Kann Twitter das neue Facebook werden?
Kann Twitter das neue Facebook werden?
© Thomas Prenner

Kann Twitter das neue Facebook werden?

Kann Twitter das neue Facebook werden?

Auf diesen Moment haben Facebook-Feinde nur gewartet: Neuesten Statistiken des Analyse-Dienstes InsideFacebook zufolge hat das Online-Netzwerk auf seinem Weg zu 700 Millionen Nutzern weltweit erstmals Federn lassen müssen. In seinen Kernländern USA, Kanada und Großbritannien sind die Mitgliederzahlen erstmals gesunken - in den Vereinigten Staaten im Mai gleich um sechs Millionen. Facebook beeilte sich anzumerken, dass die Zahlen nicht korrekt seien, gestand aber zu, dass es in einigen wenigen Märkten zu einer Sättigung gekommen ist.

Gründe für die Stagnation gibt es mehrere: Verlorenes Vertrauen der Nutzer in die Datensicherheit, einkehrende Langeweile und interessantere Alternativen könnten Mitglieder zum Löschen ihrer Profile bewegen. Gerade letzter Punkt wird in der Facebook-Heimat USA gerade heiß diskutiert. “Dass sich Twitter als Nachrichten-Netzwerk von Facebook zu unterscheiden versucht, kann man vergessen”, analysiert CNN-Kommentator Adam Ostrow. “Es gibt keinen Zweifel, dass die Firma jetzt mit Facebook um die Social-Network-Krone kämpft.”

Twitter im Nacken Kann das für seine 140 Zeichen langen Kurznachrichten bekannte Twitter das neue Facebook werden? Lange wurde die hellblaue Webseite als niedlicher Cousin des großen blauen Bruders gehandelt. Doch neue Zahlen des renommierten Pew Research Centers zeigen, dass das Interesse an Twitter stark im Steigen ist. Bereits 13 Prozent der US-Internetnutzer haben ein Konto bei der Firma aus San Francisco. Während Facebook in den USA verliert, kommen bei Twitter täglich 460.000 neue Accounts dazu. Auch in Frankreich, Kanada, Deutschland und Großbritannien konnte sich das Plauder-Portal auf Platz 2 positionieren, wie ein Techrunch-Bericht zeigt.

Im direkten Vergleich liegt Facebook bei der Nutzung aber noch klar vorne: Wie Hitwise-Zahlen belegen, verbringen Nutzer doppelt so viel Zeit auf Mark Zuckerbergs Seite als bei seinem jüngeren Rivalen. Auch die Nutzerbindung ist intensver: 50 Prozent der Facebook-Mitglieder greifen täglich auf den Dienst zu, bei Twitter sind es nur 24 Prozent.Falsches Bild der NutzerEinige Politiker, viele Stars und noch mehr Journalisten: Auf den ersten Blick ist Twitter eine Webseite, auf der es weniger um privates Plaudern als um öffentliche Diskussion geht. Das spiegelt sich auch in Österreich wider: Unter den 20 meist gelesenen Twitter-Accounts finden sich 13 Journalisten oder Medien, wie der Social Media Radar ausweist.

Umso mehr verblüffen die gesammelte Twitter-Zahlen der Marketing-Firma BuySellAds: Ihnen zufolge wird der Kurznachrichten-Dienst Twitter mehr fürs private Chatten als für den beruflichen Austausch genutzt. Wichtigster Nutzungsgrund ist die Kontaktpflege zu Freunden, erst danach kommt der Einsatz im Job und zum Nachrichtenkonsum. Der durchschnittliche Twitter-Nutzer in den USA ist  kein Medien-Profi, sondern zwischen 20 und 30, gebildet, städtisch und weiblich. Der Studie des Pew Research Center zufolge ist Twitter vor allem unter ethnischen Minderheiten beliebt. “Jeder zehnte afroamerikanische Internetnutzer besucht Twitter jeden Tag”, so die Studienautoren.

Vielen Nutzern dürfte die Einfachheit von Twitter entgegenkommen: In den Eintellungen gibt es exakt einen Schalter, der zwischen “öffentlich” und “privat” unterscheidet. Anders als bei Facebook bewegen sich die Nutzer nicht in einer undichten Privatsphäre, die in Schulen und in der Arbeit regelmäßig für Probleme sorgt. Denn wer Twitter nutzt, weiß in der Regel: Alles ist öffentlich.

Allianz mit AppleTwitter-Chef Dick Costolo weiß wohl um die Chancen seines Web-Dienstes. So führte er vor kurzem einen eigenen Foto-Service ein, der das einfache Hochladen von Schnappschüssen - zuvor waren Zusatz-Dienste wie TwitPic notwendig - erleichtert. Facebook, das seine hohen Zugriffsraten vor allem den mehr als 100 Milliarden hochgeladenen Fotos zu verdanken hat, reagierte sofort und arbeitet derzeit an einer eigenen Foto-App für Handys (Techcrunch-Bericht). Denn auch am Smartphone- und Tablet-Markt ist Twitter derzeit hoch aktiv: Nach dem Kauf von “TweetDeck” hat der Kurznachrichten-Dienst gleich zwei iPad-Apps im Programm, während Facebook noch keine einzige offizielle App hat.

Am wichtigsten ist aber die neue Partnerschaft mit Apple: Im kommenden Betriebssystem iOS 5 für iPhone und iPad, das im Herbst startet, wird Twitter fix integriert sein. Dann wird man Fotos, Videos, Links oder Kartenausschnitte nicht mehr nur per E-Mail oder SMS/MMS verschicken, sondern auch in seinem Twitter-Account veröffentlichen können. Bis dahin wird Apple einer

des japanischen Finanzdienstleisters Nomura mehr Smartphones verkaufen als Nokia.Facebook hingegen kann derzeit nur Handy-Integrationen bei Microsofts schlecht laufendem “Windows Phone 7”, zwei HTC-Handys und der Nischenmarke INQ Mobile vorweisen.Noch viele HürdenBis dato musste Twitter noch keine größeren Datenskandale überstehen, die Facebook ständig plagen. Doch je mehr der Kurznachrichten-Dienst in den Mittelpunkt des Interesses rückt, desto vorsichtiger muss er im Umgang mit den Nutzerdaten werden. So stößt es jetzt schon vielen sauer auf, dass Twitter jeden zweiten Tweet über die Webseitewww.gnip.coman die Marktforschung verkauft. Da Costolo noch kein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden hat, ist davon auszugehen, dass seine Firma in Zukunft intensiver nach Nutzerdaten bohren wird. Diese lassen sich für personalisierte Online-Anzeigen einsetzen, mit denen Facebook 2011 etwa vier Milliarden US-Dollar Umsatz machen soll.

Ein Siegeszug von Twitter wäre zumindest aus gesellschaftlicher Perspektive nicht wünschenswert: Denn der britischen Forscherin Tracy Alloway zufolge (Telegraph-Bericht) macht die Nutzung von Facebook klüger, jene von Twitter aber dümmer.

Reaktionen aus ÖsterreichDass Twitter das neue Facebook werden könnte, daran glaubt in Österreich anders als in den USA derzeit niemand. “Facebook ist der globale Standard für eine digitale Identität, so wie es Google für Internetsuche ist”, sagt Dieter Rappold, Chef der Internet-Agentur vi Knallgrau. “Twitter bleibt primär ein Thema für Spezialisten, Hochaktive sowie den Geschäftsbereich und wird sich im Massenmarkt nicht ähnlich durchsetzen wie Facebook.”

Es handle sich um einen Vergleich von Birnen und Äpfeln, meint die Medienwissenschaftlerin Jana Herwig (http://digiom.wordpress.com). “Twitter ist weniger ein Netzwerk für Beziehungen von Personen als eins für Filtern von Informationen. Jedes leistet das, was es kann auf seine Weise, ohne dass das eine das andere obsolet macht.”

Auch Blogger Luca Hammer (http://www.2-blog.net) verweist auf die unterschiedlichen Funktionen: “Wenn ich mich zu jemanden informieren möchte, schaue ich zuerst auf Facebook. Twitter zeigt nur einen winzigen Ausschnitt.” Nach wie vor falle es Twitter schwer zu erklären, wozu es gut sei, sagt der Wiener Internet-Unternehmer Gerald Bäck (www.egoarchive.com). "Man muss ihn erst ausprobieren, um ihn zu verstehen.”Zudem habe Twitter Management-Fehler begangen und es sich mit der Entwickler-Gemeinde (z.B. durch Start eines eigenen Foto-Dienstes und URL-Shorteners) verscherzt.

Jonny Jelinek von der Social-Media-Agentur Webfeuer glaubt hingegen an eine große Zukunft: “Twitter wird Facebook nie ablösen, dafür bietet es für die Masse der User zu wenig Möglichkeiten, um sich selbst darzustellen. Ich glaube aber, dass in Twitter noch sehr viel Potenzial steckt und der Dienst in Zukunft durchaus ähnlich populär wie Facebook werden kann.”

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Jakob Steinschaden

mehr lesen
Jakob Steinschaden

Kommentare