Netzpolitik

"Warum sollten wir Technologien von Konzernen vertrauen?"

Die niederländische Waag Society forscht zur kreativen Nutzung von Technologien und untersucht, wie gemeinschaftliche Arbeitsweisen neue Produkte hervorbringen können. Das Fairphone - ein Android Smartphone, das nach möglichst fairen Kriterien hergestellt wird - ist ebenso aus einem Projekt des niederländischen Instituts hervorgegangen wie eine offene Prothese, die aus dem Netz heruntergeladen und mit einem 3D-Drucker hergestellt werden kann.

Vor kurzem war Marleen Stikker, die Gründerin der in Amsterdam ansässigen Waag Society, beim Festival Vienna Open in Wien zu Gast, wo sie über Open Design und soziale Innovationen sprach. Die futurezone hat Sticker zum Fairphone, faire Smart Meter und offene Technologien befragt.

Haben die Enthüllungen von Edward Snowden über die Internet-Überwachung der Geheimdienste dazu geführt, dass das Bewusstsein für Datenschutz und offene Technologien gestiegen ist?
Es wird ein bisschen darüber diskutiert. Es gibt eine kleine Debatte. Ich hätte mir erwartet, dass sie größer ist. Eigentlich sollte jetzt eine kopernikanische Wende stattfinden. Immerhin werden Fragen aufgeworfen und es ist vielleicht nicht mehr so selbstverständlich, dass unsere Daten einfach verwendet werden, ohne das wir gefragt werden. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, was Technologien bewirken. Technologien geben Regeln vor. In unserer Gesellschaft neigen wir aber dazu, sie als etwas Neutrales zu betrachten.

Sie haben die Waag Society gegründet, die sich mit den sozialen Auswirkungen von Technologien beschäftigt. Welche Fragen stellen Sie an Technologien?
Die zentrale Frage, die wir bei unseren Projekten stellen, ist ob sie es einem Individuum ermöglichen, souverän zu sein. Systeme sollten auch so konzipiert sein, dass sie den Leuten die Möglichkeit geben, etwas zur Gesellschaft beizutragen und respektiert zu werden. Wir wollen auch, dass Leute, das in ihnen steckende Potenzial verwirklichen können und Teil einer Erzählung werden, in der sie sich wiederfinden können.

Auch das Fairphone, ein Smartphone das soweit wie möglich nach fairen Kriterien produziert wird, ist aus der Waag Society hervorgegangen. Wie hat sich das Projekt entwickelt?
Das Fairphone ist als Forschungsprojekt gestartet. Wir wollten die Konflikte um die Rohstoffe aufzeigen und Bewusstsein dafür schaffen. Wir wollten auch die Arbeitsbedingungen, unter denen Smartphones hergestellt werden, verbessern. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass es in der sehr komplexen Beschaffungskette Schwierigkeiten gibt, Änderungen durchzusetzen. Uns war klar, dass wir selbst ein Smartphone produzieren müssen, um Veränderungen zu bewirken. Man kann in jedem Glied der Beschaffungskette intervenieren und die Bedingungen verbessern. Das Fairphone wird sicherlich noch nicht unter Bedingungen produziert, die zu hundert Prozent fair sind. Aber wir haben den Anfang gemacht und können es mit jedem Schritt fairer machen.

Welche Rolle spielen offene Technologien und kollaborative Arbeitsweisen bei dem Projekt?
Diese Punkte spielen auf allen Ebenen des Projekts eine zentrale Rolle. Das Fairphone ist transparent, die Kosten werden detailliert aufgeschlüsselt. Wir arbeiten auch mit Open-Source Software. Neben Android können Sie auf dem Fairphone auch Ubuntu und Firefox installieren. Sie können das Fairphone aufmachen und reparieren. Sie können auch den Akku austauschen. Das können Sie mit vielen Smartphones, die derzeit angeboten werden, nicht. Beim Fairphone sind diese Punkte zentraler Bestandteil des Designs. Wir wollen aber mehr. Bei einem nachhaltigen Smartphone sollten sie alle Teile austauschen können. Kennen Sie Phonebloks? Das ist ein sehr interessantes Konzept, bei dem sie die Komponenten eines Smartphones modular zusammensetzen können. Wir wollen auch davon lernen.

Rechnet sich das Fairphone eigentlich?
Fairphone ist ein Spin-off der Waag Society, aber es ist eine unabhängige Gesellschaft. Das Geschäftsmodell sieht den Verkauf von 25.000 Fairphones vor, damit sich das Projekt rechnet. Bisher wurden 19.000 Stück verkauft. Es gibt ein großes Potenzial. Fairphone muss aber nicht an die Börse gehen. Es steckt kein Risikokapital in dem Unternehmen. Der Start wurde über Crowdfunding und soziale Investoren finanziert. Uns geht es darum, dass das Projekt soziale Auswirkungen und ein nachhaltiges Geschäftsmodell hat.

Vienna Open 2013 - Re-engineering the world: How open design contributes to social innovation - Vortrag von Marleen Stikker from neuearbeit on Vimeo.

Sie haben in den Niederlanden vor kurzem die Initiative Fair Meter gestartet, die sich dafür einsetzt, Smart Meter oder intelligent Stromzähler, wie sie in der EU in den nächsten Jahren zum Einsatz kommen sollen, nachhaltig zu gestalten.
Eine EU-Richtlinie sieht vor, dass Smart Meter bis 2020 in fast allen Haushalten eingeführt werden sollen. Damit wird der Energieverbrauch gemessen und die Daten an die Stromkonzerne weitergeleitet. Viele Leute glauben, dass sie ein Geschenk bekommen und sind sich nicht bewusst, dass sie für diese Geräte bezahlen müssen. Uns geht es, analog zum Fairphone, um die Frage, ob diese Geräte nachhaltig produziert werden können. Offen ist aber auch, wem die Daten gehören. Warum sollen meine Daten in komplexe Systeme gespeist werden, denen ich nicht vertraue? Solche Systeme können auch angegriffen werden. Es sollte nicht normal sein, dass solche detaillierten Daten zum Stromverbrauch aus jedem Haushalt ausgelesen werden. Die Frage ist, ob das ein fairer Umgang mit unseren Daten ist.

Was ist Ihre Antwort?
Die Leute sollten die Kontrolle über ihre Daten behalten und sie sollten selbst darüber bestimmen können, mit wem sie ihre Daten Teilen. Im Falle der Smart Meter wurde diese Entscheidung aber bereits getroffen. Den Leuten wird gesagt, dass Smart Meter dabei helfen, den Energieverbrauch zu reduzieren, weil sie mehr über ihren Verbrauch wissen und so ihr Verhalten anpassen können. Dazu muss ich aber meine Daten nicht an ein Energieunternehmen weiterleiten. Auch für die Energieunternehmen ist es nicht notwendig, detailliert zu wissen, wofür in welchem Haushalt wieviel Strom verbraucht wird, um die Versorgung sicherzustellen.

Sie haben einen Smart Meter in seine Bestandteile zerlegt.
Ja, wir haben einen Smart Meter geöffnet und auseinander genommen. Die Technologie dahinter ist keine Rocket-Science. Jeder kann einen Smart Meter herstellen. Wir haben Open Design und wir haben Open Hardware. Warum sollten wir Technologien von großen Firmen vertrauen?

Die Waag Society beschäftigt sich mit offenen Formen der Innovation und neuen Arbeitsweisen. In Wien haben Sie auch Prothesen vorgestellt, die kollaborativ entwickelt wurden.
Das "Open Prothesis"-Projekt zeigt, dass durch gemeinsame Arbeit innovative Produkte entstehen können. Wir haben in Indonesien dabei geholfen ein FabLab aufzubauen und wollten ein gemeinsames Projekt machen. In Indonesien gibt es viele Leute, die sich keine Prothesen leisten können. Sie kosten tausende von Euros. Wir haben uns also die Aufgabe gestellt, eine Prothese zu entwickeln, die heruntergeladen werden kann. An dem Projekt haben viele Leute mitgearbeitet. Teile der Prothese können mit einem 3D-Drucker ausgedruckt werden, dazu können auch lokale Materialien verwendet werden. Das macht sie sehr billig. Sie kostet etwa 25 Dollar. Es ist aber noch etwas passiert. Da die Souveränität der Nutzer für uns zentral ist, wollten wir, dass die Prothesen von den Leuten selbst justiert werden können. Das ist selbst bei High-Tech-Prothesen nicht der Fall. Das hat auch dazu geführt, dass unsere Mitarbeiter nun auf großen Medizinkongressen das Konzept präsentieren konnten.

Sind wir auf dem Weg zur einer Alternativ-Wirtschaft?
Das Finanz- und Wirtschaftssystem ist am absteigenden Ast, das Vertrauen in das System schwindet. Geld wird von unten nach oben umgeleitet. Es ist ein Pyramidenspiel. Gleichzeitig wird an neuen Modellen gearbeitet. Es gibt neue Strukturen, die es davor nicht gegeben hat. Das Internet, Computer, digitale Fabrikatoren, die Do-it-yourself-Bewegung, es entstehen neue Netzwerke, die sehr stark sind und nicht mehr von den alten Strukturen abhängig sind - neue Vertriebs- und Produktionsnetzwerke und neue Wissennetzwerke, die außerhalb der Universitäten stattfinden. Es gibt nicht nur ein System, sondern es gibt viele Alternativen. Und viele Leute entscheiden sich dafür, Teil solcher alternativen Systeme werden.
Klicken Sie hier für die Newsletteranmeldung

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

mehr lesen