Geoblocking: "Es gibt auch Mauern im Meer"
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
"Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar", diese Nachricht hat wohl jeder schon gesehen, der auf Online-Videoplattformen einen Film abrufen wollte und nicht konnte. Die EU-Kommission hat das Geoblocking, die geografische Beschränkung des Zugangs von Inhalten im Netz, für audiovisuelle Inhalte aus ihrem Vorschlag zum digitalen Binnenmarkt vorerst ausgeklammert. Lediglich der Zugriff von einem anderen Land aus - etwa im Urlaub oder auf Geschäftsreisen - auf im eigenen Land verfügbare, bereits bezahlte Inhalte soll möglich sein. Vom Tisch ist das Thema aber noch nicht. Die EU-Kommission würde Geoblocking wohl lieber heute als morgen abschaffen. Die Filmwirtschaft wehrt sich aber mit Händen und Füssen gegen eine Aufweichung der territorialen Beschränkungen für audiovisuelle Inhalte. Sie befürchtet, dass viele europäische Filme dann nicht mehr finanziert werden könnten.
Territorialprinzip
"Die Filmwirtschaft braucht das Territorialprinzip", sagte Julia Piaseczny von der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (SPIO), bei einer Diskussion zum europäischen Urheberrecht der Initiative EU XXL vergangene Woche in Wien. Piaseczny verwies auf eine im Auftrag von europäischen Verbänden und Filmfördereinrichtungen erstellte Studie, in der unter anderem von einem Produktionsrückgang zwischen 37 und 48 Prozent für europäische TV-Sendungen und Filme die Rede ist, wenn das Geoblocking falle. "Ohne Territorien gibt es keine europäischen Lizenzmärkte und ohne diese Lizenzmärkte gibt es keine Herstellungsbudgets für wettbewerbsfähige Filme, wie zum Beispiel Koproduktionen."
"Ein Sender zahlt dafür, dass er Erstausstrahlungen bekommt, ein Kinoverleiher zahlt dafür, dass er auf nationaler Ebene den Film zuerst spielen darf", sagte Werner Müller vom Verband der österreichischen Film- und Musikindustrie (FAMA): "Wenn ich die Exklusivität nicht habe, werde ich die wesentlichen finanziellen Mittel für den österreichischen Kinofilm nicht mehr bekommen."
Europäische Filme kaum verfügbar
Gegner des Geoblockings verweisen darauf, dass auch heute viele europäische Filme lediglich in ihren Herkunftsländern online verfügbar seien. Von einem größerem Publikum, dass durch die Aufhebung des Geoblockings erreicht werden könne, würden letztlich Filme und Filmemacher profitieren, heißt es auf der Plattform End Geoblocking, die von der deutschen EU-Abgeordneten Julia Reda (Piratenpartei) ins Leben gerufen wurde. Regionale Lizenzierungen seien darüber hinaus auch dann noch möglich, wenn der Film in Originalsprache bereits erhältlich sei, argumentieren die Geoblocking-Gegner.
Julia Piaseczny lässt diesen Einwand nicht gelten. Sie spricht davon, dass die EU so an Sprachenvielfalt und kultureller Vielfalt verlieren würde. "Filme würden dann unter anderem immer mehr in einer Sprache hergestellt, die im gesamten EU-Raum verwertbar wäre oder verstanden würde", sagt sie. Geoblocking-Gegner sagen hingegen, dass die kulturelle Vielfalt auch nicht größer werde, wenn es etwa EU-Bürgern, die im Ausland leben, nicht möglich sei, auf Filme aus ihrem Heimatland zuzugreifen.
Dienstleister der "Oligopole"
Geoblocking-Gegner wiederum argumentieren, dass es ein europäisches Netflix auch deshalb nicht gebe, weil die Transaktionskosten für den Erwerb von 28 Länderlizenzen zwar von Branchengrößen wie Netflix, nicht aber von kleinen europäischen Start-ups bewältigt werden könnten.
Man müsse der Filmwirtschaft die Möglichkeit geben, ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, sagt Piaseczny. "Wir müssen schauen, wie wir in Ländern, in denen es noch keinen Markt gibt, einen Markt entwickeln können." Sie verweist etwa auf das Start-up Pantaflix, das es Produzenten ermöglichen will, Filme direkt an interessierte Konsumenten im Ausland zu vertreiben. So könnten zum Beispiel Verbraucher in Spanien über Pantaflix Filme aus Deutschland sehen, die in Spanien nicht ins Kino kommen. Die klassische Vertriebsstruktur werde durch einen solchen Direktvertrieb nicht in Frage gestellt.
Undurchsichtig
"Was zurückkommt ist minimal", sagt der österreichische Filmwirtschaftsvertreter Müller. "Es ist ein Bruchteil von dem, was im DVD-Geschäft gemacht wird." Auch Gernot Schödl, Geschäftsführer der österreichischen Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden (VdFS) sagt: "Bei uns ist es de facto Null."
Schödl spricht sich für einen Vergütungspflicht für Online-Plattformen wie YouTube aus. Kollektive Rechtwahrnehmung gegenüber Online-Video-Plattformen finde mit wenigen Ausnahmen in Europa nicht statt, kritisiert Schödl. Eine Vergütung, die direkt bei der Plattform eingehoben werde, könne dafür sorgen, dass auch jene an den Erlösen beteiligt würden, die sie geschaffen hätten.
Quote für europäische Produktionen
Auf Zustimmung bei der Filmwirtschaft stößt eine von der EU-Kommission in Angriff genommene Überarbeitung der Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste. Vorschläge der Kommission sehen eine Quote von 20 Prozent für europäische Produktionen auf Netflix und Co. vor. Mitgliedsstaaten sollen von den in ihrem Land verfügbaren Video-on-Demand-Diensten auch einen finanziellen Beitrag zu europäischen Werken verlangen.
Er begrüße solche Vorhaben, sagt Filmwirtschaftsvertreter Müller. Er glaube jedoch nicht daran, dass auf die europäische Branche schon bald ein Geldregen von Amazon und anderen Anbietern niedergehe. Dazu seien noch zu viele Fragen offen.
Große Plattformen mit Firmensitz im Ausland hätten sich bislang an der Filmförderung nicht beteiligt, sagt Piaseczny. Ziel sei es, grenzüberschreitenden Abgaben zu ermöglichen, wenn die ausländischen Plattformen ihre Angebote auf den deutschen Markt ausrichten, um Marktverzerrungen mit nationalen Anbietern zu beseitigen. "Wieso soll die deutsche Plattform oder das deutsche Kino die Abgabe bezahlen und Netflix, nur weil es sein deutsches Angebot von Amsterdam aus betreibt, nicht?"
Politische Frage
Und wie geht es mit dem Geoblocking weiter? "Es ist in der EU weiterhin Thema", sagt Müller. Es werde entscheidend sein, Systeme zu schaffen, die es ermöglichen würden, europäische Filme zu finanzieren und zu verbreiten. Den Einwand aus dem Publikum, Geoblocking sei ein bisschen so, als würden Mauern ins Meer gebaut, wischt Müller zur Seite: Man müsse Geoblocking nicht mögen, sagt er. Es sei jedenfalls technisch möglich und ob man es mache oder nicht, sei eine politische Frage: "Es gibt auch Mauern im Meer."
Kommentare