Nasenspray aus Algen soll Coronavirus bremsen
Die buschige Rotalge ist längst keine Unbekannte mehr, verfügt sie doch über viele gesunde Inhaltsstoffe. Als pflanzliches Geliermittel „Agar-Agar" erobert sie die vegane Küche der Europäer, als „Irisches Moos“ lindert sie Halsschmerzen und als Nahrungsergänzungsmittel ist sie in vielfältiger Form erhältlich. Jetzt könnte sie mithelfen, das Coronavirus in den Griff zu bekommen. Davon ist zumindest das heimische Biotech-Unternehmen Marinomed überzeugt.
Schon seit Jahren nutzt Marinomed die Alge und entwickelt daraus Wirkstoffe für medizinische Produkte. Dabei wird aus den Rotalge das sulfatierte Polymer „Carragelose“ (iota-Carrageen) gewonnen, das einen Schutzfilm als physikalische Barriere auf den Zellen der Schleimhaut bildet. So soll verhindert werden, dass sich Viren, darunter auch das SARS-CoV2-Virus, an Zellen anheften können, sich später vermehren und in den Atemwegen ausbreiten.
„Ähnlich wie Antikörper kann Carragelose die Viren neutralisieren und so die Zellen vor der Infektion schützen“, erläutert Marinomed-Mitgründer und Vorstandsvorsitzender Andreas Grassauer. Er verweist auf entsprechende, unabhängige Studien in den USA und Argentinien, die die Wirksamkeit nachweisen würden. Weitere Studie laufen noch.
So funktioniert’s
Einfach erklärt sei ein Virus wie eine Klette, die am Wollpullover kleben bleibt, so Grassauer. „Wenn ich sie aber vorher schon in Wolle einwickle, bleibt sie nicht mehr kleben. Dieses Einwickeln besorgt das Polymer Carragelose. Das Virus werde so neutralisiert. Mit einer niedrigeren Virenlast seien auch Infizierte weniger ansteckend und es könnte der Krankheitsverlauf gelindert werden. Grassauer berichtet von ersten Tests mit Covid-Patient*innen, die Carragelose inhalierten und sich danach rascher erholten. Weitere wissenschaftliche Belege für eine solche Wirksamkeit auf Basis von Rotalgen fehlen allerdings noch.
Impf-Alternative
Als Mittel gegen allergischen Schnupfen und Erkältungen hat Marinomed bereits einen Virusblocker auf Algenbasis als Nasen- und Rachenspray sowie in Pastillenform auf den Markt gebracht. In Österreich ist er unter dem Namen „Coldamaris“ erhältlich. Corona ermöglicht ein weiteres Einsatzgebiet, nämlich dort, wo man nicht impfen kann. Als Beispiele nennt Grassauer Kindergärten, wo Coldamaris als günstiger Ersatz für das Tragen von FFP2-Masken und PCR-Tests verwendet werden könnte.
Anders als ein Test würde der antivirale Spray auch schützen, zumindest den ganzen Vormittag lang. „Der Spray wäre eine weitere, unkomplizierte Maßnahme, um Infektionsketten zu unterbrechen“, meint Grassauer. Im Unterschied zu den Impfstoffen seien hier auch die Virus-Mutationen egal.
„Die Impfstrategie ist sinnvoll und wird eine gewisse Basisimmunität erzeugen, aber das Virus werden wir sicher nicht mehr los. Wir werden damit leben lernen müssen“, ist der Firmenchef überzeugt. Er verweist auf die bereits lange bekannten vier endemischen Corona-Viren, die zu 15 Prozent für die Erkältungen mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit verantwortlich seien. Jede/r Österreicher*in hätte inzwischen Antikörper gegen diese Viren, aber trotzdem gebe es immer wieder Erkältungen. „Aus meiner Sicht, wird es bei SARS-CoV-2 nicht anders sein“.
Spin-off
Marinomed wurde 2006 als Spin-Off der Veterinärmedizischen Universität Wien gegründet, um „Medizin aus dem Meer“ zu erforschen. Seit 2018 notiert das Unternehmen an der Wiener Börse, mehr als die Hälfte der Anteile sind in Streubesitz. Firmengründer*innen Andreas Grassauer und Eva-Prieschl-Grassauer halten nach wie vor jeweils 8,3 Prozent. Weiterer Großaktionär ist die Acropora Beteiligungs Gmbh.
Der Anti-Viren-Spray ist derzeit der einzige Umsatzbringer der Marinomed AG. Produziert und vertrieben wird er von der Firma Sigmapharm im Burgenland. Die Rotalge wächst im Meer von Afrika (Sansibar) oder den Philippinen, der Vertrieb läuft über Partnerschaften. Um die Umsätze anzukurbeln, werden gerade weitere Länder erschlossen.
Pharmabranche forscht in den Tiefen der Meere
In den Ozeanen – da sind sich Forscher*innen einig – schlummert die größte Apotheke der Welt. Algen, Schwämme und Korallen haben in Millionen von Jahren chemische Substanzen entwickelt, die Krankheitserreger bekämpfen können. Weil das Leben in den Ozeanen viel länger existiert als auf dem Land, ist auch die Vielfalt an Organismen ungleich größer, jedoch weitgehend noch unerforscht.
„Die Wirkstoffe aus dem Meer haben es erst zu einem sehr kleinen Teil in die Apotheken geschafft“, sieht Marinomed-Chef Andreas Grassauer noch riesiges Potenzial in den Weltmeeren. Die Rotalge sei nur ein Beispiel von unzähligen Organismen, die es noch zu entdecken gilt. So gibt es etwa 13.000 verschiedene Algenarten.
Erste Krebsmittel
Vieles ist noch in der Grundlagenforschung, aber immer mehr Pharmafirmen entwickeln auch Medikamente. Zu den Pionier*innen zählt hier das spanische Börseunternehmen PharmaMar, das erste Krebspräparate auf den Markt hat. Das Medikament „Yondelis“, wird aus Meerscheiden gewonnen und zur Behandlung von Weichteilsarkomen und Eierstockkrebs eingesetzt. Das als Krebsmittel entwickelte Medikament Aplidin mit dem Wirkstoff Plitidepsin erweist sich nun in Studien als wirksam in der Behandlung von Covid-19-Patient*innen.
Schon länger gegen Herpes im Einsatz ist der Wirkstoff Aciclovir, der aus einem Schwamm gewonnen wird und in vielen Fieberblasen-Salben und -Gels enthalten ist. Auch zur Therapie gegen Gürtelrose wird Aciclovir eingesetzt.
Bei Gelenksentzündungen sollen Wirkstoffe aus der Grünlippmuschel für Linderung sorgen. Skeptiker*innen warnen jedoch vor falschen Hoffnungen und übertriebenen Erwartungen an die noch junge „blaue Biotechnologie“. Medizinische Wundermittel sind auch im Meer nicht zu finden.