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Wie Künstliche Intelligenz in 10 Jahren aussehen wird

Der gebürtige Bayer Sepp Hochreiter gilt als einer der Gründer des modernen Deep Learning. Er erfand u.a. die Technik des langen Kurzzeitgedächtnisses, die eine fundamentale Hürde für mehrschichtiges maschinelles Lernen überwand. Seit 2006 forscht und lehrt er an der Johannes Kepler Universität Linz. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, welche Fähigkeiten künstliche Intelligenz im Jahr 2033 haben wird.

futurezone: Aktuell sorgt der intelligente Chatbot ChatGPT für Jubel. Er kann Hausaufgaben lösen, Gedichte und Programmcode schreiben. Was werden solche Programme in zehn Jahren können?
Sepp Hochreiter: Systeme wie ChatGPT sind sehr geschickt darin, vorhandene Informationen zu kombinieren und daraus etwas Neues zu generieren, aber sie sind limitiert. Sie haben noch kein Weltverständnis. Sie lesen das Wort Baum, wissen aber nicht, dass es einen wirklich Baum gibt. Sie erleben die Welt nicht. In zehn Jahren werden Systeme gebaut werden, die weiter sind. Sie werden etwa verstehen, wie Menschen miteinander umgehen oder wie eine Stadt funktioniert.

Dennoch gibt es Techniker, die bereits aktuellen KIs ein Bewusstsein zuschreiben. Welchen Eindruck könnte man 2033 von einer Künstlichen Intelligenz erhalten?
Was Bewusstsein ist, ist eine philosophische Frage und nicht klar definiert. Es gibt da mehrere Kriterien, etwa ein Gedächtnis und ein Verständnis von Zeit zu haben. Aber es ist eine subjektive Erfahrung, man kann es schlecht messen. Momentan sind jedenfalls mehrere Kriterien nicht erfüllt. Es spricht aber nichts dagegen, dass das in 10 Jahren schon zu einem bestimmten Grad möglich ist.

Es gibt Prognosen, dass kreative Aufgaben wie das Erstellen von visueller Kunst oder das Komponieren von Musik künftig von KI erledigt werden können. Wie weit werden solche Fähigkeiten künftig gehen?
Das wird alles besser, imposanter. Die Frage ist nur, was Kreativität ist. KI kann jetzt schon aus verschiedenen Eingaben, etwa Begriffen, etwas Neues kreieren. Das passiert Schritt für Schritt. Elemente werden herangezogen, umgewandelt, realistisch gemacht. Der Mensch macht es anders herum. Er hat erst eine Idee, daraus entwickelt er etwas. Was KI macht, wird also als Kreativität wahrgenommen, aber es ist nicht der kreative Prozess, den wir uns vorstellen. Um Popsongs zu komponieren, braucht man nicht einmal KI. Das geht sehr schnell. Kaufhausmusik wird teilweise jetzt schon automatisch generiert.

In der Ausstellung Cybernetic Dali in Barcelona wurden mit KI traumgleiche Bilder erzeugt

KI hat die Fähigkeit, eine Unmenge an Daten zu analysieren, Muster zu erkennen und Beziehungen herzustellen. Wird das in den nächsten 10 Jahren die Wissenschaft beflügeln?
In der Wissenschaft findet teilweise jetzt schon ein Paradigmenwechsel statt. Früher hat man probiert, eine Theorie aufzustellen und die durch empirische Forschung zu testen. Aber wenn ich genügend Daten habe, viel messen und Simulationen durchführen kann, muss ich Gesetzmäßigkeiten gar nicht mehr ableiten und kann direkt Vorhersagen treffen.

Inwiefern wird KI dazu beitragen, klima- und umweltschädliches menschliches Verhalten zu kompensieren?
In der Mobilität wird KI einen starken Einfluss haben, etwa beim autonomen Fahren, aber auch bei der Verkehrssteuerung - egal, ob es um das Planen von Routen geht, das Aufstellen von Zeitplänen oder möglichst effizientes Ausliefern von Paketen. KI wird aber auch stark bei der Optimierung von Gebäuden und von Produktionsprozessen angewendet werden, damit weniger Energie verbraucht wird. Klimawandelfolgen werden mit KI genauer untersucht werden können, etwa um physikalische Prozesse zu simulieren. Man kann damit etwa berechnen, wie schnell der Schnee an bestimmten Stellen in zwei bis drei Jahren schmilzt, wie sich Bepflanzung von Flussläufen auf Hochwasser auswirkt oder durch welche Baumaßnahmen das Wasser für Trockenperioden zurückgehalten werden kann.

In welchen Bereichen wird KI in zehn Jahren noch verstärkt eingesetzt werden?
Das Metaversum wird zum Beispiel ein größeres Thema werden. Die aktuellen Versuche von Meta könnten noch zu früh sein, aber irgendwann könnte die Idee Erfolg haben. Mit KI könnte man dann virtuelle Welten bauen, in denen man einkaufen oder Bankgeschäfte machen kann. KI wird im Internet aber auch anders bemerkbar werden, etwa durch automatische Übersetzungen von Webseiten in alle Sprachen. Ein anderer Bereich ist die Medizin, wo KI stärker für die Entwicklung von Medikamenten, aber auch bei der Interpretation von Untersuchungen eingesetzt werden kann. Für Mediziner könnte das eine große Unterstützung sein.

Mit KI erstellte virtuelle Welten könnten das Metaversum bereichern

In vielen Branchen herrscht Fachkräftemangel. In welchen Bereichen könnte KI im Jahr 2033 fehlendes menschliches Personal ersetzen?
So herum hört man diese Frage kaum, meistens geht es um die Sorge um Arbeitsplätze. Routinemäßige Jobs werden zunehmend von KI und damit ausgestatteten Robotern übernommen werden. Aber das war früher auch so. Auf einem Bauernhof arbeiten auch nicht mehr 20 Knechte. Die Leute werden einfach anders ausgebildet werden, man muss dazu nicht unbedingt studieren. Was den Fachkräftemangel angeht, könnte KI etwa beim Programmieren einspringen. Viele sehr einfache Programme muss man sich nicht neu ausdenken. Die gibts schon in ähnlicher Form, man muss sie nur finden und ein wenig umschreiben. So etwas wie ChatGPT wäre dafür gut. Auch im Bildungsbereich könnte KI helfen.

Werden Schüler dann von einer KI unterrichtet?
Nein. Aber Lehrer haben teilweise große Klassen. Ein Schüler hat in einem bestimmten Bereich Schwächen, aber die sieht ein Lehrer nicht gleich und hat vielleicht nicht die Zeit, sich darum zu kümmern. Mit KI kann man so etwas erkennen und in diesem Bereich mehr Aufgaben stellen. Man kann damit also Menschen bei ihrer Arbeit unterstützen. Auch im Pflegebereich kann ich mir das vorstellen. Vor Kurzem war ich in Südkorea, wo ein komplettes Krankenhaus mit Sensoren ausgestattet wurde. Man sieht dadurch genau, wenn es Patienten schlechter geht oder wenn sie verwirrt durch die Gegend irren. Pflegepersonal kann nicht ständig nachschauen, ob alles passt, KI schon.

Apropos komplette Überwachung: Es gibt Sorgen vor unethischem Gebrauch von KI. Wie kann man sicherstellen, dass KI künftig nicht für Dinge wie Massenüberwachung durch den Staat missbraucht wird?
So etwas ist ein gesellschaftliches Problem, die Methode kann nichts dafür. In manchen Ländern werden Überwachungskameras als unbedenklich wahrgenommen, in einem anderen als katastrophal. In manchen Bereichen will man persönlich Überwachung vielleicht, etwa in der U-Bahn, aber in anderen will man das nicht. Das muss die Gesellschaft entscheiden. Wo wir als Forscher gefragt sind, ist über die Möglichkeiten aufzuklären, was mit KI passieren kann. Bei uns haben alle Angst vor Gesichtserkennung, aber man kann Leute per KI auch anders erkennen, etwa an ihrer Kleidung, ihrem Auto, ihren Körpermaßen, ihrem Gang. Ich muss ihnen zur Identifizierung nicht einmal ins Gesicht schauen.

Wie man herausgefunden hat, erfinden Chatbots manchmal Quellen und stellen falsche Aussagen als Fakten dar. Wie wird man KI in Zukunft vertrauen können?
Es wird in den nächsten zehn Jahren Programme geben, die Aussagen von KI einordnen können. Genauso wird es möglich sein, Deep Fakes zu erkennen, weil es zu kleinen Inkonsistenzen kommt. Es wird also KI und Gegen-KI geben.

KI hat sich über Jahre schon sehr weiterentwickelt, aber das Denken, wie es im menschlichen Hirn abläuft, kann noch nicht reproduziert werden. Wird das bis 2033 funktionieren?
Wenn ich im Auto fahre und ein Plastiksackerl wird über die Straße geweht, dann weiß ein Mensch, dass er bedenkenlos drüberfahren kann. Er weiß, was ein Plastiksackerl ist, wie es sich verformen und vom Wind bewegt werden kann. Da steckt sehr viel Wissen drin. Wenn man einer KI alle möglichen Situationen im Verkehr beibringen will und viele Kilometer an Daten sammelt, dann reicht das vielleicht nicht, weil ein Plastiksackerl nur ein bis zwei Mal auftaucht. Erst wenn eine KI weiß, wie die Welt funktioniert, kann sie auch in Situationen, die ganz neu sind, richtig reagieren. Aber die jetzigen KIs sind da noch weit entfernt.

Wann KI besser als Menschen arbeitet

Ein Team aus Wissenschaftlern der Universitäten Oxford und Yale hat 352 Experten befragt, in welchen Bereichen Künstliche Intelligenz ihrer Meinung nach Menschen in naher Zukunft übertreffen wird. Dabei wurden bestimmte Berufe und Tätigkeiten als Beispiele herangezogen. Aus den Prognosen der Experten wurden für eine Studie Durchschnittswerte erstellt. Demzufolge soll KI bereits im Jahr 2024 Sprachen besser als Menschen übersetzen können. Uni-Aufgaben soll KI 2026 besser als jeder Student erledigen. Bis eine KI einen Lastwagen besser als menschliche Fahrer lenken kann, soll es immerhin bis 2027 dauern. Verkäufern bleibt laut den kumulierten Expertenaussagen bis 2031 Zeit, bis KI ihren Job besser erledigt. Bis KI einen Bestseller schreibt, werde es dagegen bis etwa 2049 dauern. Chirurgen werden möglicherweise erst 2053 übertroffen.

Nur wenige Jahre später soll es in allen Tätigkeitsbereichen KI geben, die Menschen übertrifft. Bis alle menschlichen Jobs vollständig automatisiert werden können, soll es noch rund 120 Jahre dauern. Die Einschätzungen der befragten Forscher haben eine große Bandbreite. Auch kulturelle Unterschiede werden sichtbar. Asiatische Personen gehen im Schnitt eher von früheren Erfolgen von KI aus, während Nordamerikaner KI-Meilensteine später datieren.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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