Science

Wie man mit Virtual Reality zum Nichtraucher wird

Ein letzter, genüsslicher Zug an der Zigarette, bevor es zurück ins Büro geht. In den vergangenen 7 Minuten ist die Anspannung spürbar gesunken – der Kopf fühlt sich leichter an, die Schultern sind locker. Doch kaum sitzt man wieder am Schreibtisch, meldet sich das vertraute Verlangen nach dem nächsten Glimmstängel. 

Weltweit leiden etwa 1,3 Milliarden Menschen an Tabakkonsumstörungen. In Österreich greifen laut Daten der ÖGK rund 20 Prozent der über 15-Jährigen täglich zur Zigarette. Viele von ihnen geraten dabei in eine Abhängigkeit.

Beim Rauchen schüttet das Gehirn Dopamin aus, den Botenstoff für Wohlbefinden und Belohnung. Mit der Zeit braucht der Körper immer mehr Nikotin, um denselben Effekt zu spüren – sei es zur Beruhigung oder gegen Stress. Mit dem Rauchen aufzuhören, ist daher für viele eine Herausforderung. 

➤ Mehr lesen: Virtual Reality als neue Therapie für Schlaganfall-Patienten

Automatisiertes Therapiesystem

Wer es allein nicht schafft, kann sich im Rahmen einer sogenannten Expositionstherapie professionelle Unterstützung holen. Sie ist aber aufwändig und schwer zugänglich.

Fakten

In vielen Ländern bestehen trotz guter medizinischer Infrastruktur Hürden beim Zugang zu wirksamen Therapien gegen Tabakabhängigkeit und Angststörungen. Selbst in wohlhabenden Ländern wie Österreich bleibt eine breite Versorgungslücke bestehen.

Expositionstherapien sind arbeitsintensiv. Zusätzlich ist mit hohen Kosten zu rechnen – eine einzige Sitzung kommt dabei auf etwa 140 Euro.

Das neue Forschungsprojekt Automating Therapy, das von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützt wird, soll helfen, den Weg zur Rauchfreiheit zu vereinfachen. Das Forschungsteam der Universität Wien rund um Frank Scharnowski entwickelt gemeinsam mit dem Projektpartner Phobius ein automatisiertes Therapiesystem zur Behandlung von Suchterkrankungen und Angststörungen. 

Im Fokus stehen zunächst Tabakabhängigkeit und Spinnenphobie. Das System kombiniert Künstliche Intelligenz (KI), Biosensoren und Virtual und Augmented Reality (VR und AR). Letztere zeigen den Patientinnen und Patienten Bilder, die typischerweise Verlangen oder Stress auslösen. „Bei einer Tabaksucht kann das etwa eine Zigarettenschachtel oder das Anzünden einer Zigarette sein“, erklärt Scharnowski der futurezone.

➤ Mehr lesen: VR-Game zur Schmerz-Therapie erhält Digitalpreis

Hierarchie von Reizen

Ihm zufolge gebe es eine individuell abgestimmte Hierarchie von Reizen, die bei jeder Person schrittweise Verlangen oder Angst auslösen können. Mithilfe von Biosensoren werden Herzfrequenz und Hautleitfähigkeit beim Anzeigen der Reizbilder erfasst, die  Hinweise darauf liefern.

„Unser System nimmt diese Biosignale auf und passt sie in der Intensität automatisch an den Gefühlszustand an. Ziel ist, dass der Patient mehr Toleranz aufbaut und lernt, sein Verlangen auszuhalten, ohne zur Zigarette zu greifen“, sagt Scharnowski. Wichtig dabei sei, dass die Stimuli fordernd sind, aber weder überfordern noch monoton wirken.

Die Patientin trägt eine VR-Brille und wird Reizen ausgesetzt.

Die KI verarbeitet verschiedene Datenquellen gleichzeitig: Neben den Biosignalen fließen auch persönliche Angaben aus Fragebögen ein, etwa zum individuellen Rauchverhalten. „Therapeuten fragen sie außerdem immer wieder, wie viel Verlangen oder Angst sie gerade spüren“, sagt der Experte. Auf Basis dieser Informationen erstellt die KI Vorhersagemodelle, wie eine Person voraussichtlich auf bestimmte Reize reagieren wird. 

Heimanwendung geplant

Das System lernt außerdem, wie eine Person auf einen Reiz reagiert hat und kann so die Intensität erhöhen. Es soll verschiedene Methoden ermöglichen. „Eine davon ist ein klinisches Assistenzsystem. Dieses findet in der Praxis mit dem Therapeuten statt. Der Algorithmus optimiert die Reizauswahl und unterstützt so die Therapie“, sagt Scharnowski. Ziel sei auch, ein autonomes System für den Heimgebrauch zu entwickeln – als eine Art Hausaufgabe zwischen den Sitzungen. 

➤ Mehr lesen: Gamification in der Medizin: Spielen für die Gesundheit

Für Menschen, die keine Therapie in Anspruch nehmen, könnte das System als Präventionsangebot dienen. „Wenn jemand etwa erkennt, dass ein Familienmitglied Angst vor Spinnen entwickelt, könnten sie die Software herunterladen und zuhause kontrolliert anwenden. So kann man auf eine Angst reagieren, bevor sie zum Problem wird“, ergänzt der Wissenschaftler. 

Für den Heimgebrauch soll die Software mit Bildern über Tablet, Smartphone oder AR-Brille arbeiten. Da das System über eine generalisierbare Architektur verfügt, ließe sie sich gut adaptieren und auf weitere Störungen ausweiten.  

Diese Serie erscheint in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG).

Hand-Rehabilitation in der virtuellen Welt

Viele Betroffene eines Schlaganfalls können ihre Hände und Finger nicht mehr gezielt bewegen. Der Grund: Bei einem Schlaganfall wird ein Teil des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt. Ist das Hirnareal betroffen, das für Bewegungen verantwortlich ist, sterben Nervenzellen ab, welche für die gezielte Steuerung der Hand- und Fingerbewegungen zuständig sind. 

Forscher der chinesischen Zhengzhou-Universität rund um Yanchao Mao haben ein System zur Hand-Rehabilitation entwickelt, das die Therapie von Patienten nach einem Schlaganfall deutlich erleichtern könnte. Dabei handelt es sich um ein virtuelles System, das ohne die üblichen schweren Handschuhvorrichtungen auskommt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Reha-Geräten, arbeitet das neue System gewichtentlastend und kabellos. Es ermöglicht damit eine deutlich flexiblere und komfortablere Therapie.

Deep Learning

Herzstück der Innovation ist die Kombination aus Deep-Learning-Technologie und speziellen Elektroden – sogenannte ionische Hydrogel-Elektroden. Sie werden auf den Unterarm angebracht und messen die natürlichen elektrischen Impulse, die beim Bewegen der Hand entstehen. Mithilfe von Deep-Learning-Modellen kann das System daraus präzise Handgesten erkennen und in Echtzeit in die virtuelle Umgebung übertragen. 

Dadurch können Patienten ihre Bewegungen spielerisch in der virtuellen Realität (VR) trainieren, etwa durch Nachahmen alltäglicher Handbewegungen. Das soll nicht nur die Motivation erhöhen, sondern auch die Effektivität der Therapie verbessern. Mit dieser Entwicklung könnte die Hand-Rehabilitation künftig deutlich mobiler, individueller und zugänglicher werden. Die Forscher sehen darin einen wichtigen Schritt hin zu einer patientenfreundlicheren, digital unterstützten Reha-Zukunft. 

Klicken Sie hier für die Newsletteranmeldung

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

mehr lesen