Das AKW von Tschernobyl ist heute unter einem Strahlenschutz-Sarkopharg versteckt.
Tschernobyl-Pilz könnte faszinierende Fähigkeiten entwickelt haben
In der Sperrzone von Tschernobyl sind die Böden immer noch schwer mit radioaktivem Cäsium-137 belastet. Die Strahlung ist für Menschen enorm gefährlich, doch ein Organismus scheint sich dadurch besonders wohlzufühlen: schwarzer Schimmel.
Erstmals entdeckt hatte ihn 1997 die ukrainische Mikrobiologin Nelli Zhdanova. Nach bald 30 Jahren Forschung ist sein Stoffwechsel noch immer nicht verstanden. Einige seiner Eigenschaften könnten ihn allerdings zum Gamechanger für die Raumfahrt machen, wie die BBC berichtet.
Melanin als Schutzschild
Sogenannte ionisierende Strahlung hat so viel Energie, dass sie chemische Verbindungen aufbrechen und Schäden in Zellen hervorrufen kann. Doch der Schimmel von Tschernobyl scheint einen Schutzmechanismus dagegen gefunden zu haben.
Melanin, dessen Farbe von rotbraun bis schwarz reicht, gibt Menschen unterschiedliche Haut-, Augen- und Haarfarben. Zhdanova bemerkte große Mengen davon in den Zellwänden der Schimmelarten in der radioaktiven Sperrzone. Auch die Frösche in den Teichen um das beschädigte AKW sind wegen Melanin dunkler als ihre Artgenossen in anderen Gegenden.
Die Pigmente funktionieren dabei nicht wie ein klassischer Schutzschild, der gefährliche Stoffe am Eindringen hindert. Stattdessen „schluckt“ die unebene Struktur des Melanins die Strahlung, sodass die Energie nicht abgelenkt, sondern zerstreut wird.
Strahlung scheint Wachstum anzuregen
10 Jahre nach der ersten Entdeckung des schwarzen Schimmels fiel der Nuklearforscherin Ekaterina Dadachova eine weitere Besonderheit auf. Der Pilz schien nicht nur Richtung Strahlungsquelle zu wachsen, sondern durch Strahlung noch besser zu wachsen.
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In einem Direktvergleich in radioaktiver Umgebung stellte sie fest, dass sich Schimmelpilze mit Melanin um 10 Prozent schneller ausbreiten als solche ohne das Pigment. Das deutet darauf hin, dass sich Melanin bei radioaktiver Strahlung ähnlich verhält wie Chlorophyll bei Lichtenergie.
Gibt es Radiosynthese?
Dieser Prozess wurde – analog zur Photosynthese – Radiosynthese genannt. Wie oder warum sie funktioniert, ist allerdings noch unklar, d.h. dieser Stoffwechselprozess ist weiterhin nur Theorie. Außerdem scheinen nicht alle Schimmelarten mit Melanin Richtung Cäsium-137 zu wachsen, wie es in Tschernobyl zu finden ist.
„Die Energie von ionisierender Strahlung ist etwa eine Million mal stärker als die Energie weißen Lichts, das bei der Photosynthese genutzt wird“, sagt Dadachova gegenüber der BBC. „Man braucht also einen ziemlich leistungsstarken Energieumwandler und dazu ist Melanin unserer Meinung nach fähig.“
Schwarzer Schimmel im Weltraum
Strahlenbelastung ist für Menschen, die nach Tschernobyl wollen, ein Problem, vor allem aber für die, die sich länger im Weltall aufhalten: Astronautinnen und Astronauten sind kosmischer Strahlung ohne die Atmosphäre der Erde quasi schutzlos ausgeliefert. Vor allem bei langen Reisen durchs All – etwa zum Mond oder Mars – birgt das enorme Gesundheitsrisiken.
2018 wurde Cladosporium sphaerospermum, eine der in Tschernobyl nachgewiesenen Schimmelarten, zur ISS geschickt. Im Vergleich zur Probe auf der Erde wuchs der Pilz im All 1,21-mal schneller, wie drei Forscher analysierten. Das könnte allerdings auch mit dem Mangel an Schwerkraft zusammenhängen, was derzeit noch weiter untersucht wird.
Strahlenschutz für Raumfahrtzeuge
Das Forschungsteam testete auch das Strahlenschutzpotenzial des Schimmels im Weltraum. Und tatsächlich: die Petrischale, die mit dem Pilz durchzogen war, schirmte mehr kosmische Strahlung ab als die pilzfreie Petrischale.
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Materialien, die auf der Erde zum Strahlenschutz verwendet werden, sind i. d. R. zu schwer, um zum Mond oder Mars transportiert zu werden. Nachdem der Schimmel leicht ist und wenig braucht, um heranzuwachsen, könnte er diese in Zukunft ersetzen. Das ist z.B. bei Raumanzügen oder aufblasbarer Infrastruktur für eine Mond-Basis denkbar.
Schutzbehälter für Landwirtschaft im Weltraum
Dadachova und ihr Team zeigten im Februar in einer Studie, dass Melaninfarbe auf Pilzbasis auch als Schutz für Saatgut eingesetzt werden kann. Reis, Senfkörner und Mungbohnen nahmen weniger oder keinen Schaden durch Strahlung von Cäsium-137, wenn sie in Melanin-beschichteten Petrischalen gelagert wurden.
Diese Erkenntnis ist für Langzeitmissionen im Weltraum und insbesondere mögliche Landwirtschaft auf dem Mond oder Mars sehr wichtig. Denn ohne Strahlenschutz könnte es passieren, dass das Saatgut seine Keimfähigkeit verliert.
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