„Eine Magnetschwebebahn löst Europas Probleme nicht“
China und Japan wetteifern gerade um die schnellsten Zugverbindungen der Welt. Zwischen Shanghai und Ningbo bzw. Tokyo und Nagoya sollen künftig Maglevs, also Magnetschwebebahnen, mit über 500 km/h dahinbrausen. Siemens Mobility, einer der Big Player im internationalen Bahngeschäft, will bei der Rekordjagd nicht mitmachen. In Wien wurde vor kurzem das Design der neuen Nightjets vorgestellt. Sie verkörpern ganz gut, wohin die Reise des Unternehmens gehen soll, sagt CEO Michael Peter im Gespräch mit der futurezone.
Schlafen statt rasen
"Nachtzüge sind ein Element, um Städte effektiver miteinander zu verbinden. Wenn man über Nacht von Wien nach Berlin fahren möchte, geht es nicht darum, die Maximalgeschwindigkeit auszunutzen, sondern morgens ausgeschlafen anzukommen." Die ÖBB feierten mit ihren Nightjets zuletzt große Erfolge, nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. Die neue Generation der Züge soll laut Peter "genau so sein, wie wir uns Bahnfahren immer vorgestellt haben."
Kapselhotel
Das Wichtigste dabei sei: "Man muss im Zug machen können, was man in anderen Verkehrsmitteln nicht machen kann, etwa spielen, fernsehen, plaudern, Zeitung lesen und schlafen. Unsere Nachtzüge sind als Wohlfühloase designt." Neben Abteilen für zwei Personen mit eigenem Badezimmer wird es künftig Abteile für vier Personen sowie so genannte "Minisuites" geben. Sie sind quasi die rollende Version der berühmten Kapselhotels.
Für die neuen Nightjets wurden laut Peter "Quantensprünge" beim Komfort gemacht. Individuelle Klimaregelung und länderübergreifende WLAN-Versorgung zählen ebenso dazu, wie verbesserte Schalldämmung, mobilfunkdurchlässige Fensterscheiben und Waggonräder auf Drehgestellen, deren Gewicht um 40 Prozent reduziert wurde. Die Passagiere sollen in den Nightjets laut Peter alles vorfinden, "was man sich wünscht, um entspannt einen Urlaub zu beginnen".
"Verkehr wird zurückkommen"
Der Bahnverkehr insgesamt habe durch die Corona-Krise klarerweise einen Rückgang erlitten. Siemens Mobility sei allerdings mit einem großen Auftragsbestand gut durch die Krise gegangen. "Natürlich hatten wir höhere Ziele, aber am wichtigsten ist, dass es uns gelungen ist, keine Produktionsstätten zu schließen und das trotz hoher Ausgaben für Forschung und Entwicklung", sagt Peter. Für den kommenden Sommer erhofft sich der CEO eine Normalisierung. "Der Verkehr wird schnell zurückkommen. Das Bedürfnis, Verwandte zu besuchen oder zu verreisen, haben viele."
Schnell...
Langfristig profitiere das Unternehmen von der Dekarbonisierung des Verkehrs, um den Klimawandel zu bremsen. "Das Ziel der EU ist klar. Bis 2030 soll der Schnellverkehr mit Zügen verdoppelt werden." Neben gemütlichen Nachtzügen seien schnelle Verbindungen zwischen Städten nämlich schon notwendig. "Eine 4 Stunden lange Zugfahrt, um von Wien nach München zu kommen, ist gerade noch konkurrenzfähig mit dem Flugzeug, insbesondere wenn man Anfahrtswege und Abfertigung am Flughafen dazurechnet. Aber wenn man die Strecke mit dem Zug in 2 Stunden schafft, dann würde keiner mehr über einen Flug nachdenken."
Freilich seien für rasche Verbindungen zwischen Städten in ganz Europa auch noch einige Weichenstellungen bei der Infrastruktur notwendig. Das Zugbeeinflussungssystem ETCS müsse etwa flächendeckend zum Einsatz kommen. Auf politischer Seite brauche es verbesserte Zulassungsverfahren für Züge. Dass Zughersteller sich in jedem Staat an spezifische Vorgaben halten müssen, sei ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Verkehrsmitteln. "In diesem Punkt muss die Politik noch genauer hinschauen, wenn das Ziel 2030 erreicht werden soll."
... aber nicht so schnell
Magnetschwebebahnen, wie sie in Fernost errichtet werden, seien unterdessen kein Thema. "Unsere Velaro-Novo-Züge können 360 km/h erreichen. Noch schneller zu fahren, macht keinen Sinn. Wir sind der Meinung, dass ein Maglev die Probleme in Europa nicht löst." Durch die kleinteiligere Struktur seien 500 km/h und mehr im europäischen Bahnnetz unnötig. Dazu kämen Nachteile wie hoher Energieverbrauch und hoher Verschleiß von Zügen und Schienen. "Die meisten Bahnunternehmen wollen nicht mehr als 250 km/h schnell fahren."
Multimodalität und KI
Ein gutes Beispiel, wie der Bahnverkehr in Europa künftig aussehen könnte, sei die Schweiz. Im Zugfahrerland Nummer eins seien die Züge in ihrem Takt genau so abgestimmt, dass man bei Ankunft an einem Bahnhof stets sofort umsteigen könne. Die Multimodalität, also das Verknüpfen mehrerer Verkehrsmittel, sei Siemens ein großes Anliegen. Dafür notwendig sei möglichst umfassende Digitalisierung.
"In Summe geht es immer um das Gleiche, nämlich möglichst sauber, nachhaltig und CO2-neutral zu fahren", meint Peter. "Egal, wo Sie hinschauen, wenn man künstliche Intelligenz einsetzt, schafft man an allen Ecken rund 30 Prozent Effizienzverbesserung." Zur Digitalisierung zählen auch Dinge wie die Steuerung von Bahnnetzen über die Cloud. In Europa werden solche Innovationen am ehesten eingeführt.
Neubau in Ägypten
Die Expertise am "größten und komplexesten Bahnmarkt" zahle sich für Siemens Mobility aus. Erst vor Kurzem hat das Unternehmen eine Absichtserklärung unterzeichnet, ein Bahnnetz in Ägypten aufzubauen. Dabei soll eine Verbindung zwischen den großen Mittelmeerhäfen des Landes und dem roten Meer geschaffen werden. Das Bahnnetz soll sowohl dem Güter- als auch dem Personenverkehr dienen. Siemens Mobility soll das gesamte Netz aufbauen und Züge liefern.
Peter: "Wir wollen damit zeigen, dass man auf die Art den effektivsten Bahnverkehr zu den niedrigsten Preisen erhält. Jeder unserer Züge soll etwa mit KI kommen. Wenn eine Zugtür anfängt zu klemmen, merken wir das, und zwar bevor sie stecken bleibt. Präventive Wartung führt zu niedrigeren Kosten und weniger Ausfällen. In Ägypten können wir das hervorragend realisieren."