DEMONSTRATION GEGEN CORONA-MASSNAHMEN
© APA/GEORG HOCHMUTH / GEORG HOCHMUTH

Meinung

Alles nicht so schlimm?

Gegner der Corona-Maßnahmen argumentieren oft damit, dass "nur" 1% an Corona sterben. Die Maßnahmen zu beenden, wäre jetzt aber ein schwerer Fehler

Sind wir denn alle Feiglinge? Wir wissen doch längst: COVID-19 ist für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen harmlos! Wäre es nicht vernünftig, alle Maßnahmen zu beenden, dem Risiko mutig entgegenzublicken und die Coronaviren-Infektion einfach auf sich zu nehmen?

Nein. Es ist verständlich, dass sich nach einem langen, nervenzehrenden Lockdown viele Menschen wünschen, dass die Lösung so einfach wäre – aber das ist sie nicht.

Eines ist natürlich wahr: Wer an COVID-19 erkrankt, hat normalerweise eine ziemlich gute Überlebenschance. In Österreich sind bisher weniger als 2% der positiv getesteten Personen gestorben. Aufgrund der Dunkelziffer ist die tatsächliche Todesrate höchstwahrscheinlich noch geringer, vermutlich eher in der Größenordnung von 1%. Also liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit bei 99%. Das klingt doch nicht so schlimm!

Vergleichen – aber womit?

Das ist allerdings ein logischer Fehler: Fast jede Sache kann man sich schönreden, wenn man sie mit noch schlimmeren Dingen vergleicht. Klar: Verglichen mit einem Weltkrieg ist die Corona-Pandemie harmlos. Verglichen mit der Pest, die im 14. Jahrhundert ungefähr ein Drittel der europäischen Bevölkerung umbrachte, ist COVID-19 lachhaft. Und verglichen mit dem Ausbruch des Supervulkans Toba, der vor gut 70.000 Jahren weltweit die Sonne verfinsterte und möglicherweise die Menschheit an den Rand des Aussterbens brachte, ist ohnehin ziemlich alles egal.

Andererseits aber fürchten wir uns vor vielen Dingen, die deutlich weniger gefährlich sind als COVID-19. Alleine in Österreich fordert die Pandemie Tag für Tag mehr Todesopfer als sämtliche Haiattacken der Welt in einem ganzen Jahr. In den USA starben bei den Terroranschlägen des 11. September 2001 rund 3.000 Menschen – so viele Corona-Tote gibt es in den USA derzeit Tag für Tag. In der gesamten Geschichte des Flugverkehrs starben weniger Menschen an Flugzeugabstürzen als derzeit weltweit in einem einzigen Monat an COVID-19. Auch Killerbienen oder nukleare Reaktorkatastrophen haben unvergleichlich viel weniger Menschen umgebracht als die Corona-Pandemie. Wir können uns nicht vor solchen Dingen fürchten und gleichzeitig COVID-19 für harmlos erklären – das ist irrational.

Überlebt heißt nicht überstanden

Noch schwerwiegender ist aber ein anderer Denkfehler: Wenn nur 1% der Infizierten stirbt, heißt das nicht, dass die anderen kurz husten und dann wieder gesund sind. Viel höher als die Zahl der Toten ist die Zahl der Leute, bei denen die Krankheit einen quälend schweren Verlauf nimmt und zu Langzeitschäden führt. Auf jeden Corona-Toten kommen mehrere Menschen, die wegen COVID-19 an dauerhaften Herz- oder Lungenschäden leiden, die neurologische Probleme bekommen oder langfristig mit Schwäche und Müdigkeit kämpfen. Und wenn man das berücksichtigt, dann wird aus einem einzigen Prozent, das beinahe harmlos klingt, plötzlich ein relevanter Anteil der Gesamtbevölkerung. Rechnet man das hoch, kommt man auf gigantische Zahlen: Wollen wir europaweit Millionen Langzeitgeschädigte einfach so in Kauf nehmen?

Klar ist auch: Die größte Gefahr ist eine Überlastung des Gesundheitssystems, wie sie in manchen Regionen bereits aufgetreten ist. Wir konnten das bisher noch abwenden – allerdings nur ziemlich knapp. Und wer ein loderndes Feuer im Dachgebälk mit viel Anstrengung gerade mal knapp daran hindern kann, auf die unteren Stockwerke überzugreifen, sollte sich wohl davor hüten, die Gefahr für beendet zu erklären und das Löschwasser abzustellen.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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