieren sie selber, weil wir dazu neigen, unsere Meinungen zu bestätigen und in Schubladen zu denken. Das hilft bei der Komplexitätsreduktion", erläutert Sansone. Lösungen für diese Probleme seien deshalb auch weniger bei der Technik, sondern beim Menschen zu suchen, empfahl die Psychologin. Der Faktor Mensch müsse bei technischen Entwicklungen mitgedacht werden.
Reiz-Reaktions-Automatismen
Fehlendes Mitgefühl und emotionale Ansteckung seien etwa wesentliche Gründe für Mobbing und Hasspostings im Netz. Ebenso würden Reiz-Reaktions-Automatismen dazu verleiten, dass Steuerfunktonen im Gehirn ausgeschaltet würden. Wenn aber auf jeden Reiz automatisch reagiert werde, bleibe die freie Willensentscheidung auf der Strecke, warnt Sansone: "Wir landen beim Pawlowschen Hund." Dabei sieht die Psychologin auch eine politische Verantwortung. "Bestimmte Reizwörter werden bewusst gesetzt, um eine gewisse Stimmung zu generieren."
Bei Hasskommentaren in Online-Netzwerken würden wesentliche soziale Mechanismen wegfallen, die das menschliche Miteinander regeln. Die Kränkung des Gegenübers, die auch auch im persönlichen Umgang ständig passiere, könne in Online-Netzwerken nicht wahrgenommen werden. Bei einer persönlichen Begegnung sehe man an der Reaktion des Gegenübers, dass etwas verkehrt gelaufen sei. "Diese Rückkopplung erlaubt mir Verantwortung zu übernehmen und darauf zu reagieren", sagt Sansone.
"Menschliche Fähigkeiten"
Wie aber kann dem entgegengewirkt werden? "Die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung lässt sich nicht reduzieren. Die Frage ist, was der Mensch braucht, um gut damit umgehen zu können", sagt die Psychologin. Dazu seien soziale und emotionale Grundfertigkeiten notwendig. Diese müssten bereits im frühkindlichen Bereich gefördert und unterstützt werden. Eltern-Kind-Beziehungen hätten darauf ebenso Einfluss wie der Bildungsbereich.
"Wie man Tablets oder Computer bedient, lernt man schnell, wichtig ist es aber soziale Kompetenzen und Reflexionsvermögen im Umgang mit der Technik zu lernen. Es braucht den Fokus auf Kompetenzen und Fähigkeiten, die uns von der Maschine unterscheiden", sagt Sansone zur futurezone.
Nicht Opfer, sondern Nutzer
Der Mensch müsse in der Lage sein, zu entscheiden, ob er auf ein Posting in Online-Netzwerken reagiert und nicht nur deshalb Stellung beziehen, weil er von Reizwörtern dazu verleitet werde, gibt die Psychologin zu bedenken: "Es sollte eine Willensentscheidung sein und nicht reflexartig passieren. Wir sind nicht Opfer der Technik, sondern Nutzer. Dafür braucht man Entscheidungskompetenz."
Dieser Artikel ist im Rahmen einer bezahlten Kooperation zwischen futurezone und dem Kuratorium Sicheres Österreich (KSÖ) entstanden.