Fake News und Fakten: Der Punkt, an dem wir uns treffen können
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Wenn eine Fußballspielerin den Ball fünf Meter neben das Tor schießt, wird man ihr nicht dafür gratulieren, ihre Schuhe sehr ordentlich zugebunden zu haben. Wenn ein Sänger auf der Opernbühne keinen einzigen Ton trifft, wird man ihn nicht für seine schöne Frisur loben. Wenn wir das Gefühl haben, dass jemand einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat, dann reden wir über diesen Fehler – und nicht über andere Dinge, die vielleicht durchaus in Ordnung waren. Das ist logisch und nachvollziehbar.
In Diskussionen über Fakten, Fake News und Politik ist das aber ein Problem. Auch da fixieren wir unseren Blick auf das, was wir falsch finden, nicht auf die Meinungen des Gegenübers, die vielleicht durchaus in Ordnung waren. Und dann ziehen wir dann den Schluss: Die andere Seite ist vollkommen verrückt geworden.
Das ist natürlich falsch. Oft wurzelt die Meinung, die wir für dumm, unsinnig oder gar skandalös halten, in einer Überlegung, die durchaus diskutabel ist, bei der man sich vielleicht sogar einigen kann. Irgendwo dazwischen ist ein Fehler passiert – und genau diesen Punkt müssen wir suchen.
Wenn mir jemand wutschnaubend erklärt, dass die Sache mit dem Klimawandel eine Lüge ist, die nur erfunden wurde, um die europäische Industrie zu zerstören, dann liegt er falsch. Ich könnte nun mit Klimastatistiken kommen, über die Falsifizierbarkeit von Klimamodellen reden, und über die Zerbrechlichkeit von Ökosystemen. Aber eigentlich geht es darum gar nicht. Klüger ist es, zunächst mal den Punkt zu suchen, an dem wir uns noch ungefähr annähern können.
Vielleicht geht es meinem Gegenüber um die Angst, restriktive Klimapolitik könnte unsere Wirtschaft und damit unseren Wohlstand gefährden. Dann müssen wir aber genau darüber reden – und nicht über Klimamodelle. Ja, es wäre in der Tat eine dumme Idee, unsere Industrie abzuschaffen, unseren Lebensstandard zurückzufahren, ein Leben wie in früheren Jahrhunderten anzustreben, um dem Klima zu helfen. Kein vernünftiger Mensch hat das je gefordert, und in Wahrheit ist Klimaschutz gerade für die Wirtschaft höchst wichtig – aber es kann nützlich sein, mal festzuhalten, dass wir uns da einig sind.
Corona
Wenn jemand die Corona-Pandemie für eine Verschwörung hält, um Menschen zuhause einzusperren, dann liegt er falsch. Ich könnte nun mit medizinischen Studien argumentieren, mit Übersterblichkeitsraten und Durchimpfungszahlen. Aber eigentlich geht es darum gar nicht.
Wenn mein Gegenüber das Gefühl hat, die Politik habe auf allzu drastische Weise in sein Leben eingegriffen, ist es vielleicht sinnvoller, wenn ich offen zugebe, dass man über Schulschließungen und Impfpflicht unterschiedlicher Meinung sein kann, und dass gewisse Corona-Regeln zweifellos irrational und überzogen waren. Damit stoße ich oft auf Verwunderung: Mein Gegenüber nahm mich als Gegner wahr und ging dann ganz selbstverständlich davon aus, dass ich ihm in keinem einzigen Punkt zustimmen kann. So ist das aber nicht – auch wenn ich am Ende, bei den Schlussfolgerungen, ganz anderer Meinung bin.
Es ist ein bisschen wie in der Schule, wenn man mit anderen die Mathematikhausübung verglichen hat und auf unterschiedliche Ergebnisse kam. Es ist völlig sinnlos, laut brüllend zu streiten, welches Ergebnis nun richtig ist. Man muss zurückgehen, bis zu dem Rechenschritt, bei dem man sich noch einig ist. Von dort aus sind wir in zwei verschiedene Richtungen gegangen. Lasst uns also darüber reden, warum wir uns dort voneinander getrennt haben. Alles andere ergibt sich dann daraus.
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