Was Lack und Farben mit Mikroplastik zu tun haben
Möbel, Fahrzeuge oder Hausfassaden – sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Ihre Oberflächen sind meist mit Lacken oder Farben beschichtet, die Beschichtungspolymere enthalten. Sie basieren auf Acrylharzen.
Diese Kunstharze sorgen für Glanz, Haltbarkeit und Schutz, könnten aber auch ein Problem für die Umwelt werden. Denn im Laufe der Zeit können sich durch Nutzung und Alterung winzige Teilchen aus diesen Beschichtungen lösen. Diese Kunststoffpartikel, sogenanntes Mikroplastik, gelangen in der Folge möglicherweise in die Umwelt, wo sie sich in Boden und Gewässern anreichern. Über Pflanzen könnten sie schließlich auch in die Nahrungskette und damit zum Menschen gelangen, was gesundheitliche Auswirkungen haben kann.
Mangelnde Datenlage
Wie groß der Anteil von Beschichtungspolymeren am Mikroplastikeintrag tatsächlich ist, bleibt bislang ungeklärt. Laut Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts steht der Abrieb aus Farben und Lacken beim Mikroplastikeintrag lediglich auf Platz 11. Die klare Hauptquelle ist der Reifenabrieb. Andere Quellen sehen Lacke und Farben jedoch deutlich weiter vorn. „Die Daten gehen wahnsinnig stark auseinander“, sagt die Wissenschafterin Notburga Pfabigan vom ACR-Institut Holzforschung Austria (HFA).
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Im aktuellen Forschungsprojekt MicroDetec untersucht sie und ihr Team gemeinsam mit der Lebensmittelversuchsanstalt (LVA) und dem Zentrum für Elektronenmikroskopie Graz (ZFE) erstmals, wie stark Acrylharze in Farben und Lacken beim Altern freigesetzt werden. Ziel ist es, wissenschaftlich zu klären, ob diese Beschichtungen tatsächlich einen nennenswerten Beitrag zur Mikroplastikbelastung leisten.
Kunststoffpartikel können sich in Boden und Wasser anreichern.
© HFA
Künstliche Alterung
Unter der Leitung von Pfabigan werden dafür beschichtete Holzproben künstlich gealtert. Entstehende Partikel werden gesammelt, analysiert und anschließend bei 25 Grad Celsius einem biologischen Abbau unterzogen. „Im Freien dauert dieser Prozess sehr lange. Wir wollen aber schneller zu Ergebnissen kommen“, sagt die Forscherin im futurezone-Interview.
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25 Grad spiegeln die natürlichen Bedingungen ihr zufolge zwar nicht 1:1 wider – in der Natur oder im Heimkompost schwanke die Temperatur je nach Jahreszeit beziehungsweise Kompostvolumen – seien aber deutlich realitätsnäher als bei der industriellen Kompostierung. Bei dieser herrschen Temperaturen zwischen 55 und 60 Grad Celsius. „Unsere Frage ist: Werden diese Beschichtungspolymere biologisch abgebaut oder nicht. Weiters wollen wir wissen, inwieweit die Mikroplastikpartikel über den Boden von Pflanzen aufgenommen werden und so in der Nahrungsmittelkette landen“, sagt die Projektleiterin.
Fakten
Die heimische Lack- und Farbenindustrie gilt generell als sehr innovativ und investiert laut Zahlen der WKO 10 bis 15 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung.
503 Millionen Euro
Mit diesem Produktionswert im Jahr zählen Österreichs Lack- und Farbenhersteller zu den bedeutendsten Bereichen der chemischen Industrie. Insgesamt werden hierzulande jährlich 130.000 Tonnen Lack und Farbe produziert. Rund die Hälfte aller Produkte aus Österreich wird exportiert. Diese reichen von Autolacken über Bautenfarben bis hin zu Holzschutz und Kunststoffbeschichtungen.
Nachhaltigkeit
Viele Unternehmen setzen zunehmend auf eine nachhaltige Produktion, etwa durch die Nutzung von Ökostrom, Photovoltaik, Abwärmerückgewinnung, Verzicht auf Konservierungsstoffe oder durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe.
Biobasierte Kunststoffe
Daneben untersucht das Team, ob sich biobasierte Kunststoffe im Abbauverhalten von herkömmlichen, erdölbasierten unterscheiden und ob sie eine umweltfreundlichere Lösung darstellen könnten. „Entscheidend wird die molekulare Ebene sein. Gibt es keine Unterschiede, erwarte ich diese auch bezüglich des Abbaus nicht. Aber ich lasse mich gerne überraschen“, so die Expertin.
Untersuchung von Bodenproben im Rasterelektronenmikroskop.
© HFA
Da die heimische Lack- und Farbenindustrie ein bedeutender Wirtschaftszweig ist, möchten die ACR-Institute HFA, LVA und ZFE mit dem im Herbst gestarteten MicroDetec-Projekt, das über einen Zeitraum von 2,5 Jahren läuft, einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Mikroplastik und zur Entwicklung umweltfreundlicherer Produkte leisten. Sie reagieren damit auf die wachsende gesellschaftliche und politische Forderung nach nachhaltigeren Materialien und Produktionsprozessen.
Finanziert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus. Am Ende soll das neu gewonnene Wissen direkt an Unternehmen weitergegeben werden – insbesondere an kleine und mittlere Betriebe (KMU), die oft nicht über eigene Forschungsressourcen verfügen. Dies soll in Form von Beratung, Analysen und praxisnaher Forschung erfolgen.
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„Die Ergebnisse in unserem Forschungsprojekt sollen zeigen, wie die reale Situation ist. Dieses Wissen nutzt der ganzen Branche“, sagt die Forscherin Notburga Pfabigan und ergänzt: „Wir gewinnen Erfahrung in der Analytik und den Nachweismethoden – auch das unterstützt KMU.“ Diese Erfahrung sollen Unternehmen unmittelbar in ihre Produktentwicklung einfließen lassen können. Generell sollen ihnen die erweiterten Kompetenzen künftig ermöglichen, Herausforderungen rund um Mikroplastik fundierter anzugehen.
Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft, Energie und Tourismus
Hybridkiesel-Gele binden Partikel zu Klumpen
Mikroplastik ist allgegenwärtig. Auch in industriellen Abwässern sind je nach Branche, Produktionsverfahren und eingesetzten Materialien teils hohe Mengen nachweisbar. Das deutsche Unternehmen Wasser 3.0 gGmbH hat mit einer innovativen Technologie eine neuartige, filterfreie Lösung zur Entfernung von Mikroplastik aus industriellen Abwässern entwickelt. Sie verspricht, bis zu 95 Prozent aller Polymertypen zu entfernen.
Wiederverwendung
Statt Filtern nutzt die Technologie spezielle Hybridkiesel-Gele, die Mikroplastikpartikel binden und zu schwimmenden Klumpen formen. Die Klumpen werden aus dem Wasser abgeschöpft und können wiederverwendet werden. So soll das Verfahren einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten.
Mehr als 10 Industriesegmente sollen laut dem Unternehmen bereits von der neuartigen Technologie profitieren. Dank ihres modularen Aufbaus könne das System in Betrieben jeder Größe integriert werden.