"Transparenz muss man erst mal aushalten"
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Intelligente Verkehrs- und Transportsysteme (ITS) besitzen teilweise recht umfangreiche Informationen über Straßenbenutzer. Trotz strenger Vorschriften ist die Sorge um die Verwendung persönlicher Daten groß. Martin Russ, Geschäftsführer von AustriaTech, kann auf fast 20-jährige Erfahrung im ITS-Bereich verweisen. Er sieht hauptsächlich ein Kommunikationsproblem hinter der teils negativen Einstellung zum Thema Datenschutz bei intelligenten Verkehrssystemen. Statt Angst vor Einschränkungen und Überwachung zu schüren, sollte man seiner Meinung nach die Vorteile neuer Technologien betrachten und ihnen die Chance zur Bewährung bieten. Daneben sollte sich aber auch ein jeder klar darüber werden, wo er einerseits freigiebig persönliche Informationen preisgibt und wo er andererseits Bedrohungen durch Datenweitergabe sieht.
futurezone: In der ITS-Industrie herrscht der Grundsatz, personenbezogene Daten zu vermeiden oder ihre Verwendung zu minimieren. Wozu sind personenbezogene Daten teilweise dennoch notwendig?
Martin Russ: In Krisenfällen ist es gut, bestimmte Informationen zu wissen, wie etwa bei eCall. Sicherheitskritische Situationen machen es sinnvoll, personenbezogene Daten zu verwenden, damit man etwa weiß, wer nach einem Unfall in diesem Auto sitzt.
On the long run wird es außerdem individualisierte Services geben, wobei individualisierte Dienste nicht personenbezogen sein müssen. Man kann dann immer noch den Datenschutz gewähren. Jeder Fahrer hat verschiedene Routen-Präferenzen, das System lernt daraus und gibt individuelle Routen-Empfehlungen. Um Verkehrsüberlastungen zu verhindern, kann nicht jeder die gleichen Routen-Empfehlungen erhalten, sondern jeder eine spezifische. Hier brauche ich individuelle Informationen, aber nicht personenbezogene.
Wir haben es hier aber mit einem ausgesprochenen Paradox zu tun, das ist kein Spezifikum im Verkehrsbereich. Das Thema, wie die persönliche Einstellung ist und was man andererseits mit seinen individuellen Daten tut, das läuft momentan einfach diametral auseinander.
Bestrafung und Belohnung
Im Vorjahr gab es einen Skandal rund um den Navigationsgeräte-Hersteller TomTom, dessen Daten über Umwege an die holländische Polizei gelanten, die damit Radar-Standorte optimieren wollte. TomTom hat damals beteuert, das nicht vorhergesehen zu haben. Wie können Menschen besser über den Zweck der Datenverwendung seitens ITS-Lösungen aufgeklärt werden?
Ich glaube, das ist ein ganz ein springender Punkt. Was TomTom gemacht hat, ist ja eigentlich kein Datenschutz-Thema. Es sind hier keine personenbezogenen, ja nicht einmal individualisierte Informationen weitergegeben worden, sondern nur ganz allgemeine Statistiken.
Jetzt einmal ganz provokant gesprochen: Wenn Informationen schon verfügbar sind, wieso kann die öffentliche Hand nicht ihren Mitteleinsatz dadurch effizienter gestalten? Man setzt Geschwindigkeitslimits nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie für mehr Sicherheit im Verkehr sorgen. Das ist eine ganz generelle Erkenntnis im Bereich Verkehr und Mobilität: Regeln und Vorgaben ohne ein entsprechendes Enforcement nutzen gar nix oder nur sehr wenig.
Da gibt es aber eine Ambivalenz. Einerseits soll der Staat für meine Sicherheit sorgen, andererseits möchte ich mir meine Individualität bewahren und selber auf der Straße machen können, was ich will.
Hier kommt ein zweiter Punkt zum Tragen. Wenn ich etwas im Geheimen tue, werde ich Widerstand ernten. Da braucht es Kommunikation darüber, was ich im Interesse der Bürger tue. Das zählt zu moderner Verwaltung. Dort, wo oft Übertretungen auftreten, stelle ich meine Radar-Kasteln hin. Ich brauche nicht 20.000 Polizisten mehr oder private Einrichtungen, die überwachen. Nein, ich mache das gezielt. Ich spare dem Steuerzahler Geld. Das ist eine Sensibilisierungsmaßnahme. Die Alternative sind 1.000 Polizisten, allesamt mit Radarkameras ausgestattet, die irgenwo herumstehen. Die Sache wird dadurch nicht besser, deswegen werden die Leute auch nicht weniger Strafe zahlen. Es kostet die Allgemeinheit nur mehr. Zu verteufeln, dass derartige Informationen genutzt werden, das darf man nicht.
Übertretungen und Strafen sind nur das eine. Das andere ist eine Belohnung des eigenen Fahrverhaltens, nach dem Motto: "Wir schauen uns an, wie ihr euch bewegt." Hier individuelle Anreize zu setzen, individualisierte Monitoring-Konzepte zu etablieren, das ist eine spannende Sache. Dazu brauche ich keine personenbezogenen Daten, aber individuelle Informationen, auf das Fahrzeug bezogen. Das Problem ist teilweise, dass das eigene Fahrzeug heute oftmals als eigener Körperfortsatz betrachtet wird. In der Endabrechnung steht aber nicht mein Fahrzeug, sondern ich stehe dort. Mein Geist steckt auch in meinem Auto. Es geht nicht per se um das Bestrafen, sondern um das Geben von Anreizen.
Es ist eine sehr ambivalente Diskussion, die von Medien oftmals in eine Richtung gepusht wird. Alles ist ganz furchtbar, und am Ende steckt sehr viel heiße Luft dahinter. Aber man muss es anders kommunizieren, was man tut. Das ist ein generelles Manko. Bei ITS passiert viel im Hintergrund. Es ist teilweise ein "hidden element". Auf der anderen Seite schafft ITS Transparenz im Bereich Verkehr und Mobilität.
Versicherungstarife nach Fahrverhalten
Jetzt gibt es noch das Problem, dass nicht nur ITS-Dienste und die öffentliche Hand personenbezogene Daten verwenden, zur Individualisierung der Dienste beziehungsweise zur Verbesserung der Sicherheit, sondern etwa auch Versicherungen, die den Fahrstil von Kunden analysieren und ihre Prämien daraus berechnen.
Ich finde das grundsätzlich sinnvoll, dass derartige Anreizmodelle geschaffen werden. In anderen europäischen Ländern werden derartige Modelle auch gut angenommen. In Italien zum Beispiel. Dort gibt es eine sehr hohe Durchdringungsrate. Das Uniqa-System, das es jetzt in Österreich gibt, gibt es dort schon lange.
Auf welche Art funktioniert diese Art von System?
Mit einer Art Blackbox an Bord beispielsweise, es gibt da unterschiedliche Technologien. Man sieht sich an, ob Sie in einem Gebiet mit 50er-Beschränkung meistens mit einem 100er durchrauschen, wie Ihr Beschleunigungs- oder Bremsverhalten ist. Grundsätzlich geht es aber nicht darum, wie risikoreich Sie unterwegs sind, sondern wie viele Kilometer Sie tatsächlich in welcher Region gefahren sind. Es gibt einen Unterschied, ob Sie im ländlichen Bereich 10.000 Kilometer gefahren sind oder im städtischen. Da stehen andere Unfallwahrscheinlichkeiten dahinter.
Ist das dann nicht ungerecht, wenn Leute, die in der Stadt wohnen, dazu gezwungen sind, höhere Gebühren zu zahlen?
Sie werden nicht dazu gezwungen, so einen Tarif zu nutzen, sondern wählen ihn ganz absichtlich, weil Sie daraus einen Nutzen ziehen. Und der Nutzen liegt bei Ihnen wie beim Versicherungsgeber auch, sonst würden es beide Seiten nicht tun. Es gibt hier keine Zwänge. Jeder sieht hier seinen Vorteil.
Dann wäre es aber wichtig, dass es Alternativen dazu gibt.
Es wird auch Alternativen geben, die Flatrate wird weiterhin bestehen bleiben. Aber es kann sinnvoll sein, derartige Anreizmodelle gerade für Wenig-Fahrer usw. zu haben. Damit Sie nicht nur nach ihrem Alter, sondern auch nach Ihrem Fahrstil eingeordnet werden.
Es hat einfach alles ganz viel mit der Kommunikation zu tun. Die Systeme, die hier eingesetzt werden, schaffen die Möglichkeit zur Transparenz. Nur die muss man erst einmal aushalten. Man muss damit umgehen lernen. Man muss Erfahrungen mit neuen Systemen gewinnen. Die Leute, die das heute ausprobieren wollen, sollen es tun. Auch die Betreiber sollen ihre Erfahrungen damit machen können. Dann schauen wir, wohin wir damit kommen. Ein bisschen mehr Optimismus würde uns allen gut tun.
AustriaTech veranstaltet von 22. bis 26. Oktober 2012 in Wien den 19. ITS-Weltkongress. Datenschutz bei intelligenten Verkehrssystemen wird auch dabei ein Thema sein. "Kommunikations-Technologien, IKT, personalisierte Dienste - dieses Spannungsfeld wird uns sehr stark begleiten", so Martin Russ.
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