© Benjamin Sterbenz

Interview

Lenovo: “Wir produzieren keinen Billig-Schrott”

Das chinesische Unternehmen Lenovo hat sich im PC-Bereich in wenigen Jahren zum Marktführer entwickelt. Darüber hinaus hat der Hersteller bislang aber hauptsächlich in seinem Heimatmarkt für Aufsehen gesorgt, wo auch im Smartphone-Business der zweite Platz erobert werden konnte. Die abnehmenden Verkaufszahlen im Kerngeschäft PC-Herstellung, der Aufstieg von Tablets und Smartphones und der Drang nach globaler Markenbekanntheit haben Lenovo jetzt dazu gebracht, wieder einmal auf Einkaufstour zu gehen, um auch in anderen Branchen global zu reüssieren. Die angekündigten Akquisen von Motorola um 2,9 Milliarden US-Dollar und der IBM-Serversparte um 2,3 Milliarden Dollar haben für Aufsehen gesorgt. Die Börsen haben allerdings nicht sonderlich erfreut auf die Berichte reagiert, wobei beide Übernahmen derzeit noch nicht unter Dach und Fach sind.

Stefan Engel
“Kursverluste passieren nach Übernahmen öfters. Wir haben es noch nicht geschafft, die positiven Effekte zu vermitteln”, sagt Stefan Engel, der Lenovo-Verantwortliche für die DACH-Region, im futurezone-Interview. Durch die Übernahme von Motorola erhofft sich Lenovo vor allem einen besseren Zugang zu den Provider-getriebenen Smartphone-Märkten in den USA und Westeuropa, wo die meisten Geräte mehr oder weniger kostenlos zu den Verträgen verteilt werden. “Hier bringt Motorola wertvolle Erfahrungen mit. Lenovo hat mit Smartphones bislang fast ausschließlich in Märkten Erfolg, in denen die Geräte direkt von Kunden im Geschäft gekauft werden”, so der Manager. In Westeuropa will Lenovo noch in diesem Jahr mit Motorola-Smartphones auf den Markt kommen, in welchen Ländern die Handys zuerst angeboten werden, ist noch unklar.

Zwei Strategien für Smartphones

Die Medion-Produkte, die seit 2012 ebenfalls von Lenovo vertrieben werden, wird es weiter bei Hofer und Aldi geben. “Das Image der Produkte ist gut, vor allem was Preis/Leistung und Service angeht. Hier können wir große Stückzahlen von einem Produkt absetzen”, so Engel. Unter der Motorola-Marke soll künftig eher das mittel- und hochpreisige Segment bedient werden. “Wir sehen uns als Qualitätsmarke und produzieren keinen Billig-Schrott”, sagt Engel. Dass Google sich die oft als Filet-Stücke bezeichneten Teile von Motorola, nämlich den Großteil der Patente und die Grundlagen-Forschungsabteilung, behalten hat, lässt der Generalmanager so nicht gelten. “Wir nehmen rund 2.000 Patente mit und erhalten für die übrigen die Nutzungsrechte. Die Hardware-Entwickler kommen ebenfalls mit zu uns. Techniker, die nahe am Android-System gearbeitet haben, sind wertvoll”, erläutert Engel.

Dass es im Zuge des Motorola-Kaufs neben den Patentnutzungsrechten noch weitere Kooperationsvereinbarungen mit Google gibt, will der Manager im Gespräch nicht bestätigen, ein “gutes Verhältnis” bleibe aber bestehen. Auch mit IBM verbindet Lenovo seit der Übernahme der PC-Sparte “Think”, die Lenovo den Durchbruch am internationalen PC-Markt beschert hat, ein freundschaftliches Verhältnis. “Bei Geschäften lernen sich Menschen eben kennen”, sagt Engel. Dass Motorola künftig Nexus-Geräte herstellen könnte, ist vor diesem Hintergrund nicht auszuschließen. Eine Exklusiv-Betriebssystem-Vereinbarung gibt es aus Rücksicht auf das Nahverhältnis zu Microsoft im PC-Bereich aber wohl nicht.

Steiniger Weg

Dass Motorola im globalen Smartphone-Markt trotz Achtungserfolgen aus der Google-Ära derzeit nur eine Nebenrolle spielt, ist für Lenovo kein Problem. “Wir wollen den Kunden das geben, was sie haben wollen und wir werden mit verschiedenen Systemen und neuen Produkten mit Coolness-Faktor versuchen, zur Konkurrenz aufzuschließen”, so Engel. Einsteigermodelle will Lenovo ebenfalls weiter vertreiben. “In Afrika, Indonesien und Serbien sind wir beispielsweise kürzlich eingestiegen. Hier sind günstige Modelle gefragt. In China haben wir eine starke Basis, was Kunden und Vertriebsstruktur angeht, aber auch die Zahl der verkauften Luxus-Smartphones darf hier nicht unterschätzt werden. Ein kleiner Anteil an diesem Riesenmarkt ist viel Wert”, erklärt Engel.

Durch die bereits vorhandene Kundenbasis im Smartphone-Bereich, eigene Produktionskapazitäten, neue Design-Konzepte und schlagkräftiges Marketing will Lenovo vermeiden, im harten Wettbewerb aufgerieben zu werden. “Dass die Konkurrenz stark ist, wissen wir”, so der DACH-Verantwortliche. Das gilt mittlerweile auch für das Kerngeschäft von Lenovo, die PC-Herstellung. Mobile Geräte, längere Nutzungsdauer und ausbleibende revolutionäre Neuerungen haben die Absatzzahlen in diesem Bereich in den vergagnenen Jahren schrumpfen lassen. Lenovo sieht trotzdem noch Potenzial. “Der PC-Markt ist immer noch sehr groß und damit attraktiv. Es gibt Rückgänge, die durch Tablet-Computer aber aufgewogen werden”, so Engel.

PC-Geschäft bleibt Basis

Neue Kunden am PC-Markt erhofft sich das chinesische Unternehmen vor allem durch Kombinationsgeräte, die Laptops und Tablets in einem Paket vereinen. Das bedeutet für die Käufer jedoch einen Kompromiss. “Natürlich müssen Nutzer wissen, was sie brauchen. In Zukunft werden Kunden vermehrt verschiedene Geräte haben, je nach Anforderungen, etwa ein Strand-Tablet und ein Heim-Tablet”, so Engel. Dadurch erhöht sich aber wiederum der Druck auf die PC-Sparte, die hauptsächlich als Universal-Geräteklasse konzipiert ist. Lenovo macht rund 80 Prozent des Umsatzes mit Laptops und Notebooks.

Dass Lenovo mit der Konzentration auf reife Produktmärkte - vom PC über Smartphones bis zu Servern - Gefahr läuft, hinter anderen Unternehmen herzuhinken, weist Engel zurück: “Reife Märkte und Innovation schließen sich nicht aus. Wir werden sicher nicht die Nummer Eins in einem sterbenden Markt sein. Wir fühlen uns auf Massenmärkten und in der Hardwareherstellung wohl und sind dort innovativ”, sagt Engel. Vor allem mit einer breiten Produktpalette - zur Not auch in kleineren Serien - will Lenovo sämtliche Kunden-Bedürfnisse stillen.

Wearables kommen

Auf dem Server-Markt will Lenovo nach Abschluss der Übernahme des IBM-Geschäfts ebenfalls sein Glück versuchen. “Es gibt hier nur wenige Anbieter. Als großer Hersteller sehen wir unsere Chance, auch wenn durch Trends wie die Virtualisierung eventuell geringere Stückzahlen verkauft werden. Auch in zehn Jahren werden die Menschen Hardware brauchen”, so Engel. Keine Auskünfte erteilt Lenovo über Entwicklungen im Bereich “Wearables”. “Es gibt momentan keine Ankündigungen. Der Medizin-Bereich beispielsweise ist aber sicher interessant”, so Engel. Auf dem Mobile World Congress Ende Februar wird Lenovo sehr wahrscheinlich erste Ankündigungen machen.

Ein großes Service-Angebot plant Lenovo derzeit nicht. “Wir haben unsere Aura-Oberfläche, die wir als Dual-Boot-Option für Tablets anbieten und Cloud-Dienste. Diese Dinge sind aber nur eine Ergänzung unseres Portfolios”, erklärt Engel. Dass Motorola sich mit der jüngsten Einkaufstour übernommen haben könnte, hält das Unternehmen jedenfalls für unwahrscheinlich. “Ein Risiko besteht immer, aber wir haben “Worst Case”-Szenarien entworfen, um sicherzustellen, dass auch ein Scheitern erträglich wäre. Ich bin aber überzeugt, dass wie alle neuen Unternehmungen schnell ins profitable Fahrwasser bekommen”, sagt Engel.

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Markus Keßler

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