Bürger wissen nicht, welche E-Government-Angebote es gibt
Wozu soll der Bürger auf das Amt gehen, wenn das Amt zum Bürger kommen kann? Das denken sich immer mehr Österreicher, wie eine repräsentative Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young ergeben hat. Demnach wickeln bereits 31 Prozent aller Österreicher ihre Behördenwege vorrangig online ab. 50 Prozent gehen weiterhin bevorzugt auf das Amt, doch diese Zahl dürfte in Zukunft weiter schrumpfen. Zwei Drittel aller Befragten (66 Prozent) gaben an, dass sie sich vorstellen könnten, Behördenwege in Zukunft ausschließlich online abzuwickeln.
Das größte Hindernis: Die mangelnde Verfügbarkeit an digitalen Behördenwegen. Rund 200 Vorgänge können derzeit online abgewickelt werden, wie beispielsweise die Steuererklärung, der Austritt aus der Kirche oder das Aufsetzen und Unterschreiben einer Petition. Zu wenig, wie die Befragten anmerken. 40 Prozent wünschen sich, dass sie auch Reisepass und Personalausweis online beantragen und verlängern könnten. Dahinter folgen die Themen Wahlen und andere Formen der Bürgerbeteiligung (29 Prozent), Finanzamt (26 Prozent), Auto und Führerschein sowie Gesundheit und Sozialversicherungen (je 25 Prozent).
Bei der Befragung zeigte sich aber auch, dass viele Bürger gar nicht wissen, welche Angebote es gibt. So wünschen sich 78 Prozent der Befragten, dass sie online ihren Wohnsitz an- und abmelden sowie eine Meldebestätigung beantragen könnten. Das ist jedoch bereits seit längerer Zeit online möglich, lediglich für das Anmelden eines neuen Wohnsitzes muss man das lokale Amt aufsuchen. Genauso oft wurde die Namensänderung genannt, die ebenfalls online durchgeführt werden kann. Das offenbart eines der größten Probleme des österreichischen E-Government-Angebots: Zu wenige wissen, was bereits möglich ist. Laut der EY-Studie geben nur 23 Prozent der Österreicher an, sie seien über die verfügbaren Angebote gut informiert.
E-Government-Experte Alexander Burtscher sieht das größte Manko in der fehlenden Einbeziehung der Bürger bei neuen Projekten. „Die Behörden glauben immer, sie wissen schon, was die Bürger brauchen und wundern sich dann, dass die Nutzung gering ist. Ich kann nur empfehlen, bei allen Projekten schon vorher die Bürger einzubinden“, sagt Burtscher, der bereits viele E-Government-Projekte begleitet hat. Wenig hilfreich sei es, wenn online erst recht wieder viele Daten eingegeben werden müssen, die der Behörde eigentlich schon bekannt sein müssten. Wenn die Bürger nicht merkbar von Bürokratie entlastet werden, mache Digitalisierung keinen Sinn.
Damit die Bürger ihre Services nicht erst suchen müssen, brauche es unbedingt ein zentrales Portal, wie das geplante oesterreich.gv.at, das alle verfügbaren digitalen Behördenwege zusammenfasst. Das Portal help.gv.at sei zwar eine gute Info-Seite, aber mehr nicht. Auf Anfrage der futurezone bestätigte ein Sprecher des Digitalministeriums, dass der Prototyp „in seinen Grundzügen fertig“ sei und noch „an der Benutzeroberfläche sowie den dahinterliegenden technischen Spezifikationen gearbeitet wird“. Eine funktionsfähige Version soll spätestens Anfang 2019 präsentiert und „einem eingeschränkten Kreis an Testusern zugänglich sein“. Auf der neuen Plattform will man sich zunächst auf die zehn am häufigsten verwendeten Behördengänge konzentrieren. Dazu zählen unter anderem das Meldewesen, der Zugang zum Pensionskonto und die Verlustmeldung von Ausweisen.
Elektronischer Personalausweis geplant
Vorbild für die neue Plattform ist Großbritannien. Auf der Plattform des Government Digital Service (GDS) gov.uk werden mehr als hundert Dienstleistungen angeboten. Eine eigene Digitalisierungsagentur führt alle Bereiche zusammen. Als nächster Schritt sollte laut Burtscher, wie in Estland, jeder Bürger eine „digitale Identität“ (etwa über Handy-Signatur) erhalten, die als zentraler Schlüssel für sämtliche E-Government-Anwendungen dient. „Davon sind wir in Österreich wegen der föderalen Struktur noch weit entfernt“, so Burtscher.
So müssten immer noch viel zu viele Daten jedes Mal neu eingegeben werden. Das Digitalministerium kündigte aber im Jänner an, dass man die Integration eines elektronischen Personalausweises in die digitalen Amtswege evaluiere. Zudem soll es künftig möglich sein, über ein Log-in alle Dienste zu nutzen. Zum Start wird das die Handy-Signatur sein. „In weiterer Folge wird geprüft, ob es andere und weiterentwickelte Zugangsmöglichkeiten braucht, um den Access regeln“, so Felix Lamezan-Salins, Sprecher des Digitalministeriums, gegenüber der futurezone.
Die EU hob im Zuge einer Studie Österreich als eines von fünf „ausbaufähigen E-Government-Ländern“ hervor, neben Deutschland, Malta, Portugal und Belgien. Damit kritisierte man aber nicht ein mangelndes Angebot, sondern dass der hohe Grad an Digitalisierung von zu wenigen Personen genutzt wird. Auch die Tatsache, dass viele Behördengänge nach wie vor auf „Behördendeutsch“ und komplizierte Formulare setzen sowie nicht über das Smartphone verfügbar sind, wurde kritisiert.
Vorbild Stadt Wien
Das wurde auch im Zuge der EY-Studie bemängelt: 59 Prozent der Befragten sahen schlecht verständliche Angaben als das größte Problem bei Behördengängen an. „Wir setzen auf unseren Webseiten schon länger auf leicht verständliche Sprache“, erklärt Sindre Wimberger von der Stadt Wien. Er arbeitet unter anderem am WienBot, einem Chatbot mit künstlicher Intelligenz. Der Nutzer kann dem WienBot per Text- oder Spracheingabe Fragen stellen, die dieser dann beantwortet, beispielsweise „Darf ich hier parken?“. Dabei gibt es mehrere Herausforderungen. Einerseits muss die künstliche Intelligenz die Frage richtig verstehen, andererseits muss eine passende, einfach verständliche Antwort geliefert werden. „Was wir früher in fünf Absätze verpackt haben, müssen wir dort mit fünf Sätzen sagen.“
Derzeit beantwortet der als App für Android und iOS verfügbare WienBot rund 250 Fragen pro Tag. Die Antworten werden anonymisiert ausgewertet, wodurch der Chatbot laufend verbessert wird. Wimberger sieht großes Potenzial in der Spracheingabe: „In einem gesprochenen Satz lässt sich viel mehr Information verpacken als in einem Formular.“ Dass dem Amt durch die Digitalisierung das Aus droht, glaubt er hingegen nicht. „Nicht jeder hat ein Smartphone, der kleinste gemeinsame Nenner ist meistens das Web“, so Wimberger. „Nur weil etwas digital ist, muss es noch lange nicht abgehoben sein. Mit künstlicher Intelligenz wird alles einfacher für beide Seiten. Es wird aber immer persönlichen Kontakt für Einzelfälle brauchen.“ Auch er lobt das Vorbild Großbritannien, das mit gov.uk eine zentrale Anlaufstelle bietet. „Bei uns gibt es auch schon einheitliche Behördenformulare, aber das kann noch verbessert werden. Eine Plattform wie gov.uk in Österreich wäre spannend.“