Strumpfhosen können einem manchmal den letzten Nerv rauben.
Strumpfhosen können einem manchmal den letzten Nerv rauben.
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Das Nylonstrumpf-Prinzip

Ein ehemaliger Direktor der Weltbank erklärte einmal, die Wirtschaft sei der Untergang der Welt. Sie erlaube es, dass die Dänen jedes Jahr tonnenweise Kekse in die USA exportieren, die USA ebenfalls tausende von Tonnen Keksen nach Dänemark. Die Keksfrachtschiffe verbrauchen tausende von Tonnen Erdöl. „Warum“, fragte der Weltbank-Direktor, „tauschen sie nicht einfach ihre Rezepte aus?“

Weil es das Internet noch nicht gab, könnte man sagen. Das Netz ist das ideale Medium zum transkontinentalen Austausch von Keksrezepten. Und bald werden wir Kekssimulationen haben, die dem natürlichen Kekserlebnis in keiner Weise nachstehen oder es an kommunikativem Knuspern sogar noch übertreffen werden. Wohl nicht zufällig hieß eines der ersten - harmlosen - Computerviren „Cookie“. Es machte sich in unregelmäßigen Abständen bemerkbar, indem alle Funktionen des Rechners angehalten wurden und auf dem Bildschirm die Zeile „I want a cookie“ erschien; nachdem man „c-o-o-k-i-e“ eingetippt hatte, ging es wieder weiter.

Etwas Großes erzeugen

Das Internet bedeutet, dass der Mensch wieder einmal im Begriff ist, etwas Großes zu erzeugen, das er nicht versteht – und zwar, um es zu verstehen. Wir spannen ein weltweites Online-Universum auf, um unsere Fähigkeit des Verstehens weiterzuentwickeln. Die Fähigkeit, komplexe Strukturen zu durchschauen und handzuhaben. Ist eine solche neue Komplexität einmal erkannt, erlernt und eingeübt, können wir sie in unserem Bewusstsein nach hinten schieben wo sie dann gewissermaßen halbautomatisch läuft und zur Selbstverständlichkeit wird.

Risiko, in Silizium gegossen

Die Entwicklung eines öffentlichen, individuell zugänglichen und wirtschaftlich nutzbaren Datenraums hat weder gezielt begonnen, noch findet sie geregelt im Sinn einer Vorhersagbarkeit statt.

Bereits mit dem kombinatorischen Potential von Mikrochips hat der konstruierende und programmierende Verstand seine Grenzen überschritten. Niemand mehr kann die Vielzahl an Schaltmöglichkeiten abschätzen, die ein Chip mit Millionen von Transistoren in sich birgt. Es ist Risiko, in Silizium gegossen.

Schon in den Siebzigerjahren hatte der kritische Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum über unkontrollierbare Programme geschrieben, die von fluktuierenden, längst in alle Winde verstreuten Teams verfasst wurden und bei denen niemand mehr weiß, wie und nach welchen Kriterien sie eigentlich funktionieren. Einige dieser Programme haben während des Vietnamkriegs nach Vorgabe von Aufklärerdaten die Bomberziele für die nächste Angriffswelle ausgewählt.

Das Nylonstrumpf-Prinzip

Und das Netz ist die derzeit umfassendste und bemerkenswerteste Art der kombinatorischen Unübersichtlichkeit. In globalen Verflechtungen steigert es die Fehlermöglichkeiten von Hard- und Software ins Unermessliche. Ich nenne es das Nylonstrumpf-Prinzip: je enger die Maschen werden, desto mehr Löcher entstehen zwischen ihnen. Ohne diese phantastischen neuen Fehlermöglichkeiten wären sowohl Cyberkriminelle als auch Nachrichtendienste vollkommen aufgeschmissen. Diese Unübersichtlichkeit lädt also ein zu einem kühnen Menschheitsabenteuer.

Onlinesein – was bedeutet das eigentlich? Um die Funktionsweise des Radios zu beschreiben, erklärte Albert Einstein: „Sehen Sie, drahtgebundene Telegraphie ist etwas wie eine sehr, sehr lange Katze. Sie ziehen in New York am Schweif und hören es in Los Angeles miauen. Verstehen Sie? Und das Radio funktioniert genauso: Sie senden ihre Signale von hier aus, und dort empfangen sie sie. Der einzige Unterschied ist, dass da keine Katze ist.“

Onlinesein, könnte man nun hinzufügen, bedeutet nicht einfach nur, dass da keine Katze ist, sondern dass niemand genau weiß, wo nun eine Katze ist und wo keine, dass es darüber hinaus virtuelle Katzen gibt, und dass es trotzdem miaut.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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