Bas van Abel in einer Zinnmine im Kongo
Bas van Abel in einer Zinnmine im Kongo
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Fairphone

"Wenn du es nicht öffnen kannst, gehört es nicht dir"

Im Jahr 2013 sorgte das niederländische Start-up Fairphone mit einem neuartigen Produkt für viel Aufsehen. Das Gerät sollte das erste Mobiltelefon sein, das mit nachhaltiger Ressourcennutzung und fairen Arbeitsbedingungen im Herstellungsprozess warb. Es sollte modular aufgebaut und offen für Entwickler sein. Mittlerweile ist die zweite Generation des Fairphone am Markt. Das Start-up hat sich zu einem kleinen, aber erfolgreichen Smartphone-Hersteller entwickelt. Fairphone-Gründer Bas van Abel war unlängst zu Besuch bei der Non-Profit-Organisation Ashoka in Wien. Wir haben die Gelegenheit für ein Interview genutzt.

Während des Interviews hat Bas van Abel sein privates Fairphone zu Demonstrationszwecken zerlegt

futurezone: Was bedeutet die Ernennung von Klimawandelleugner Donald Trump zum US-Präsidenten für die weltweiten Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit?
Bas van Abel: Trump wird die wohl mächtigste Person der Welt, aber es gibt viele Verträge und Vereinbarungen zum Klimawandel. Es ist natürlich traurig, dass die mächtigste politische Figur Materialismus und Individualismus verkörpert. Politik sollte eigentlich das Bindeglied zwischen Eigen- und Allgemeininteresse darstellen. Aber Trump ist ein alter Typ. Ich vertraue auf junge Generationen wie die "Millenials". Die haben einen ganz anderen Zugang zum Leben. Ich hoffe, dass die Leute Trumps Erfolg als das letzte Aufbäumen einer sterbenden Art sehen.

In vielen Gebieten wie Nahrung, Energieproduktion oder Mobilität gibt es ein immer größeres Umweltbewusstsein. Warum nicht bei Smartphones?
Da geht es um Entfremdung. Es ist ja fantastisch, dass jeder heute mehr Produkte besitzt als Königinnen und Könige vor 200 Jahren. Aber in unserem Wirtschaftssystem sieht man nicht die Systeme hinter den Produkten. Wir wissen, dass Minenarbeiter in Afrika sterben, Fabriksarbeiter in Asien beschissene Arbeitsbedingungen haben und eine Menge Elektromüll produziert wird. Im Konsum tendieren wir dazu, das zu vergessen. Aber das ändert sich. Wir können mit Produkten Einblicke bieten. Unternehmen werden immer häufiger dazu genutzt, um einen systemischen Wandel zu bewirken.

Young girls pose with stones at a quarry in Ouagadougou where adults and children work, on June 10, 2016. The International labour Organisation marks on June 12, 2016 the World Day Against Child Labour, to draw attention on the plight of over 168 million children still in child labour. / AFP PHOTO / NABILA EL HADAD

Also die Veränderungen in verschiedenen Lebensbereichen hin zu umweltfreundlicheren Lösungen sind Ausdruck einer allgemeinen Tendenz?
Die Menschen realisieren, dass wir uns auf ein Desaster zubewegen, wenn wir nichts dagegen tun. Man schiebt oft den Schutz der Natur vor, aber Menschen zerstören sich letztendlich selbst. Die Natur kümmert das einen Dreck. Sie würde überleben, nur die Menschheit würde verschwinden. Das realisieren die Menschen nun - mit Ausnahme von Trump. Wir müssen was tun, um die Zerstörung zu verhindern, aber das passiert auch.

Viele große Technikunternehmen behaupten, sich um gute Arbeitsbedingungen zu kümmern. Dennoch gibt es immer wieder Enthüllungen, dass das nicht funktioniert. Ist es wirklich so schwierig, faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen?
Ja, ist es. Ein Smartphone besteht aus 1200 Komponenten. Die kommen von Zulieferern, die wiederum Zulieferer haben, die von Minen beliefert werden. In einem Smartphone stecken 40 verschiedene Materialien. Die ganze Welt ist also involviert. Die Wirtschaft sucht immer nach den billigsten Arbeitskräften. Unglücklicherweise kenne ich keinen Fall, wo billigere Arbeitskräfte bessere Arbeitsbedingungen vorfinden.

Vielleicht, wenn es sich um Roboter handelt.
Genau. Nur hat man dann das Problem der Arbeitslosigkeit. Unser Wirtschaftssystem baut darauf auf, dass alle Arbeit haben. Wir brauchen Wachstum, die Leute sollen mehr kaufen. Es ist jedenfalls wirklich schwierig sicherzustellen, dass alle gut behandelt werden. Man wird kein komplexes Produkt, wie Smartphones, finden, mit dem keine sozialen Herausforderungen verbunden sind.

A worker recycles CD players at a workshop in the township of Guiyu in China's southern Guangdong province June 9, 2015. The town of Guiyu in the economic powerhouse of Guangdong province in China has long been known as one of the world’s largest electronic waste dump sites. At its peak, some 5,000 workshops in the village recycle 15,000 tonnes of waste daily including hard drives, mobile phones, computer screens and computers shipped in from across the world. Many of the workers, however, work in poorly ventilated workshops with little protective gear, prying open discarded electronics with their bare hands. Plastic circuit boards are also melted down to salvage bits of valuable metals such as gold, copper and aluminum. As a result, large amounts of pollutants, heavy metals and chemicals are released into the rivers nearby, severely contaminating local water supplies, devastating farm harvests and damaging the health of residents. The stench of burnt plastic envelops the small town of Guiyu, while some rivers are black with industrial effluent. According to research conducted by Southern China’s Shantou University, Guiyu’s air and water is heavily contaminated by toxic metal particles. As a result, children living there have abnormally high levels of lead in their blood, the study found. While most of the e-waste was once imported into China and processed in Guiyu, much more of the discarded e-waste now comes from within China as the country grows in affluence. China now produces 6.1 million metric tonnes of e-waste a year, according to the Ministry of Industry and Information Technology, second only to the U.S with 7.2 million tonnes. REUTERS/Tyrone Siu PICTURE 13 OF 18 FOR WIDER IMAGE STORY "WORLD'S LARGEST ELECTRONIC WASTE DUMP" SEARCH "GUIYU SIU" FOR ALL IMAGES

Wie wird sich dieser Umstand in Zukunft entwickeln? Wird die Lage besser werden?
Unserer Meinung nach ist die Art, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert, problematisch. Ich glaube ja an das Gesetz des Marktes, aber rundherum werden die falschen Werte propagiert. Unternehmen agieren wie Soziopathen. Aber sie sind nicht einfach die bösen Buben, die Sache ist komplex. Da gibt es teilweise 100.000e Angestellte, Teilhaber, Pensionsfonds. Dieses ganze System führt zu einer Entkoppelung von unseren menschlichen Werten. Die große Frage ist, wie man dem System wieder menschliche Werte einimpft.

Ist Nachhaltigkeit einer dieser menschlichen Werte?
Wir versuchen heute oft, greifbare Lösungen für Probleme zu finden, die wir besser auf spiritueller Ebene lösen sollten. Nachhaltigkeit ist so eine spirituelle Sache. Nachhaltigkeit bedeutet, weiter zu denken als von meiner eigenen Geburt bis zu meinem eigenen Tod. Es ist größer als ich. Das macht es sehr vage, viele Leute haben die Verbindung dazu verloren. Wären wir alleine auf der Welt, könnten wir ein Produkt wie ein Smartphone nicht bauen. Wir könnten nicht einmal ein Trinkglas selber machen oder ein Diktiergerät. Du brauchst viele Menschen, um das zu tun.

Das erinnert mich an dieses Projekt, wo ein Mann versucht hat, einen Toaster von Grund auf zu konstruieren.
Dieses Toasterprojekt war sogar eine Inspiration für Fairphone. Wir haben gesagt: Wir bauen ein Telefon und werden dadurch rausfinden, wie wir es besser machen können. Thomas Thwaites, der Toaster-Typ, hat herausgefunden, dass man alleine keinen Toaster von Grund auf bauen kann. Seine wahre Erkenntnis war aber, wie entfremdet wir von der Natur sind, wie viele unglaubliche Geschichten hinter einem Toaster stecken. Ich glaube, dass gerade dieses Erzählen von Geschichten so kraftvoll sein kann, um Menschen wieder in Kontakt miteinander zu bringen. Wir haben vergessen, dass wir einander brauchen.

Fairphone hatte ja einen großen Wettbewerber bei der Bemühung, ein modulares Smartphone zu kreieren. Google Ara wurde aber gestoppt. Sind sie glücklich oder traurig darüber?
Traurig bin ich deswegen, weil ich sehr daran glaube, dass modulare Architektur die Lebenszeit eines Produktes verlängern kann. Je mehr Unternehmen das beherzigen, desto eher würde die gesamte Industrie in diese Richtung schwenken. Aber es gibt einen Haken am modularen Design: Je länger das Produkt hält, desto weniger verkauft man davon. Das könnte ein Grund sein, warum die Industrie diese Art von Dingen nicht vorantreibt.

Das Fairphone ist ja ein wenig klobiger als andere Smartphones am Markt. Ist das unvermeidbar, wenn es nachhaltig sein soll?
Wenn Samsung 2000 Ingenieure auf das Problem ansetzen würde, kämen sie wahrscheinlich weiter als unser kleines Team. Aber es gibt noch ein Problem: Wir lieben dünne Smartphones, aber sie sind weniger leicht selbst zu reparieren, man kann nicht hineinsehen. Sie sind wie eine Blackbox. Wie bringt man Leute dazu, über die Hintergründe ihres Produkts nachzudenken, wenn sie es nicht mal öffnen können? Eines unserer Mottos bei Fairphone ist: Wenn du es nicht öffnen kannst, gehört es nicht dir.

Was wollen Sie damit vermitteln?
Es geht darum, Verantwortung durch Besitzerschaft aufzubauen. Ich weiß, dass nicht jeder sein Smartphone aufschrauben wird, aber es geht um das Prinzip. Wenn du den Akku tauschen willst, dann muss das Gerät etwas dicker sein. Aber unsere Rückseitenabdeckung ist dafür auch so stabil wie eine Schutzhülle, das Gerät wird dadurch weniger leicht kaputt, wenn man es fallen lässt. Das ist alles Teil der Philosophie.

Fairphone 2

Wenn jemand das Kamera-Modul des Fairphone austauschen will, hat er derzeit nur eine Option. Wird es künftig mehr geben?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns und Ara. Ara zielte auf individuelle Anpassung des Smartphones ab. Bei uns geht es um die Langlebigkeit, es darum, so lange wie möglich Ersatzteile liefern zu können. Aufrüstbarkeit, also das Anbieten unterschiedlicher Module, ist eine andere Sache, an der wir gerade arbeiten. Das erste zusätzliche Modul, das wir herausbringen, wird ein Kamera-Modul sein.

Das aktuelle Fairphone 2 wurde 2015 auf den Markt gebracht. Wie lange soll es dort ausharren?
Wir zielen auf drei bis fünf Jahre ab. Die Herausforderungen werden dabei hauptsächlich auf der Software-Seite liegen. Wenn die jeweils neue Android-Version unser Chipset nicht mehr unterstützt, können wir dagegen nichts machen. Dann beginnen die Probleme mit der Verwendbarkeit von Apps und so weiter. Wir müssen also irgendwann ein Fairphone 3 mit einem neuen Chipset herausbringen.

Die Platine und der Prozessor lassen sich bei einem Fairphone also nicht wechseln?
Nein, das ist der Bereich, der nur mit einem neuen Produkt verbessert werden kann. Das Chipset ist die Basis, nicht nur aus technischer Sicht. Zertifizierungen, Typenprüfungen, alle möglichen rechtlichen Bedingungen hängen damit zusammen.

Fairphone 2

Arbeitet Fairphone eigentlich mit anderen Unternehmen im Smartphone-Bereich zusammen?
Ja, bei unseren Sozial- und Umweltprogrammen arbeiten wir mit allen großen Playern zusammen, etwa Apple und Samsung. Außerdem arbeiten wir mit Netzbetreibern zusammen, in Österreich etwa mit T-Mobile. Für uns als wahrscheinlich kleinstem Smartphone-Produzenten der Welt ist es oft schwer, in Märkte zu kommen. Wenn Netzbetreiber unsere Mission unterstützen, macht das die Sache leichter. Aber auch AT&S unterstützt uns. Die Fairphone-Leiterplatten sind von denen. Gemeinsam haben wir ein Programm zu Fair-Trade-Gold.

Letzte Frage: In welcher Verbindung stehen Sie zu Ashoka?
Ich habe Ashoka bis vor einem Jahr nicht gekannt, wurde dann eingeladen und wurde ein Ashoka Fellow. Bei Ashoka geht es darum, Menschen zu unterstützen, die einen systemischen Wandel herbeiführen wollen. Das Netzwerk existiert weltweit, es gibt viele Programme, viele Standorte. Das Tolle ist, dass man darauf vertrauen kann, dass die Beweggründe aller Netzwerkmitglieder ehrlich sind. Der Aufnahmeprozess ist sehr streng, aber dadurch weiß man auch, dass alle Mitglieder aus den richtigen Gründen dabei sind. Das ist sehr wertvoll, um bestimmte Dinge auf internationaler Ebene weiterzubringen.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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