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New Tales from the Borderlands im Test: Pubertär, brutal, herzig

Fran macht sehr guten Frozen Joghurt - aber wenn sie wütend wird, dann rette sich, wer kann!

Nach dem bedauernswerten Aus der Spieleschmiede Telltale war die Hoffnung vieler Fans gestorben, eine Fortsetzung ihrer Lieblingsgeschichten zu erhalten. Darunter auch Tales from the Borderlands, eines der überraschendsten Story-Point-and-Click-Adventures.

Es erzählte die Geschichte des Konzern-Angestellten Rhys auf der Suche nach seiner Beförderung und der cleveren Con-Artist Fiona. Es zeigte nicht nur eine ganz neue Seite des Loot-Shooters Borderlands, sondern bewies enorm viel Empathie und starke Charaktere.

Borderlands-Entwickler Gearbox war davon so begeistert, dass Rhys es in den dritten Teil der Shooter-Reihe schaffte. Nun haben sie mit New Tales from the Borderlands einen eigenen Nachfolger herausgebracht. Der bringt alle Vor- und Nachteile mit sich, wenn ein neuer Entwickler sich den Stil des Vorgängers zu eigen macht. Das ist weder gut noch richtig schlecht. Es ist anders.

Glorreiche Anti-Held*innen

Ich schlüpfe abwechselnd in die Rolle von 3 Figuren, deren Schicksale eng miteinander verwoben sind. Froghurt-Verkäuferin Fran versucht sich mit ihrem beliebten Laden über Wasser zu halten und ihr Aggressionsproblem in den Griff zu bekommen. Die sehr schlaue aber sozial wenig kompetente Anu versucht, mit einer noch nicht ganz ausgereiften Erfindung gegen den Waffenfetisch in der Welt anzugehen. Ihr Bruder Octavio ist davon überzeugt, irgendwann in die erfolgreichsten Top 100 unter 30 zu schaffen, verbringt seine Zeit bis dahin aber mit dem Killer-Roboter LOU13.

Wer die Borderlands-Welt kennt weiß, dass sich Gearbox seit Jahren bemüht, unterhaltsame Geschichten, liebenswerte Charaktere und überraschend tiefsinnige Ansätze in den brutalen, knallbunten Loot-Shooter zu verpacken. Es ist aber ein Unterschied, ob man eine lineare Story schreibt oder Spieler*innen zumindest vorgaukelt, eigene Entscheidungen treffen zu können. Das merkt man häufiger daran, dass es zwar 4 Dialogoptionen gibt, diese sich aber oft maximal durch die Formulierung voneinander unterscheiden. Es gibt begrenzte Möglichkeiten, die Charaktere zu formen.

Vermutlich versucht man deshalb auch den Fokus auf die Stärkung der Beziehung der Charaktere zueinander zu lenken. Nach jedem abgeschlossenen Kapitel bewertet LOU13 mithilfe einer mehr oder weniger ausgeklügelten Skateboard-Skala, wie gut oder schlecht das Teamwork der 3 Protagonist*innen ist. Wirklich gravierende Auswirkungen hat das nur auf das Spielgefühl, nicht auf das Geschehen. 

Wunderschön, aber langatmig

Es passiert viel in den 10 bis 12 Spielstunden. Schön gestaltete neue und aus der Spielereihe bekannte Schauplätze werden besucht. Dabei muss man sich vor der Optik verneigen, denn die Cellshading-Grafik war selten so detailreich und schön, wie in diesem Spiel. Haupt- und Nebencharaktere sind charmant und gut geschrieben.

Allerdings zeigt sich, warum Telltale seine Geschichten in wohl portionierten Episoden herausgebracht hat. Zwar ist New Tales in Kapitel unterteilt, man wird aber doch immer wieder ohne Pause ins Abenteuer geworfen. Doch nach vielen Spielstunden merkt man, dass sich einige Stellen ganz schön ziehen, wenn man wenig mehr als gelegentliche Quicktime-Events zu meistern hat.

Für mich waren vor allem die gesichtslosen Gegner in ihren Rüstungen der cleverste Part. Gearbox spielt gekonnt mit dem Vorurteil, generische Gegnerhorden niederzuballern, indem sie ihnen zwar kein Gesicht, aber viel Persönlichkeit geben. Bei jedem Treffen diskutieren, philosophieren und scherzen sie und es steht außer Frage, dass sich Personen unter dem Helm befinden.

Pipi-Kacka Humor, Klischees und verschenktes Potenzial 

Aber Borderlands wäre nicht Borderlands, wenn es kein pubertäres Gag-Gewitter gäbe. Es vergehen kaum 5 Minuten ohne übertriebene sexuelle Anspielungen oder Pipi-Kacka-Humor. Da muss man durch und manchmal ist das sogar lustig – vielleicht haben sie mich aber auch nach alle den Stunden einfach gebrochen. Es wirkt ein wenig zu forciert, denn irgendwann wissen wir: Anu hält sich für schlauer als alle, Octavio denkt er ist der Allergrößte und Fran ist notgeil. Das nutzt sich nach einer halben Stunde ab und dann will ich ein bisschen mehr, bekomme aber nur mehr desgleichen.

Das ist schade, denn ich bin nicht nur ein großer Fan dieser Art von filmischem, storylastigen Spiel, sondern sehe enormes Potenzial in Borderlands und halte viel von den Geschichtenschreibern bei Gearbox. Zuletzt haben sie das bravourös bei Tiny Tinas Wonderland bewiesen. Die Voraussetzungen sind alle da, es scheitert aber daran, das wirklich in der Komplexität umzusetzen, die man sich von einem Telltale-Spiel erwartet.

Insgesamt ist es gut geschrieben und kurzweilig, lediglich das Ende verfängt sich in Klischees und abgedroschenen Sci-Fi-Tropes. Gearbox beherrscht es aber exzellent, skurrile Figuren zu schreiben, zu denen man trotzdem eine Nähe aufbaut. Ja, es ist absurd, dass ständig ein Typ in einem Kühl- oder anderweitigem Schrank steckt, der uns zum Spielen mit Action-Figuren herausfordert, gnadenlos verliert und in Schande wieder in seinen Schrank zurückkehrt. Gleichzeitig moniert er, wie teuer der Wohnraum ist und er sich keine andere Bleibe leisten kann, also bringt man irgendwann Verständnis für seine Situation auf.

Generell ist eben genanntes Mini-Spiel mit Actionfiguren auf bizarre Weise unterhaltsam. Man sammelt Charaktere aus allen Borderlands-Teilen, die verschiedene Stärken und Schwächen haben. Mit ihnen tritt man gegen Herausforderer an.

Die Kämpfe sind inszeniert wir Arcade-Fighter, in Wahrheit klickt man aber nur ganz schnell mit der Maus oder masht Buttons: Die beiden Actionfiguren werden gegeneinander gehauen, bis einer gewinnt. Obwohl ich kein einziges Mal auch nur gefährdet war zu verlieren, hat mir dieser kindische Quatsch Spaß gemacht. Ich fand die Idee schön und liebe es, wie ernst die fiktiven Charaktere dieses Spiel im Spiel nehmen.

Fazit

Es ist immer schwierig, das Game eines anderen Studios zu übernehmen. Deswegen war es gut, dass sich Gearbox eine ganz eigene, neue Story überlegt hat. Sie setzen aber deutlich stärker als Telltale voraus, dass Spieler*innen die Borderlands-Welt kennen. Das ist für Fans sehr unterhaltsam, für alle anderen aber schwer zugänglich.

Ich freue mich jedenfalls, dass Gearbox selbst so begeistert von der eigenen Welt ist und Geschichten auf eine Art und Weise erzählen will, die meilenweit vom Kernpublikum entfernt ist. Diskutieren statt schießen ist das Motto, das auch zu einem der zentralen Themen des Spiels wird. Gewalt scheint in dieser Welt unumgänglich zu sein. Umso spannender ist es, dass sich die Erschaffer eines Shooters, indem im Sekundentakt das Blut spritzt, überhaupt damit auseinandersetzen, welchen Stellenwert Waffen und Brutalität in der eigene Spielwelt haben. Spieler*innen haben oft die Möglichkeit, einen friedlichen Weg zu gehen - aber auch nicht immer, denn diese Welt ist nunmal brutal.

Auch wenn New Tales from the Borderlands keine große Offenbarung des Storytellings ist, hatte ich über weite Strecken eine gute Zeit mit den Figuren. Ich hoffe, Gearbox belässt es nicht bei einem Experiment, sondern findet einen eigenen Stil für solche Storygames. Sie haben immer wieder bewiesen, das sie ernste Themen gut verpacken können. 

New Tales from the Borderlands (2K, Gearbox) ist für Steam, Epic, Xbox Series, Xbox One, PS5 und PS4 erschienen. Das Basisspiel kostet 39,99 Euro - es ist aber davon auszugehen, dass man hier schon bald ein günstigeres Angebot finden wird.

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Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

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