In Paris fahren zwei U-Bahnlinien vollautomatisch. In Zukunft sollen weitere Linien umgestellt werden.
In Paris fahren zwei U-Bahnlinien vollautomatisch. In Zukunft sollen weitere Linien umgestellt werden.
© Siemens

Öffentlicher Verkehr

Siemens zeigt nahtlosen Übergang zur automatischen U-Bahn

In Barcelona, Singapur, Sao Paulo und vielen anderen Städten weltweit sind fahrerlose U-Bahnen bereits seit Längerem in Betrieb. Sie gelten als sicher, zuverlässig und sparsam, weshalb man ihnen in Zukunft als Öffi-Nutzer wohl immer öfter begegnen wird. Wien soll mit der U5 im Jahr 2023 seine erste vollautomatische U-Bahn erhalten. Um den Auftrag bewerben sich Bombardier und Siemens. In Paris gab Siemens nun österreichischen Journalisten einen tieferen Einblick in das Thema fahrerlose U-Bahn.

Paris hat seit 1998 mit der Linie 14 eine vollautomatische U-Bahn. Im Jahr 2012 kam die Linie 1, die älteste U-Bahn-Linie der Stadt, dazu. Sie wurde innerhalb von fünf Jahren während des laufenden Betriebs umgerüstet. Siemens will an diesem Beispiel zeigen, dass der Umstieg auf ein neues Steuerungssystem möglich ist, ohne dass der öffentliche Verkehr in einer Großstadt dadurch allzu sehr beeinträchtigt wird.

Kommunikation verkürzt Intervalle

Grundlage für einen fahrerlosen U-Bahnbetrieb ist die Communication Based Train Control (CBTC), ein so genanntes Zugbeeinflussungssystem, das aus Komponenten am Zug und an der Infrastruktur besteht. Ein Bordcomputer übernimmt dabei die Rolle des Fahrers. Über eine bidirektionale Funkverbindung steht er in ständigem Kontakt mit einer Leitzentrale. Die jeweilige Position des Zuges wird konstant übertragen und durch Kontrollelemente auf der Strecke (Balisen) überprüft.

Die genaue und kontinuierliche Ortsbestimmung erlaubt kürzere Raumabstände zwischen den Zügen. Während Gleisstrecken normalerweise in fixe Abschnitte eingeteilt werden, die nacheinander freigeschaltet werden müssen, bilden Züge bei CBTC sogenannte "moving blocks". Der jeweilige Folgezug muss lediglich einen Abstand einhalten, der sich aus Bremsweg und zusätzlichem Sicherheitsabstand zusammensetzt. Wesentlich kürzere Zugintervalle werden dadurch ermöglicht.

Im Falle der Pariser Linie 1 wurde das Mindestintervall von 105 Sekunden auf 85 Sekunden reduziert. Die Kapazität der Linie hat sich so um 70.000 Passagiere pro Tag erhöht. Das gesteigerte Transportvermögen auf der am stärksten frequentierten U-Bahnlinie, die verbesserte Energieeffizienz und die hohe Zuverlässigkeit waren für den Pariser Öffi-Betreiber RATP die hauptsächlichen Argumente, um den Umbau der Linie 1 im Jahr 2006 in Auftrag zu geben.

Umbau in der Nacht

In den folgenden Jahren wurden die Züge der Linie 1 umgerüstet, die Streckeninfrastruktur erneuert und Stationen umgebaut. Um den Öffi-Betrieb nicht zu unterbrechen, wurden Umbauarbeiten nur zwischen 1:30 und 5:30 in der Nacht durchgeführt. Die Betriebsleitzentrale der Linie 1 wurde umgerüstet. In den 25 Stationen wurden Bahnsteigtüren installiert. Die Bahnsteige mussten dazu verstärkt werden. Die RATP nutzte die Gelegenheit auch zur kompletten Neugestaltung einiger Stationen.

Während einer Übergangsphase verkehrten sowohl Züge mit Fahrer als auch Züge ohne Fahrer auf der Linie 1. Auch der gemischte Betrieb ist mit CBTC möglich. Seit 2012 kommt die U-Bahnlinie gänzlich ohne Fahrer aus. Aktuell entspricht sie damit dem Automatisierungsgrad (Grade of Automation) GoA 4. Zum Vergleich: Die Wiener U-Bahnlinien sind derzeit auf der Stufe GoA 3. Der Fahrer startet die U-Bahn und kann sie im Notfall anhalten, die exakte Fahrsteuerung auf der Strecke ist aber automatisiert.

Die fahrerlose U-Bahn der Linie 1 in Paris

Besuch im Kontrollraum

Beim Besuch in Paris lud die RATP in die neue Betriebsleitzentrale der Linie 1 ein. Auf einer großen, geschwungenen Displaywand werden die Positionen der Züge auf der 17 Kilometer langen Strecke sowie Bilder der Überwachungskameras in den Zügen und auf den Bahnsteigen angezeigt. Von hier aus wird der komplette Betrieb der Linie 1 geregelt. Auch die Durchsagen in Zügen und auf Bahnsteigen werden vom Kontrollraum aus getätigt.

Jeder Zugwaggon ist mit grünen Notfallknöpfen ausgestattet. Drückt man diese, werden den Mitarbeitern im Kontrollraum sofort die Kamerabilder des jeweiligen Zugabschnittes gezeigt, durch ein Mikrofon können sie hören, was im Waggon vor sich geht und mit den Betroffenen sprechen. Die Stationen werden zusätzlich von eigenen Wächtern betreut. Sie pendeln tagsüber entlang der Linie 1, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen.

Zufriedene Passagiere

Von den Passagieren wurde die fahrerlose Linie 1 mit Begeisterung aufgenommen, erzählt Natacha Ferrier, die Leiterin der U-Bahn-Linie. "Heute laufen viel weniger Leute dem Zug nach", meint Ferrier. Passagiere wüssten, dass es nun keinen Fahrer mehr gebe, der Rücksicht auf zu spät Kommende legen würde. Außerdem könne man nun sicher sein, dass der nächste Zug schnell und pünktlich eintreffe.

Das Nutzerverhalten habe sich relativ schnell geändert, schließlich war die Linie 1 ja nicht die erste vollautomatische in Paris. An die Eröffnung der Linie 14 im Jahr 1998 erinnert sich Ferrier lebhaft: "Es war wie in Disneyland. Jeder posierte vor der Frontscheibe als U-Bahn-Fahrer." Auf ähnliche Erlebnisse können sich Wiener Öffi-Nutzer schon mal einstellen. Doch erst muss der U5-Auftrag vergeben werden.

Warten auf U5-Entscheidung

Bombardier und Siemens liefern sich derzeit noch ein Wettbieten um das bessere Angebot für Züge und Infrastruktur. Die beiden Komponenten für die U-Bahnlinie werden separat vergeben. Siemens hoffe natürlich darauf, beide Ausschreibungen zu gewinnen, meint Arnulf Wolfram, der Leiter des Division Mobility bei Siemens Österreich. Das Unternehmen könne auf zahlreiche internationale Referenzprojekte verweisen. Auch das derzeit größte U-Bahnprojekt der Welt im saudiarabischen Riad enthält fahrerlose Züge. Die Entscheidung zur U5 wird Ende des Jahres erwartet.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

mehr lesen
David Kotrba

Kommentare