Meinung

Schubsen für das Klima

Na, hält dein Neujahrsvorsatz noch? Rauchstopp, gesund essen, regelmäßig Sport – zum Jahreswechsel manifestiert sich kollektiv das menschliche Bedürfnis, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Und die Bilanz der gescheiterten guten Vorsätze zeigt: Häufig gelingt es nicht. Ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg sind die gegebenen Rahmenbedingungen. So fällt es leichter, in schwachen Momenten auf Süßes zu verzichten, wenn man erst gar nichts zu Naschen greifbar hat. Dasselbe Prinzip gilt für unser Verhalten in Zeiten der Klimakrise. Die Politik muss für Wirtschaft und KonsumentInnen einen Rahmen schaffen, der umweltfreundliche Entscheidungen einfacher macht als umweltschädigende.

Wie wir Entscheidungen treffen

Wo viele Menschen zusammenkommen, summieren sich die Auswirkungen ihres Verhaltens. Aus kleinen Umweltsünden werden große Klimaprobleme. „Wenn sich jeder nur ein wenig zusammenreißen würde“, lautet der individualisierte Appell, den die Politik auch gerne mal als Ausrede für die eigene Mutlosigkeit nimmt. Aber so vernünftig immer ans große Ganze denkend handeln Menschen eben nicht. Rein rational liegt natürlich kein Nutzen darin, mit Pestiziden vergiftete Nahrung zu essen oder verschmutzte Luft zu atmen, aber der Schritt davor ist oft bequem und die Auswirkungen nicht sofort am eigenen Leib spürbar.

Man(n) denkt auch nicht viel nach, wenn er an ein Pissoir tritt, zum Beispiel am Gate vor dem Billigflug in den Wochenendtrip. Wenn sich alle zusammenreißen, sollten sie die Porzellanschale eigentlich gut treffen können, so schwer ist das nicht. Trotzdem haben die Reinigungskräfte immer viel zu tun. Und jetzt das Faszinierende: Der Flughafen Amsterdam hat mal kleine Bilder von Fliegen in die Mitte geklebt, und plötzlich haben alle Typen darauf gezielt. Die Verunreinigung ging um 80 Prozent zurück.

Das nennt die Verhaltensökonomie einen Nudge, einen Schubser. Das wirft die Frage auf: Welche Anstöße würden nicht die Pinkelflecken, sondern Umweltverschmutzung reduzieren?

Kleiner Anstoß – großer Effekt

Dank Entscheidungspsychologie und Verhaltensökonomie kennen wir etliche Grundlagen für menschliches Handeln, wie Gruppenzwang oder Verlustabneigung.

Dieses Wissen ermöglicht es, Alltagssituationen so zu gestalten, dass sie umweltfreundliche Entscheidungen und nachhaltiges Verhalten anstoßen. Nimmt man die Klimakrise und ihre drohenden Auswirkungen ernst, so muss genau das nun erklärtes Ziel von VerantwortungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft sein.

Die Methode der Entscheidungsarchitektur von den Nobelpreisträgern Thaler und Sunstein wird tatsächlich gerade von zahlreichen bei Regierungen angesetzten Behavioral Insight Teams und Nudging Units erprobt. Die geradezu unausweichliche Anwendung im Marketing mag sie vielleicht auch ein wenig in Verruf gebracht haben. Zu Unrecht, liefert sie hinter hippem Berater-Sprech doch ein solides wissenschaftliches Fundament.

Ökologische Entscheidungsarchitektur

Verhaltensökonomie gewinnt zunehmend an Bedeutung als politisches Instrument, ihr Potenzial zur Förderung von umweltfreundlichem Verhalten ist hierzulande aber insbesondere auf kommunaler Ebene weitgehend unausgeschöpft. Dabei könnten gerade Kommunale Politik und Verwaltung durch kluge Entscheidungsarchitektur StadtbewohnerInnen eine nachhaltigere Lebensweise leichter machen. Sie selbst profitieren davon, Akzeptanz für ökologische Maßnahmen zu erhöhen – denn diese werden Gemeinden unausweichlich setzen müssen, um die notwendig radikaleren Zielvorgaben von Klimarahmenverträgen und schärferen europäischen und nationalen Gesetzen zu erreichen.

Entscheidend sind Städte

Nudges können simpel und effektiv Verhaltensänderungen anstoßen. Zum Beispiel durch Vereinfachung, Information, soziale Normen, unmittelbares Feedback zum eigenen Handeln, Standard-Einstellungen (Default) oder durch Erhöhung der Bequemlichkeit und Einfachheit.

Nehmen wir etwas, das für viele Inbegriff von Urban Lifestyle ist: Coffee-to-Go. Jeden Morgen daran denken, einen Mehrweg-Becher einzupacken, im Café befüllen lassen, ihn ausspülen und abends nicht vergessen, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen? Eindeutig mehr Aufwand als Einweg-Pappbecher im nächstgelegenen Mistkübel zu entsorgen. Man könnte nun vortrefflich über die Moral dieser bequemen Einstellung streiten, ohne damit das Problem wachsender Pappbechermüllberge zu lösen. Oder man kann, wie vor einem Jahr erfolgreich in Graz und mittlerweile auch in Wien und Kufstein, den Zugang zu Mehrwegbechern erleichtern. Mit dem Grazer „BackCup“ führte man städtisch subventioniert ein System ein, bei dem Baristas den schnellen Kaffee gegen geringen Pfand in wiederverwendbaren Bechern ausgeben, die bei jedem beliebigen teilnehmenden Lokal bequem zurückgegeben werden können. Den KonsumentInnen wird die Entscheidung für Mehrwegbecher leicht gemacht, die Verwaltung profitiert unmittelbar von der Abfallreduktion.

Selbstverständlich ist à la longue einzufordern, dass auf nationaler und europäischer Ebene das Problem durch gesetzliche Offensiven für die Produktion und Verwendung von Mehrweg statt Einweg gelöst wird. Stadt- und Regionalpolitik kann es sich aber angesichts der Ausmaße der fortschreitenden Globalen Erwärmung nicht leisten, untätig zu warten bis es so weit ist. Das wäre ebenso unverantwortlich wie das bloße Abputzen auf die individuelle Verantwortung der KonsumentInnen.

Mit Tricks das Klima retten?

Größer gedacht – und das muss schließlich das Ziel sein, wollen wir die Kurve in der Klimakrise noch rechtzeitig kriegen – sollte die Standard-Einstellung in der Stadtplanung werden, dass umweltfreundliche Mobilität die Norm ist und man den Straßenraum nicht länger vorrangig für Autos plant. Nationale Regierungen müssen dafür sorgen, dass Bim-, Bus- und Bahnfahren maßgeblich günstiger wird als Autofahren. Auf dem Weg dorthin könnten Gemeinden standardmäßig jede neu gemeldete Person kostenlos mit einem Probeticket für den öffentlichen Verkehr versorgen. Durch Information, wie man vom neuen Zuhause aus wichtige Punkte mit Öffis erreicht, Angabe zur CO2-Einsparung im Vergleich zur Pkw-Nutzung und den Hinweis der sozialen Norm, also dass bereits zahlreiche Menschen in der Stadt den ÖPNV statt Autos nutzen, bündelt man weitere Nudges in einer Maßnahme, die zum Umsteigen anregen soll. Und es gibt noch viel mehr zu tun: Energie, Abfallvermeidung, Wohnbau, Stadtplanung... wo man sucht, findet man Verbesserungspotenzial.

Nichts kann die notwendige radikale Klimawende ersetzen. Verhaltensökonomische Kniffe können bei der politischen Aufgabe unterstützen, Rahmenbedingungen für umweltfreundliche Entscheidungen zu schaffen. Sie können und sollen es den VerantwortungsträgerInnen jedoch nicht abnehmen, schmerzhafte Wahrheiten auszusprechen und ambitionierte Klimaziele mit Entschlossenheit durchzusetzen. Kennen Sie die Anzeigen der lachenden und traurigen Smileys auf der Autobahn, wenn Sie die Geschwindigkeit einhalten oder überschreiten? Das sind wirkungsvolle Schubser – aber ohne Tempolimits, Radarfallen und teure Strafzettel würden sie schnell ignoriert.

Über die Autorin

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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Tina Wirnsberger

Tina Wirnsberger ist Trainerin für nachhaltige Wirtschaft & Politik und Sozialpädagogin. Sie war bis Jänner 2019 Grüne Stadträtin für Umwelt und Frauen in Graz.

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