Wie Tschechien Vorreiter für die Stadt der Zukunft werden möchte
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Die Schüler einer Volksschule im tschechischen Ort brauchen keine Schlüssel, kein Bargeld und keine Ausweise mehr, um durch den Schulalltag zu kommen. Stattdessen verwenden sie eine Karte, die etwa ein Viertel der Größe einer herkömmlichen Kreditkarte hat, das Projekt rund um dem „smarten Schlüsselbund“ ist europaweit das erste seiner Art in einer Schule.
Als eine der wichtigsten Funktionen der Karte demonstriert Schuldirektor Lukas , dass die Schüler ihr Mittagessen damit verwalten können. Dazu halten sie die Karte an ein Terminal im Eingangsbereich der Schule und bestimmen die Inhalte ihres Speiseplans für die Woche – damit es aber auch ausreichend Gemüse gibt, können die Eltern die Ernährung des Nachwuchses aber auch über das Internet mitverfolgen. In der Kantine selbst hält das Kind die Karte wiederum an ein Terminal und erhält die bestellte Mahlzeit.
Ladekabel im „Papiromat“
Außerdem kann die Karte von den Kindern genutzt werden, um Zugang zum Fahrradraum oder zum Turnsaal zu bekommen. Gegen eine Gebühr von neun tschechischen Kronen (35 Cent) pro Monat kann das von Mastercard ausgestellte Tool auch als Zahlungsmittel verwendet werden. Laut Kacer nutzen 20 Prozent der Schüler diese Funktion, mit der sie unter anderem beim „Papiromat“ einkaufen können: Ein Automat in der Schule, der Utensilien für den Alltag bereithält, von Buntstiften über Lineale bis zum Handy-Ladekabel. Hier hält der Schüler einfach seine Prepaid-Karte an einen Lesechip, der Betrag wird abgebucht und der Automat spuckt die gewünschten Utensilien aus. Außerdem ist der Papiromat online und informiert den Betreiber, wenn sich zum Beispiel der Buntstift-Vorrat dem Ende zuneigt. „Manche der Kinder können noch nicht mal lesen, aber die Verwendung der Karte und des Automaten verstehen sie“, sagt Kacer. Auch Zahlungen außerhalb der Schule, etwa in der städtischen Bücherei, sind mit der Karte möglich.
Der US-Konzern Mastercard hat das Projekt aktiv mitgestaltet. Ob es unter den Eltern Sorgen rund um die starke Präsenz des Unternehmens im Alltag der Kinder gibt? Vereinzelt haben Eltern protestiert. „Rund ein Prozent der Eltern sind dagegen. Es gibt immer Menschen, die skeptisch gegenüber neuen Technologien und der Finanzindustrie sind“, entgegnet Kacer. Auch in Sachen Datenschutz hat er wenig Bedenken: Nur er kann den Namen des Schülers sehen, dem die jeweilige Karte gehört, für alle anderen Menschen ist die Karte anonym. Langfristig ist geplant, den smarten Schlüsselbund in allen Schulen und Universitäten Tschechiens einzusetzen.
Teure Parkbänke
Bei der Stadtverwaltung von Kolin sieht man die Schule als Vorzeigeprojekt für die 31.000-Einwohner-Stadt. „Im nächsten Schritt könnten wir die Karte auch für alle erwachsenen Bürger der Stadt zugänglich machen“, sagt Michael Kaspar, Vizebürgermeister der Stadt Kolin: Die Bürger könnten die Karte dann als Fahrschein in den Öffis oder als digitalen Ausweis nutzen.
Kaspar selbst ist Feuer und Flamme dafür, Kolin zu einer „smarten Stadt“ zu machen, in der diverse Prozesse digitalisiert sind. Die simpelste Lösung ist hier eine App der Stadt, in der sich die Bürger über Events informieren und Schäden oder Beschmutzungen im öffentlichen Raum melden können. Auch die Parkplatz-Suche wird smarter, indem Autofahrer die GPS-Funktion ihres Handys freigeben und so zum nächstgelegenen freien Parkplatz geleitet werden. Und Mülleimer sind mit Sensoren ausgestattet, die melden, sobald der Behälter voll ist – so soll das Abfall-Management optimiert werden.
Dabei ist Kaspar offen für Innovation, muss aber auch oft den Rechenstift ansetzen: „Ich bekomme rund 100 E-Mails pro Monat rund um Smart-City-Lösungen, aber 70 Prozent davon sind für uns nicht nützlich“, sagt er: 200.000 Kronen (rund 7.700 Euro) „sind uns einfach zu teuer für eine smarte Parkbank“.
Prag wird zur smarten Stadt
Rund 75 Kilometer weiter westlich, in der Hauptstadt Prag, ist man weniger skeptisch gegenüber smarten Parkbänken. In verschiedenen Teilen der Stadt werden die Bänke getestet, die gratis WLAN und Lademöglichkeiten für Smartphones bieten, sowie über Sensoren die lokale Luftverschmutzung testen.
Der Versuch ist nur eines von vielen Pilotprojekten der Vision „Smart Prag 2030“, laut der durch Datennutzung und Digitalisierung die Lebensqualität in der Stadt steigen soll. Neben den besagten Parkbänken wird zum Beispiel eine Infrastruktur getestet, mit der ein Elektrobus zwischen dem Hauptbahnhof und dem Flughafen fahren soll. Gratis WLAN, Ladestationen für E-Autos und Smart Metering werden massiv ausgebaut. Und Straßenlampen werden mit Sensoren ausgestattet, die unter anderem die lokale Luftverschmutzung messen.
Kontaktlose Zahlung als Teil des Konzepts
Bei vielen dieser Projekte sind Privatunternehmen wie Mastercard als Partner mit an Bord. Zum Beispiel wird ein System ausgebaut, bei dem Kunden in der Straßenbahn kontaktlos ihre Fahrscheine kaufen können, indem sie eine Karte einfach an den Fahrscheinautomaten halten. In vielen Fällen spuckt der Automat zwar noch immer einen Papier-Fahrschein aus, seit September wird jedoch in manchen Fällen die Kreditkarte, mit der die Fahrt bezahlt wurde, als Fahrschein akzeptiert.
Ebenso ist es möglich, an Tankstellen der Marke Shell zu bezahlen, ohne das eigene Auto zu verlassen. Das wird ermöglicht, indem der Kunde einfach einen QR-Code scannt und anschließend um jenen Betrag tanken kann, den er in der App eingegeben hat. Ein ähnliches Feature bietet Mastercard in Österreich auch bereits mit der OMV an. In Summe, so heißt es von Mastercard, ist die Bereitschaft der Tschechen zum kontaktlosen Bezahlen aber deutlich höher als in Österreich: Hierzulande liebt man nach wie vor das Bargeld.
Zukunft in Augmented Reality
Bei Operator ICT, einer Organisation hinter Prags Smart-City-Strategie, kann man sich schließlich noch ein Bild davon machen, welche weiteren Anwendungsszenarien rund um die Datenverwendung entstehen. Hier steht ein Mitarbeiter vor dem physischen Modell der Stadt und trägt eine AR-Brille, über die ihm zum Beispiel jene Daten zur Luftverschmutzung eingeblendet werden, welche zuvor von den Sensoren gesammelt wurden.
All dies wird zum Wohl der Bürger eingesetzt, heißt es dabei stets von den Initiatoren. Und Datenschutz soll garantiert werden, indem die gesammelten Daten nur anonymisiert ausgewertet werden. Ob solche Technologien auch für die Polizeiarbeit eingesetzt werden können? Vladimir Antonin Blaha, Sprecher von Operator ICT, zögert kurz, bevor er auf diese Frage antwortet: „Ja, mit den Daten aus dem Smart Parking könnte man zum Beispiel auch gegen Parksünder vorgehen.“
Disclaimer: Die Reisekosten nach Prag und Kolin wurden von Mastercard übernommen.
Kommentare