US-Präsident Trump im Weißen Haus.

US-Präsident Trump im Weißen Haus.

© EPA / YURI GRIPAS / POOL

Meinung

Trumps bizarrer Krieg gegen Schmerzmittel

Paracetamol soll angeblich Autismus und ADHS bei Kindern verursachen.

Es waren starke Worte, die Donald Trump bei einer Pressekonferenz schwangeren Frauen auf der ganzen Welt entgegenschmetterte: Nehmt kein Paracetamol! Kämpft wie die Hölle dagegen! 

Denn der Wirkstoff des Schmerzmittels soll angeblich Autismus und ADHS bei Kindern verursachen, behauptete der US-Präsident, nach Instruktionen seines Gesundheitsministers Robert F. Kennedy. Wie reagiert man auf solche Nachrichten, wenn man vielleicht gerade schwanger ist und schreckliche Schmerzen hat? Wenn man krank geworden ist und das Fieber senken möchte?

Na gut, man weiß vielleicht, dass Donald Trump sich in der Vergangenheit nicht unbedingt als glänzendster Botschafter wissenschaftlich-rationaler Fakten präsentiert hat. Aber was, wenn er in diesem Fall doch recht hat? Soll man nicht sicherheitshalber doch die Zähne zusammenbeißen und den Schmerz ohne Schmerzmittel ertragen? Nein. Dafür gibt es aus wissenschaftlicher Sicht keinen Grund.

Autismus wird häufiger erkannt

Tatsache ist: Die Zahl der Kinder, bei denen Autismus oder ADHS diagnostiziert wird, ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Das dürfte vor allem daran liegen, dass man sich über solche Diagnosen früher kaum Gedanken gemacht hat. Was heute oft diagnostiziert wird, gab es vorher auch schon – nur blieb es eben häufig unentdeckt. Aber natürlich ist es sinnvoll, trotzdem die Frage zu stellen: Könnte es auch äußere Einflussfaktoren geben, die diesen Effekt verstärken?

Robert F. Kennedy ist davon überzeugt. Und so verkündete er bereits im April: Bis September werde er die wahre Ursache von Autismus identifiziert haben! Schon damals sorgte diese Aussage in der Gesundheitsforschung für Kopfschütteln: So funktioniert Wissenschaft nicht. Man kann Daten sammeln, Studien in Auftrag geben, Analysen durchführen. Aber man kann nicht einfach verkünden, dass man in 5 Monaten die endgültige, zuverlässige Antwort haben wird. Niemand kann das vorher wissen.

Aber wen kümmert schon ehrliche Wissenschaft, wenn man auch ohne belastbare Fakten weltweit beachtete Pressekonferenzen machen kann. Und so kam der September und Kennedy musste liefern. Eigentlich hatte man erwartet, der bekennende Impf-Kritiker Kennedy würde Impfungen als Ursache von Autismus identifizieren, aber es kam anders: Die Schuld wurde dem Medikament Tylenol in die Schuhe geschoben, bei uns bekannt als Paracetamol.

Das klingt seltsam. Schließlich steht Paracetamol dezidiert auf Listen von Medikamenten, die in der Schwangerschaft als ungefährlich gelten. Trotzdem ist das nicht eine von vornherein völlig irrationale Annahme. Tatsächlich gab es vor Jahren Hinweise darauf, dass es einen geringen, aber doch messbaren statistischen Zusammenhang zwischen Paracetamol-Einnahme und Autismus geben könnte.

Viele mögliche Erklärungen

Was passiert in so einem Fall? Werden die Daten von dunklen Mächten vertuscht? Von Pharma-Firmen unterdrückt? Von unredlichen Politikern geheim gehalten? Nein. Im Gegenteil. Man versucht, die Frage wissenschaftlich solide zu beantworten. 

Das ist schwierig, denn es gibt unzählige Faktoren, die das Ergebnis in diesem Fall beeinflussen können. Spielen genetische Faktoren eine Rolle? Die Lebensweise? Die Ernährung? Das Alter der Eltern?

Es könnte sein, dass nicht Paracetamol Autismus verursacht, sondern dass es eine Krankheit gibt, die einerseits die Autismus-Wahrscheinlichkeit erhöht und andererseits Schmerzen und Fieber verursacht, sodass Frauen mit dieser Krankheit häufiger Paracetamol nehmen. Dann ergäbe sich ein statistischer Zusammenhang, aber das Paracetamol wäre nicht daran schuld.

Es kann auch sein, dass Frauen autistischer Kinder, denen man einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus einredet, einige Jahre nach der Schwangerschaft besonders intensiv nachgrübeln und sich dann doch noch an einen Fall erinnern, bei dem sie Paracetamol genommen haben – während Frauen ohne autistische Kinder vielleicht genauso viel Paracetamol genommen haben, aber sich einfach nicht mehr daran erinnern, weil sich die Frage in ihrem Fall weniger wichtig anfühlt. Diesen Effekt nennt man „Recall Bias“, und er ist in solchen Studien schwer in den Griff zu bekommen.

Wenn die Rohdaten also unter Frauen, die Paracetamol nehmen, eine höhere Autismus-Quote detektieren, sagt das zunächst noch überhaupt nichts aus. Es ist kein Grund zu Angst, es ist einfach ein Grund für genauere Untersuchungen.

Studie mit zweieinhalb Millionen Kindern

Und genau solche Untersuchungen wurden durchgeführt, in einer großen Gemeinschaftsarbeit von US-amerikanischen und schwedischen Forschungsteams, in die fast 2,5 Millionen Kinder einbezogen wurden. Selbst winzige Effekte, selbst eine marginale Steigerung der Autismus-Gefahr durch Paracetamol müsste sich auf diese Art nachweisen lassen.

Außerdem wurde dabei – im Gegensatz zu anderen Studien – Vergleiche zwischen Geschwistern gezogen. Das ist wichtig, weil Geschwister genetisch eng verwandt sind und meist auf ähnliche Weise großgezogen werden. Dadurch kann man durch Geschwister-Analysen bestimmte Effekte aufspüren und herausrechnen. Diese Studie fand keinen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus – und sie konnte auf Basis der Geschwister-Analysen sogar erklären, warum vorherige kleinere Studien fälschlicherweise den Eindruck erzeugt hatten, es könnte so einen Zusammenhang geben.

Eigentlich ist die Sache damit also erledigt. Eine durchaus berechtigte Angst wurde untersucht – und widerlegt. Damit könnte man die Angelegenheit nun ruhen lassen. Aber Trumps Berater sahen das anders, trotz der großen, detaillierten Studie halten sie an der Paracetamol-Autismus-These fest.

Nein, Vorsicht ist nicht besser

Nun könnte man sagen: Vielleicht sind Kennedy und seine Leute einfach nur extrem vorsichtig? Ist es nicht durchaus rational, sicherheitshalber vor etwas zu warnen, wenn es zumindest theoretisch gefährlich sein könnte? Aber das ist ein Irrtum. Jedes Verhalten hat immer ein Risiko. Schmerzmittel zu nehmen hat ein Risiko, kein Schmerzmittel zu nehmen hat auch ein Risiko. Man minimiert das Risiko nicht, indem man pharmazeutische Produkte generell ablehnt. In Zeiten, in denen die Menschheit weder Medikamente noch synthetische Chemie oder hoch verarbeitete Lebensmittel hatte, lag die Kindersterblichkeit irgendwo zwischen 20 und 50%.

Was Trump und Kennedy hier machen, ist nicht Vorsicht, sondern eigentlich eine Unverschämtheit: Sie geben Müttern die Schuld für Autismus ihrer Kinder. Sie reden Frauen ein, auf Schmerzmittel verzichten zu müssen, obwohl diese Schmerzmittel wissenschaftlich bestens geprüft und für unbedenklich befunden sind. Sie bringen Menschen dazu, Schmerzen zu haben, die unnötig wären. Das ist das Gegenteil von dem, was Politik und Medizin leisten sollten.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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