Assassin’s Creed Syndicate: GTA London im 19. Jahrhundert
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Nach einer müden Revolution im Vorjahr versucht es Ubisofts erfolgreiche “Assassin’s Creed”-Reihe mit einem neuen Szenario. Statt “Vive la révolution” heißt es dieses Mal “London calling” im Jahr 1868. Eine Ära, die von Queen Victoria, Jack the Ripper, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Erfindern geprägt wurde.
Zumindest das Szenario klingt vielversprechend, doch kann auch das Spiel überzeugen? Ubisoft verspricht dieses Mal eine wahre Flut an Neuerungen, die den katastrophalen Start des Vorgängers vergessen machen sollen. Die futurezone hat den bereits neunten Ableger der beliebten Reihe getestet.
Frau oder Mann?
Ein ungewöhnliches Bild bietet sich bereits beim Start. Statt einem gibt es dieses Mal gleich zwei spielbare Hauptcharaktere. Jacob und Evie Frye sind Zwillinge, die beide der Bruderschaft der Assassinen angehören. Kleinkriminelle im Süden Englands zu bekämpfen langweilt die beiden, woraufhin sie beschließen, nach London zu ziehen. Dort stoßen sie, in bester “Assassin’s Creed”-Manier, auf eine Verschwörung der Templer, der sie auf den Grund gehen.
Zurück in die Zukunft
Ubisoft hat an der grundlegenden Geschichte der Spielereihe wenig verändert. Während Jacob und Evie durch das London des 19. Jahrhunderts streifen, bekommt der Spieler immer wieder Zwischensequenzen aus der Gegenwart zu sehen. Dort jagen die Assassinen nach Hinweisen in den Erinnerungen von Jacob und Evie, um die Pläne der Templer im 21. Jahrhundert zu durchkreuzen. Dieser Handlungsstrang ist glücklicherweise zu einem Nebenschauplatz verkommen. Während es im Vorgänger noch spielerische Überschneidungen durch “Zeitsprünge” gab, in denen man beispielsweise plötzlich im zweiten Weltkrieg landete, bekommt man dieses Mal lediglich Zwischensequenzen präsentiert.
Das Spiel profitiert vom Fokus auf die Vergangenheit, denn so kann man auch im Rahmen der Kampagne in die Spielwelt eintauchen. Der Vorgänger bot lediglich eine recht starre Kampagne, in der man über Jahrzehnte verteilte Missionen sprang, wodurch das Open-World-Feeling von Black Flag verloren ging. Das feiert mit Syndicate eine triumphale Rückkehr, das Spiel ist (fast) von Anfang an frei erkundbar. Dank einiger neuer Elemente wird aus dem Titel ein “GTA light”, das es dieses Mal schafft, auch zu den Nebenmissionen zu motivieren.
Popcorn-Kino mit Schlachten
Dazu tragen auch die unterhaltsame Geschichte und die gut geschriebenen Nebencharaktere bei. Sei es die rachsüchtige Unternehmerin, der schusselige Charles Darwin oder der charmante, aber etwas naive Assassine aus London - im Gegensatz zu Unity mag man die Charaktere für ihre Persönlichkeit. Die Geschichte der Kampagne jagt weiterhin ein Klischee nach dem anderen, doch im Gegenteil zu Unity haben sich die Entwickler an lockerem Popcorn-Kino statt epischen Dramen versucht. Das Ergebnis ist deutlich unterhaltsamer und motiviert, sich auch einmal für wenige Stunden am Abend vor die Spielkonsole oder den PC zu setzen.
Auf Batmans Spuren
An den Hauptmissionen hat sich nichts verändert. Wie beim Vorgänger bietet das Spiel bereits mehrere Lösungswege für ein Attentat an, die als Hinweise auf der Karte markiert werden. Dem Spieler steht natürlich offen, andere Wege zu suchen, doch die vorgegebenen Wege sind meist mit Nebenzielen verknüpft und bringen zusätzliche Erfahrungspunkte. Wer Schleichen schätzt, darf sich über einige Hilfsmittel freuen, die den Alltag erleichtern. So muss der Spieler nicht mehr langwierig von Haus zu Haus klettern, um einen versteckten Eingang zu erreichen. Dank dem Seilwerfer kann er per Tastendruck im Batman-Stil fast jeden Vorsprung erreichen.
Aber eben nur fast, denn die Auswahl erscheint hin und wieder etwas willkürlich. Da kann es schon einmal eine Weile dauern, bis man einen Vorsprung entdeckt hat, an dem man sich hochziehen lassen kann. Als rasches Fluchtmittel, wie er von Ubisoft angepriesen wird, taugt er daher nicht wirklich. Er beschleunigt aber das Vorankommen in der Stadt deutlich, da man auch von oben nach unten rutschen kann. Die Steuerung beim Parcour wurde ebenfalls überarbeitet. Sowohl Jacob als auch Evie springen nun deutlich präziser von Vorsprung zu Vorsprung. Versehentliches Klettern oder Hängenbleiben bei Fenstern passiert nun deutlich seltener.
Mit Zug und Kutsche
Dieses Mal ist der Spieler auch mobil. Nachdem es in Paris kaum Kutschen gab, herrscht in London reger Verkehr. Hier hat sich Ubisoft ausgetobt und rund ein Dutzend verschiedene Kutschentypen nachgebaut. Angefangen beim kleinen flotten Modell für zwei Personen bis hin zum zweistöckigen Kutschenbus, die Vielfalt ist groß. Das Fahrgefühl variiert spürbar, lediglich die Maximalgeschwindigkeit scheint bei allen Kutschen gleich zu sein - egal ob nun ein oder zwei Pferde vorgespannt sind. Per Tastendruck kann das Pferd kurzzeitig zum galoppieren gebracht werden, zudem kann der Spieler andere Kutschen recht einfach rammen.
Schönes London, hässliches Paris
Grafisch hat sich kaum etwas verändert, es kommt weiterhin die AnvilNext-Engine zum Einsatz. Obwohl sich technisch wenig getan hat, kommen die Effekte im London des 19. Jahrhunderts deutlich besser zur Geltung als im prunkvollen Frankreich des 18. Jahrhunderts. Das liegt vor allem an der stärkeren Abwechslung in den Szenarien. Statt von Palast zu Palast zu turnen, kämpfen sich Jacob und Evie mal durch eine Höllen-ähnliche Stahlfabrik, dann wieder durch eine surreale psychiatrische Anstalt oder sind auf einem im rasanten Tempo fahrenden Zug unterwegs. Vor allem die detaillierten Gebäude und das aufwändige Schadensmodell der Kutschen kommen hier gut zur Geltung.
Auch die Bewegungs-Animationen der Charaktere sind sehr gut gelungen und wirken geradezu beängstigend realistisch. Für Enttäuschung sorgen jedoch die Animationen der Gesichter sowie die Gesichtstexturen. So mancher Bart wirkt, als wäre er mit Filzstift aufgemalt oder mit UHU-Stick aufgeklebt. Hier sollte sich Ubisoft ein Beispiel an “The Order: 1886” nehmen, das seine Charaktere aus dem 19. Jahrhundert geradezu Hollywood-reif animiert hat. Unglücklicherweise muss man anmerken, dass auch Syndicate nicht ohne technische Probleme auskommt. Da man dieses Mal aber auf einen Multiplayer-Modus verzichtet, beschränken sie sich dieses Mal auf die Grafik.
So verschwanden in einigen Zwischensequenzen die Charaktere oder sie blieben an unsichtbaren Hürden hängen. Zumindest die Probleme mit der Bildrate konnte man in den Griff bekommen, da auf Londons Straßen deutlich weniger Betrieb herrscht als im Paris von Unity. Dennoch wirkt die Stadt lebendig. Ein großes Lob kann man auch für die Vertonung aussprechen. Während im Vorgänger kaum jemand Französisch sprach, hallt es in Syndicate im feinsten Cockney-Dialekt durch die Straßen - auch wenn die Sprache auf Deutsch eingestellt wurde. Die deutschen Synchronsprecher verrichten ebenfalls einen guten Job, allerdings passte die Stimme hin und wieder nicht zum Alter der Figur.
Fazit
Nach dem Debakel im Vorjahr konnte es eigentlich für “Assassin’s Creed” nur mehr besser werden. Doch Ubisoft Quebec hat die Chance überzeugend genutzt und hat einen der besten Ableger der Reihe abgeliefert. Abwechslungsreiche Missionen, eine unterhaltsame Geschichte sowie lange überfällige Anpassungen der Spielmechanik sorgen für ein unterhaltsames Gesamtpaket. Im Gegensatz zum Vorgänger kann man hier ohne Zweifel sagen: Es macht einfach Spaß. Auch beim Umfang hat man nicht gespart, die Kampagne beschäftigt knapp 15 Stunden, mit den Nebenmissionen steigt die Spielzeit auf 25 Stunden. “Assassin’s Creed”- und Action-Adventure-Fans können bedenkenlos zugreifen.
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