Plastikflaschen und -Teile im Wasser, Blick Richtung Sonne.

Kunststoffe galten anfangs als „saubere“ Technologie, die die Welt in Ordnung bringen könnte – jetzt findet sich überall auf der Welt schädliches Mikroplastik (Symbolbild).

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Science

Atommüll bis Mikroplastik: Die unbequemen Folgen unserer Innovationen

Kunststoffe kamen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem Heilsversprechen auf den Markt: günstig, hygienisch, leicht, bunt und quasi endlos verfügbar. Auch Atomkraft hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ein sehr positives Image, versprach sie doch unendliche „saubere“ Energie. 

Über die negativen Begleiterscheinungen dieser technologischen Innovationen wurde anfangs kaum nachgedacht. Heute finden wir uns in einer Welt wieder, in der Mikroplastik im menschlichen Körper nachgewiesen werden kann und die Frage nach der Endlagerung von Millionen Tonnen hoch radioaktiven Abfalls noch immer offen ist. 

„Innovationen sind haarige Objekte“

„Und jetzt setzen wir bei der Digitalisierung auf Expansion“, sagt Ulrike Felt, Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung und Gründerin des gleichnamigen Instituts an der Universität Wien. Der heutige Diskurs um digitale Technologien zeige deutliche Parallelen zur Darstellung von Kunststoffen und Atomenergie in der Nachkriegszeit. Sie werde als Innovation verstanden, die die Welt in Ordnung bringen könne.

Eine lächelnde Frau mit blonden, kurzen Haaren und einer blau-beige gemusterten Bluse.

Ulrike Felt ist Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Wien.

Doch diese verbreitete Ansicht greife zu kurz. „Technologische Objekte und Innovationen sind haarige Objekte, mit Verbindungen in andere Bereiche“, erläutert Felt mit Verweis auf den französischen Technikphilosophen Bruno Latour

In gesellschaftlichen Debatten würden Innovationen allzu oft „rasiert“, das heißt isoliert, betrachtet, meint Felt. In ihrem Forschungsprojekt „INNORES“ untersuche sie den ganzen „Wuschelkopf“ um Innovationen herum, also insbesondere auch deren Rückstände und die damit verbundenen langfristigen Probleme.

Umwelt- und Verteilungsgerechtigkeit

„Wenn ich zum Beispiel ein Mobiltelefon hernehme, muss ich mir überlegen, wo die Rohmaterialien herkommen: Bergbau ist ein schmutziges Geschäft, da bleibt toxischer Schlamm übrig. In der Chip-Herstellung braucht man Reinräume und hochqualitatives Wasser. Um mein Mobiltelefon nutzen zu können, brauche ich komplexe technologische Infrastruktur, die auch wieder unterschiedliche Abfälle erzeugen“, erklärt Felt. 

Es gehe dabei auch um globale Verteilungs- und Umweltgerechtigkeit: „Wenn ich zu den durch Rohstoffabbau zerstörten Landschaften auf dem afrikanischen Kontinent gehe, sehe ich Innovation ganz anders. Hier überlege ich mir bloß, ob ich mir das teure oder ganz teure Mobiltelefon kaufe.“

Innovationsgesellschaft

Sie und ihr 9-köpfiges Team nehmen ausgewählte Innovationsrückstände als Ausgangspunkt ihrer sozialwissenschaftlichen Untersuchungen: Mikroplastik, Atomabfälle und Datenmüll. Mit letzterem sind alle Abfälle gemeint, die durch digitale Technologien anfallen. 

Neben der Herstellung von Geräten betrifft das auch ihren Betrieb, etwa Wasser zur Kühlung von Rechenzentren. Auch gespeicherte Informationen selbst können „Müll“ und damit zum Problem werden. Ziel ist es, nachzuzeichnen, wie diese die Umwelt und unser aller Leben beeinflussen.

Auch den Innovationsbegriff an sich will das Projekt hinterfragen: „Wir sind schweigend in eine Innovationsgesellschaft übergegangen, wo Innovation ein Muss ist und grundsätzlich positiv dargestellt wird. Wir haben nicht darüber nachgedacht, was das bedeutet“, kritisiert die Professorin.

Mikroplastik lange ignoriert

1972 wurde in der Fachzeitschrift Science erstmals zu Plastikrückständen im Meer publiziert, aber niemand hat sich drum gekümmert, weil Kunststoff als Fortschritt gesehen wurde, der alles besser macht“, berichtet Felt. Erst 2004 wurde der Begriff „Mikroplastik“ geprägt, und dann habe die Wissenschaft begonnen, dessen Effekte auf Umwelt und menschliche Gesundheit zu erforschen. 

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Anders als bei vielen anderen Technologien ließen sich die negativen Folgen hier nicht in andere Weltgegenden abschieben, weil sich der Müll längst überall verteilt hat. „In Österreich hat man lange Zeit einen beträchtlichen Teil des Klärschlamms als Dünger auf die Felder ausgebracht und damit auch Mikroplastik und andere schädliche Stoffe wie PFAS“, sagt Felt. 

Das Problem werde mittlerweile als solches erkannt und in neuen Gesetzen angegangen. Seit Anfang 2025 muss z. B. der meiste Klärschlamm hierzulande verbrannt werden.

„Wackelbild“ Atomenergie

Die gesellschaftliche Bewertung von Atomenergie sei weniger eindeutig: „Da sieht man sehr schön, dass das wie ein Wackelbild ist. Österreich hat sich zwar früh dagegen entschieden, aber allgemein gibt es derzeit wieder ein Revival, weil wir sagen, dass wir mehr Strom brauchen für die vielversprechende Digitalisierung“, erläutert die Professorin.

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Das einzige AKW in Österreich, Zwentendorf, ging nie in Betrieb.

In Zeiten der Klimakrise lasse sich Atomenergie als „CO2-neutraler“ vermarkten als andere Stromerzeugungsmethoden. Die vermeintliche Dringlichkeit lässt Zukunftsfolgen abermals in den Hintergrund treten.

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Gemeinsam mit ihrem französischen Kollegen Ange Pottin hat sie erst kürzlich einen Fachartikel zur zeitlichen Dimension der Stilllegung von Atomkraftwerken geschrieben: „Bei den Graphitreaktoren der ersten Generation in Frankreich sieht man sehr schön, dass man anfangs überhaupt nicht darüber nachgedacht hat, was am Ende damit passiert.“ Es gebe schon jetzt kaum mehr Personen, die diese Reaktoren in ihren Baudetails kennen. Der Abbau werde sich jedoch voraussichtlich noch bis zum Jahr 2100 erstrecken, wo sich möglicherweise längst niemand mehr an die Versprechen dieser Innovation erinnern könne.

Langsame Desaster

„Wir sind sehr schlecht darin, auf langsame Desaster zu reagieren, also wenn etwas nicht dramatisch zu sein scheint. Wir haben beim Klimawandel nicht reagiert, beim Mikroplastik nicht und bei der Digitalisierung jetzt auch nicht“, meint Felt. Zu Datenmüll und seinen Folgen gebe es in der Bevölkerung noch kaum Bewusstsein: „Ich glaube, dass uns die Sprache von der ,Cloud‘ und ähnlichem dazu verleitet hat, zu glauben, dass Daten keine Materialität haben.“

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Die Innovationsrückstände hier mitzubetrachten bedeute, die Augen nicht vor den vielschichtigen Konsequenzen zu verschließen. Einerseits müssten Investments getätigt werden, bestehende Probleme wie Mikroplastik in den Griff zu bekommen. Andererseits müssten Entscheidungen für oder gegen neue Technologien unbequemer werden, auch auf individueller Ebene. 

„Es geht dabei aber vielfach gar nicht um die Frage ‚Innovation – ja oder nein?‘, sondern um das Ausmaß, in dem wir eine Innovation anwenden beziehungsweise zu einem Massenprodukt machen. Wir müssen uns angewöhnen, Verantwortungsentscheidungen zu treffen“, betont die Professorin.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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