Eine alte Synchronhalle in Wien soll in einen internationalen Hotspot für Filmmusik umgebaut werden
Eine alte Synchronhalle in Wien soll in einen internationalen Hotspot für Filmmusik umgebaut werden
© Florian Christof

Dolby Atmos

Großes Kino: Der Sound wird lebendig

Aktuell gibt es ungefähr 60 Kinofilme und 200 Kinos weltweit – sieben davon in Deutschland, eines in Österreich – die für Dolby Atmos ausgelegt sind. Ganze drei Tonstudios in Deutschland können derzeit mit Dolby Atmos arbeiten. Eines davon wird von Rotor Film in den Babelsberg Filmstudios in Potsdam betrieben, wo der futurezone Einblicke in das Mastering von Dolby Atmos gewährt wurden. Mit "Lost Place" ist hier der erste Kinofilm in Europa nativ in Dolby Atmos abgemischt worden.

Für das Sounddesign stehen bei den herkömmlichen Formaten wie 5.1 fünf Hauptkanäle zur Verfügung, die angesteuert werden können, damit der berühmte Surround-Effekt eintritt. Mit der Evolution von 5.1 auf 7.1 auf 9.1 bricht Dolby Atmos und erweitert die bespielbaren Lautsprecher auf insgesamt bis zu 64 Stück, sodass Christian Lerch und Stefan Tiefenbrunner von Dolby während der Atmos-Demonstration von einer "richtigen Revolution" sprachen.

Z-Achse

Im Kinosaal werden dafür die Anzahl der Bassboxen und die der seitlichen Lautsprecher erweitert sowie, zusätzlich hinten und an der Decke welche angebracht. "Bei 5.1 konnte man die X- und Y-Achse bespielen. Dolby Atmos erweitert das Spektrum um die Z-Achse, sodass die räumliche Komponente des Klangs präzise steuerbar wird", erklärt Holger Lehmann, Geschäftsführer von Rotor Film. Ein Beispiel: Wenn ein Flugzeug abhebt und oben aus dem Bild fliegt, ist es nicht mehr sichtbar, mithilfe der Deckenlautsprecher braust es aber über die Köpfe der Kinobesucher hinweg. Oder wenn es regnet, hört man die Tropfen tatsächlich von der Decke prasseln.

Bei der Vorführung im Dolby Atmos Studio von Rotor Film war die Räumlichkeit des Klangs tatsächlich überzeugend: Menschen, die auf der Leinwand auf einen zukommen und links und rechts aus dem Bild gehen, marschieren plötzlich exakt getimet seitlich am Zuseher vorbei. Der Unterschied zur selben Szene im 5.1 oder 7.1 Format war überraschend deutlich zu hören.

Bei Dolby Atmos werden die Töne auf der X-, Y- und Z-Achse positioniert.

Präzise Steuerung

Was Dolby Atmos von Konkurrenten wie Auro 11.1 by Barco, die ebenso ein dreidimensionales Klangerlebnis versprechen, abhebt, ist die präzise Steuerung des Sounds. Bei kanalbasierten Soundsystemen wird die Räumlichkeit des Klangs emuliert. Dolby Atmos hingegen kann mit 128 Tonspuren jeden der 64 Lautsprecher einzeln ansteuern. Sounddesigner greifen dazu auf bis zu zehn sogenannte Beds und bis zu 118 Objektspuren zurück. Die Beds sind weiterhin kanalbasiert und versammeln mehrere Geräusche, sodass eine Atmosphäre bzw. ein Ambiente erzeugt wird. Die Objekte im Gegensatz sind präzis eingesetzte Soundeffekte, die die einzelnen Lautsprecher direkt bespielen.

Mehr Arbeit

"Beim Gestalten des Sounddesigns für Lost Place, das mehrere Monate in Anspruch genommen hat, wurde beinahe das gesamte Spektrum der 128 Tonspuren genutzt. Jeder Ton wurde einzeln angefasst und im Raum platziert", schildert Martin Frühmorgen von Rotor Film, der für die Tonmischung des Kinofilms zuständig war.

Die Programmierung der Sounds funktioniert anhand eines räumlichen 3D-Modells, über dem die Bewegung und Platzierung der Geräusche eingegeben wird. So wird sichergestellt, dass beispielsweise die Filmmusik neben Geräuschen und Dialogen ihren eigenen Platz bekommt. "Bei früheren Tonformaten war immer die Gefahr gegeben, dass Musik, Soundeffekte und das gesprochene Wort miteinander verschwimmen und rein über die Lautstärke um ausreichend Platz kämpfen. Dolby Atmos kann in die Breite gehen und die einzelnen Klänge präzise im Raum verteilen", so Frühmorgen.

Downgradefunktion

Weitere Vorteile von Dolby Atmos sind die Abwärtskompatibilität und die Skalierbarkeit. So kann - muss aber nicht - das Vollangebot von 64 Lautsprechern genützt werden. In Kinosälen, die weniger Lautsprecher installiert haben, rechnet die "Dolby Rendering and Mastering Unit" (RMU) die Geräuschkulisse auf die zur Verfügung stehenden Boxen herunter. Ebenso ist es möglich, dass Inhalte, die in Dolby Atmos abgemischt wurden, auf die einzelnen Formate wie Stereo oder 7.1 runtergerendert werden, sodass die räumliche Komponente des Sounds gegebenenfalls virtualisiert wird.

Im 3D-Modell wird angezeigt, wo sich der Ton im Raum befindet.

Metadaten

Ausgeliefert wird die Dolby-Atmos-Mischung innerhalb des DCPs, dem Digital Cinema Package, das nichts anderes ist als ein Datenträger, auf dem Kinos die neuesten Blockbuster geliefert bekommen. Für den Audiobereich sind auf der DCP im Grunde zwei Files drauf: Eine Datei für die Tonspuren und eine weitere für die Metadaten, die den verschiedenen Sounds ihren Platz im Raum zuweisen. Zur Synchronisation von fremdsprachigen Filmen sind für Sounddesigner die Metadaten editierbar.

Richtig eingesetzt hat Dolby Atmos durchaus das Potenzial, zum Publikumsmagneten für Blockbuster in großen Megaplexen zu werden. Dadurch könnte es Dolby schaffen, die Film- und Kinoindustrie wieder enger an sich zu binden. Denn durch den Umstand, dass die analogen Filmkopien de facto ausgedient haben und durch DCPs abgelöst wurden, ist Mehrkanalton auch ohne Dolby möglich. Auf den früheren 35mm-Kopien war nur sehr wenig Platz für den Ton und Dolby hatte durch sein einzigartiges Komprimierungsverfahren eine Quasi-Monopolstellung auf den Mehrkanalton.

Oder wie es Philip Mosser, zuständig für Sounddesign an der Filmakademie Wien und Mitglied des Verbands Österreichischer Sounddesigner erklärt: "So gut wie jede 35mm Kopie musste nach dem Sounddesign und der Tonmischung von einem Dolby Consultant 'abgenommen' und gemastert werden. Die Filmbranche war absolut abhängig von Dolby. Der Vorteil war ein einheitlicher Standard und eine Qualitätskontrolle. Etwas worüber wir als Sounddesignerinnen und Sounddesigner nicht unglücklich waren, weil dadurch ein Mindestmaß an Standard gegeben war. Dolby war ein durchaus geschätzter Partner des Sounddesigns."

Sollte sich Dolby Atmos in der Filmbranche durchsetzen – und da geben sich die Vertreter von Dolby naturgemäß optimistisch – könnte es Dolby also erneut schaffen, seine Vormachtstellung im Kino-Sound weiter auszubauen.

Das Dolby Atmos Tonstudio von Rotor Film in den Babelsberg Filmstudios in Potsdam.

Ob die neuen gestalterischen Möglichkeiten, die durch Dolby Atmos umgesetzt werden können auch in dramaturgische Elemente wie das Schreiben eines Drehbuchs einfließen, wird sich erst mit zunehmender Verbreitung zeigen. Bei der Dolby-Atmos-Premiere des deutschen Horrorthriller Lost Place im Berliner Sony Center zeigte sich Regisseur Thorsten Klein enthusiastisch: "Durch den Einsatz von Dolby Atmos ist es uns gelungen einen unsichtbare Figur zu schaffen, die anhand der Soundeffekte durch den Raum wandelt."

Philip Mosser ist da weniger zuversichtlich: "Ich glaube nicht, dass andere Geschichten wegen dieser Technologie ihren Weg ins Kino finden. Es wird keine anderen Drehbücher geben und auch der Bildschnitt wird sich dadurch nicht ändern. Es wird vielleicht Storys geben, die sich besonders eignen in diesem Format erzählt zu werden und für andere ist es weniger relevant."

Auch bei der Beurteilung, ob Dolby Atmos mit der Ausreizung technisch möglicher Grenzen in der Lage sei, das Event Kino auf ein neues Level zu heben, gibt sich Mosser skeptisch: "In Zeiten des 3D-Kinos finden die optischen Ereignisse immer noch mehr oder weniger 'vorne' auf der Leinwand statt. Man wird also wieder feststellen, dass ein Ton, der seine Quelle zu weit von der Leinwand entfernt hat, nicht mehr mit ihr in Verbindung gebracht wird und daher mehr vom Geschehen ablenkt als ihm dient. Diese Erkenntnis gab es auch einige Zeit nach der Erfindung des Sechskanaltons."

Für große Kinosäle, die ihre riesigen Leinwände hauptsächlich mit atemberaubenden 3D-Blockbustern bespielen, ist Dolby Atmos bestimmt in der Lage das Event Kino zu bereichern. Dies bestätigt auch Wolfgang Rotter, der technische Leiter des Cineplexx Donau Plex, das als erstes und bisweilen einziges Kino in Österreich das neue Sounderlebnis anbietet: "Die Reaktionen der Kinobesucher sind sehr positiv. Dolby Atmos ist aber erst im Entstehen. Denn derzeit sind alle Beteiligten - von den Kinos über Sounddesignern bis hin zur Filmindustrie - damit beschäftigt, sich auf das neue Tonformat umzustellen."

Ein Kinosaal, wie ihn sich Dolby vorstellt

Diese Umstellung ist für Kinobetreiber aufwändig und mit hohem finanziellen Aufwand verbunden. Für die umfangreichen Umbauarbeiten muss ein Kinosaal fünf bis sechs Wochen geschlossen werden. Dennoch: "Es ist bereits geplant, mehrere Kinos in Österreich mit dem neuen Soundsystem auszustatten. Denn künftig werden alle großen Blockbuster in Dolby Atmos erscheinen. Alle größeren Hollywood-Studios produzieren mittlerweile in Dolby Atmos," weiß Rotter.

"Mit Dolby Atmos wollen wir ein größeres und noch besseres Kinoerlebnis bieten. Derzeit ist bei uns kein Aufpreis zu zahlen", so Rotter vom Cineplexx Donau Plex. Wie sich das erweiterte Tonformat auf die Ticket-Preise auswirken wird, obliegt aber jedem Kinobetreiber selbst.Eines steht fest: Das Atmos-Erlebnis können nur Kinosäle bieten, weil es für den Heimkinobereich (noch) nicht verfügbar ist und sich eine Nachahmung nicht so einfach gestaltet.

Was die Einführung von Dolby Atmos im Heimkinobereich angeht, ist Dolby nicht sehr auskunftsfreudig. "Es sei in Entwicklung", heißt es lediglich. Die Infrastruktur, also die Übertragung von digitalen Signalen ist vorhanden. So gesehen, scheitert es nur an Receiver und Verstärker, die die Dolby-Atmos-Signale derzeit noch nicht lesen und entsprechend umsetzen können und nur in der Lage sind, Dolby Atmos in 7.1 oder 5.1 wiederzugeben.

Im Grunde ist es ohnehin eher unwahrscheinlich, dass man sich zuhause dutzende Lautsprecher aufstellt und noch zusätzlich welche an der Decke montiert. Auch die Nachbaren würden mit einem leistungsstarken Dolby-Atmos-System keine große Freude haben. Möglicherweise könnten die 7.1-Verstärker ein Upgrade erfahren, das ihnen ermöglicht den Dolby-Atmos-Klang über Phantomlautsprecher noch präziser zu virtualisieren. Oder vielleicht findet Dolby Atmos über eine neue Generation von Kopfhörern seinen den Weg in die Wohnzimmer. Bis es eventuell soweit ist, bleibt dieses außergewöhnliche Klangerlebnis Kinobesuchern vorenthalten.

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Florian Christof

FlorianChristof

Großteils bin ich mit Produkttests beschäftigt - Smartphones, Elektroautos, Kopfhörer und alles was mit Strom betrieben wird.

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