Das Havanna-Syndrom: Symptome sind noch kein Beweis
Es begann in der US-Botschaft in Havanna: Botschaftsangestellte klagten dort 2017 über Kopfschmerzen, Übelkeit, Tinnitus und Schwindelgefühl. Später wurden in anderen diplomatischen Einrichtungen ähnliche Fälle bekannt, von Washington bis Wien. Man spricht vom „Havanna-Syndrom“, auch in letzter Zeit mehrten sich wieder die Berichte darüber.
Kann es sein, dass feindliche Mächte dahinterstecken? Russland wurde verdächtigt – schließlich gibt es eine ganze Reihe von Kreml-Kritiker*innen, die Opfer von Vergiftungen wurden. Ist es da nicht naheliegend, dass der Kreml auch für das Havanna-Syndrom verantwortlich sein könnte? Vielleicht gibt es neue, bisher unbekannte Strahlenwaffen, mit denen man die Botschaftsangehörigen unbemerkt quälen kann? Könnte es sich um unhörbaren Schall handeln? Oder um Mikrowellen? Oder Radiowellen? Die US-Geheimdienste nahmen das sehr ernst, Untersuchungen wurden durchgeführt, echte Belege allerdings fand man nicht.
Dabei müsste es aus physikalischer Sicht eigentlich recht einfach sein, solche Strahlen nachzuweisen: Ultraschall, Infraschall, Mikrowellen oder Radiowellen – all das können wir Menschen zwar nicht wahrnehmen, aber es lässt sich mit den passenden Messgeräten problemlos aufspüren. Sollte es so eine Strahlenquelle geben, die irgendjemand von außen auf Botschaftsangehörige richtet, müsste sich das eigentlich recht rasch klar zeigen lassen.
➤ Mehr lesen: Mysteriöses Havanna-Syndrom: Ergebnisse von großer Studie sind da
Bekannte Symptome
Auffällig ist allerdings, dass es sich hier um sehr unspezifische Symptome handelt, die bei jedem Menschen manchmal vorkommen. Wer sich mit Verschwörungstehorien befasst, kennt das: Genau diese Symptome werden immer genannt, wenn es um unsichtbare, schwer fassbare Gefahren geht. Egal ob Handystrahlen, 5G-Sendemasten, die HAARP-Anlage in Alaska oder Infraschall von Windkraft-Anlagen: Immer sind es Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Konzentrationsstörungen. Auch wenn sich dann vielleicht herausstellt, dass der 5G-Sendemast gar nicht eingeschaltet war. Oder die Windkraftanlage viel weniger Infraschall produziert als die Straße daneben.
Genau solche unspezifischen Symptome haben wir alle manchmal und wir empfinden sie als besonders störend und quälend, wenn wir uns auf sie konzentrieren. Wenn nun also das Gerücht in Umlauf ist, dass feindliche Mächte mit Strahlenwaffen die Botschaft attackieren, ist es nur eine Frage der Zeit, bis in der Botschaft jemand über solche Symptome klagt. Das ist keine Täuschung, keine Lüge, keine Einbildung – so funktionieren wir Menschen nun einmal.
➤ Mehr lesen: Chinas neue Mikrowellenwaffe ist ein „Gamechanger”
Schmerzen kann man nicht fernsteuern
Tatsächlich gibt es Experimente mit Strahlenwaffen – aber die passen, soweit sie bekannt sind, nicht zum Havanna-Syndrom. Man kann etwa Menschen mit Mikrowellen bestrahlen, die erhitzen dann die Haut und verursachen Schmerz.
Die Vorstellung, dass man mit elektromagnetischen Strahlen das Denken verändern, ins Hirn eingreifen, eine Schmerzempfindung quasi ins Hirn hineinfunken könne, ist hingegen unplausibel. So funktioniert unser Gehirn nicht. Schmerzen oder gar Konzentrationsunfähigkeit sind komplizierte Phänomene, an denen bestimmte Nervenzellen auf ganz bestimmte Weise beteiligt sind. Wie man sie auf kontrollierte, vorhersagbare Weise von außen mit einer elektromagnetischen Welle steuern könnte, ist völlig unklar.
Bei Radiowellen ist das sogar noch weniger plausibel – sie lassen sich nicht einmal auf eine bestimmte Person fokussieren. Und auch mit Ultraschall oder Infraschall gibt es keine bekannten Mechanismen, die solche Symptome plausibel machen könnten.
Heißt das, dass der Verdacht entkräftet ist? Dass es garantiert keine mysteriösen Strahlenwaffen gibt? Dass das Havanna-Syndrom kein Grund zur Sorge ist? Nein, das heißt es nicht. Die Nichtexistenz einer Gefahr kann man prinzipiell nicht beweisen. Vielleicht handelt es sich tatsächlich um eine sehr exotische Technologie, die ganz anders funktioniert als bisher bekannte Waffen.
Doch die Erfahrung lehrt: Man soll in solchen Fällen zunächst vorsichtig sein. Man soll nicht voreilig eine ausgeklügelte Attacke vermuten, so lange auch viel simplere Erklärungen für die bestehenden Beobachtungen ausreichen.
Kommentare