Freude an Mechanik
Es dreht sich, es wirbelt, es fällt. Es ist Eleganz und analoge Mechanik. Und es sind die Urahnen der Roboter. Versammelt sind sie in einem Blog – kuriose Maschinen, Kugelbahnen und kinetische Kunst, und nicht nur irgendein Blog, sondern DAS Blog, wenn man sich für derlei begeistern lässt: das Kugelbahn-Blog von Falk Keuten.
Seit September 2008 haben sich rund 3000 Postings versammelt, die einen tiefgehenden und immer aktuellen Einblick in das weit gefasste Thema geben. Für manche mechanophilen Menschen gehört das Blog zum morgendlichen Frühstücksritual. Eine Künstlerin aus New York möchte es sogar auf der Weltkulturerbeliste sehen. Beheimatet ist das Kugelbahn-Blog auf der Website kugelbahn.ch des Schweizer Kinetikkünstlers Hanns-Martin Wagner.
Interessante Ablaufeffekte
Keuten hat zunächst mit Kugelbahnen begonnen. Als Techniklehrer hatte er schon sehr früh Projekte zu diesem Thema initiiert, bei denen es auch um die spielerische Entdeckung und Erfindung von interessanten Ablaufeffekten ging. In den Neunzigerjahren stieß er auf die florierende Szene der Kugelbahnkünstler in den USA und auf einzelne desgleichen ausgerichtete Künstler in Europa. „Das Interesse an der Mechanik war bei mir aber immer schon vorhanden, vom einfachen Spielzeug bis zur kinetischen Kunst.“
Es ist Spielzeug für Erwachsene, zum Teil jedenfalls. zum Beispiel die Automata. Das sind figürliche mechanische Skulpturen, die meist mit Handkurbel angetrieben werden und eine Art kurzes mechanisches Theater ablaufen lassen. Die Wunder der Mechanik in einem digitalen Blog – ist das nicht ein Widerspruch? Das digitale Medium kann alles aus der realen Welt abbilden, auch und gerade mit der Dimension der Bewegung. Falk Keuten sieht darin eine Bereicherung.
Rube-Goldberg-Maschinen
In den USA heißen diese Parcours, bei denen es kippt und rollt und am Ende passiert etwas ganz Banales, nach dem 1970 verstorbenen Cartoonisten Rube-Goldberg-Maschinen. Hierzulande hatten sie jahrzehntelang keinen Namen, weil es keine solchen skurrilen Mechanik-Illustratoren gab. Goldberg in den USA und Heath Robinson in England sind seit den Dreißigerjahren populär. Ein großartiges Beispiel eines solchen real umhesetzten Klapparatismus ist die Kettenreaktion Der Lauf der Dinge des Schweizer Kümstlerduos Fischli/Weiss von 1987.
Das, was Mechanik-Enthusiasten da oft mit ungeheurem Aufwand anfertigen, ist so etwas wie die Befreiung des Uhrmachergeistes aus der Zweckmäßigkeit. Man produziert mit einer Maschine Erkenntnis, wenn man die Mechanik offenliegend verfolgen kann und dabei die Prozesse verstehen lernt.
Kunstvolles Herumkugeln
Falk Keutens Lieblingsobjekt ist die Kugelbahn Markrokosmos von Mark Bischof aus Amsterdam. Sie ist in jeder Hinsicht ein Opus Magnum. Auch in dem preisgekrönten Kurzfilm Kinetik von Jan Wouter van Reijen ist die Schönheit des Designs zu sehen, handwerkliche Perfektion mit immer sehr edlem Material, den zauberhaften Bewegungsabläufen und dem Vertikaltransport der Kugeln mit Gewichtsantrieb.
Für diese fingerfertigen Individuen, die Keuten „Automatisten“ nennt, hat das Internet den Wandel vom Geheimtipp zum Mainstream bewirkt. Von den Automata-Künstlern der englischen Szene um das Cabaret Mechanical Theatre in London aus hat sich diese künstlerische und dann auch hobbymäßig betriebene Gattung um die ganze Welt verbreitet.
Goethe und Geräte
„Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter“, schrieb Goethe vor 200 Jahren. Ob seine Befürchtung begründet war, möchte ich von den Blogbetreiber wissen. „Es war ein großer Schritt in der Beschleunigung der technischen Entwicklung. Problematischer sehe ich aber die laufende Revolution im IT-Bereich, die wegen mangelnden Expertenwissens auf politischer Ebene kaum mehr steuerbar ist.“
Falk Keuten, der in Bonn lebt, sieht sich mit dem Bloggen über Kugelbahnen „eher als Aggregator, aber auch als Archivar, jedoch ohne jede Zugriffsordnung.“ Er hat natürlich auch selbst etliche Kugelbahnen und kinetische Objekte entwickelt und gebaut.„Freude an Mechanik“, sagt Falk Keuten, „hat es doch immer gegeben.“