
Bei ihrer Feldforschung in den Pyrenäen messen Nicolas Zimmer und Frank Zwaan Bodengase.
Kann "weißer" Wasserstoff aus den Alpen fossile Brennstoffe ablösen?
Industrie und Forschung setzen große Hoffnungen in Wasserstoff (H2) als Brennstoff für die klimafreundliche Zukunft. Das Problem: Seine Herstellung ist derzeit aufwendig, ineffizient und CO2-intensiv. Eine mögliche Lösung könnte natürlich vorkommender, sogenannter weißer Wasserstoff sein.
➤ Mehr lesen: Wie mit Licht Wasserstoff erzeugt wird
Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Geoforschung in Potsdam präsentierte in der Fachzeitschrift Science Advances kürzlich ein neues geologisches Computermodell, das die Entstehung von Wasserstoff in den Alpen und Pyrenäen abbildet.
Die "Farben" des Wasserstoffs
Je nachdem, woher die Energie zur Herstellung des Wasserstoffs herkommt, erhält er im Sprachgebrauch eine andere "Farbe". Das sind die wichtigsten:
- "Weißer" Wasserstoff kommt natürlich vor. Manchmal wird er auch als "golden" bezeichnet.
- "Grün" bedeutet, dass der Wasserstoff aus erneuerbaren, sauberen Energien, wie Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft, z. B. durch Elektrolyse, produziert wird.
- Als "Grau" gilt jener, der aus Erdgas (Methan) hergestellt wird. CO2 ist ein Nebenprodukt dieses Vorgangs.
- Eine Abstufung ist der "blaue" Wasserstoff. Hier wird das CO2 nicht in die Atmosphäre abgegeben, sondern mittels Carbon Capture and Storage-Technik (CCS) gespeichert und unterirdisch gelagert.
- "Türkiser" Wasserstoff entsteht bei der sogenannten Methanpyrolyse. Ausgangsstoff ist ebenso Methan, bei der Herstellung entsteht aber fester Kohlenstoff (Kohle), der gelagert oder weiterverarbeitet werden kann.
- "Schwarzer" Wasserstoff wird aus Kohlekraft gewonnen, "roter" Wasserstoff aus Atomkraft und „gelber“ aus dem Strommix des öffentlichen Netzes.
Entstehung von Wasserstoff durch „Serpentinisierung“
Das Team um den Geologen Frank Zwaan nahm dabei die sogenannte Serpentinisierung in den Fokus. Olivine, eine Gruppe von Mineralien, die häufig im Erdmantel vorkommen, reagieren bei diesem Prozess mit Wasser und setzen dabei Wasserstoff frei. „Diese Mineralien befinden sich üblicherweise tief unten, so 30 bis 40 Kilometer, und da gibt es kein Wasser, sodass die Serpentinisierung nicht stattfinden kann“, erklärt der gebürtige Niederländer.
➤ Mehr lesen: Der innere Erdkern ist weicher als gedacht
Wenn die entsprechenden Gesteinsschichten allerdings weiter an die Oberfläche gelangen, auf eine Tiefe von etwa 5 bis 10 Kilometern, ergeben sich die richtigen Bedingungen für die Entstehung von Wasserstoff. Neben Wasser braucht es auch die passenden Temperaturen: Serpentinisierung funktioniert bei über 200 Grad Celsius am besten.
Tektonische Verschiebungen für passende Bedingungen
Es gibt 2 Möglichkeiten, wie das Gestein aus dem Erdmantel weit genug an die Oberfläche kommen kann, erklärt Zwaan: „Einerseits durch Rifting, also wenn die Erdkruste weit gedehnt wird und aufreißt, was zum Beispiel im Atlantik der Fall ist. Andererseits bei der Gebirgsbildung.“
Auf dem Tiefseegrund entstünden dadurch „Schwarze Raucher“, heiße Quellen, aus denen unter anderem große Mengen von Wasserstoffverbindungen freigesetzt werden, sagt der Geologe. Den natürlichen Wasserstoff dort nutzbar zu machen, sei allerdings sehr schwierig – im Gegensatz zu solchem, der im Gebirge entsteht. In den Bergen befinden sich nämlich notwendige Speichergesteine wie poröser Sandstein, in denen sich der Wasserstoff anreichern kann.

Wir würden hier gerne ein Youtube Video zeigen. Leider haben Sie uns hierfür keine Zustimmung gegeben. Wenn Sie diesen anzeigen wollen, stimmen sie bitte Youtube zu.
Bisher nur Simulationen
Mit ihrem Computermodell haben Zwaan und sein Team simuliert, wann und wo in den Alpen und Pyrenäen tektonische Prozesse zur Bildung von natürlichem Wasserstoff führen können. So kann eingegrenzt werden, wo vielversprechende Reservoirs zu erwarten sind. Darunter fällt das Mauléon-Becken in Südfrankreich, die Gegend um Ivrea im Nordwesten Italiens und das Ronda-Massiv in Südspanien. Auch Graubünden in der Ostschweiz, wo Zwaan derzeit forscht, gilt als potenzielles Explorationsgebiet für natürlichen Wasserstoff.

Panoramablick auf die Schweizer Alpen. Der Kanton Graubünden in der Ostschweiz gilt als potenzielles Explorationsgebiet für Wasserstoff.
© Frank Zwaan, GFZ
Das bedeutet natürlich nicht, dass dort bald in großem Stil abgebaut werden kann. „Meine Modelle alleine werden nicht genug sein, wir müssen noch viele Details verstehen und Feldforschung betreiben“, betont Zwaan.
David Misch, Professor für Energy Geosciences an der Montanuniversität Leoben glaubt nicht, dass natürlicher Wasserstoff aus Serpentinisierung schnell nutzbar gemacht werden kann: „Die Einschätzungen zu Wasserstoff-Vorkommen gehen in der noch jungen Forschungscommunity sehr weit auseinander, die Erkundung ist noch in den Kinderschuhen.“
Feldforschung in den Pyrenäen
Im Mauléon-Becken in der Nähe von Toulouse in Südfrankreich wurden bereits Wasserstoff-Vorkommen nachgewiesen, die wahrscheinlich durch Serpentinisierung entstanden. Schätzungen zufolge werden in diesem Ausläufer der Pyrenäen jährlich bis zu 600.000 Tonnen Wasserstoff gebildet.
Das sei genug, um Toulouse mit seinen etwa 500.000 Bewohnerinnen und Bewohnern ein ganzes Jahr lang zu versorgen, heißt es in der Studie. Genaueres werde derzeit in einem Feldforschungsprojekt untersucht, erzählt Zwaan.
Zufallsfunde in Mali und im Osten Frankreichs
Im Jahr 1987 wurde in Mali das weltweit erste größere Vorkommen natürlichen Wasserstoffs entdeckt: Statt Wasser wurde bei einer Brunnenbohrung in Bourakébougou, einem Dorf nahe der Hauptstadt Bamako, Wasserstoff gefunden. 2007 stellte sich heraus, dass der Wasserstoff-Anteil des Gases, das aus dem nur 100 Meter tiefen Loch strömt, 98 Prozent beträgt. 2012 wurde ein Generator installiert, der die Umgebung seither mit klimaneutralem Strom versorgt.
In Folschviller im französischen Departement Moselle an der Grenze zu Deutschland wurde vergangenes Jahr ebenfalls zufällig Wasserstoff entdeckt, wie die Schweizer Wochenzeitung WOZ berichtete. Ein Team der Université de Lorraine hatte in alten Kohlegruben nach Methan gesucht, in 1,2 Kilometern Tiefe dann überraschenderweise eine Wasserstoffkonzentration von 20 Prozent gemessen.
➤ Mehr lesen: Rekordhoch bei Methan-Emissionen: Das sind die Schuldigen
Ob und wie das Vorkommen, das auf 250 Millionen Tonnen geschätzt wird, genutzt werden kann, ist noch nicht klar. Bei diesen Vorkommen sei allerdings keine Serpentinisierung im Spiel, sagt Zwaan.
Wahrscheinlich keine Serpentinisierung in Österreich
Zwaans Modelle treffen keine Aussagen über die österreichischen Alpen. Es gebe in Westösterreich zwar passende Gesteinsschichten, die seien jedoch vermutlich zu weit an der Oberfläche, erklärt der Geologe.
„In Österreich ist kein Gebiet bekannt, wo man morgen anfangen könnte, Wasserstoff zu gewinnen“, sagt Montanuniversitätsprofessor Misch. „Riesenfunde mit ökonomischer Relevanz“ gebe es schlicht noch nicht.
➤ Mehr lesen: Radioaktive Strahlung in Österreich: So wird sie gemessen
Mischs Kollege Reinhard Sachsenhofer ergänzt, dass Serpentinisierung nicht der einzige natürliche Prozess sei, bei dem Wasserstoff gebildet wird, auch über natürliche Radioaktivität sei das möglich. Damit erhöhen sich theoretisch die Chancen, irgendwo natürlichen Wasserstoff zu finden. „Grundlagenforschung zahlt sich deshalb auf jeden Fall aus“, meint der Geologe.
Wasserstoff-Abbau mit Geothermie kombinieren
„Mit fossilen Ressourcen hatte man bisher sehr bequeme, etablierte Energiequellen, deshalb hat man lange nicht nach natürlichen Wasserstoffvorkommen gesucht“, sagt Zwaan. Für die Energiewende brauche es jetzt möglichst schnell neue Lösungen, zu denen er mit seinen Modellierungen beitragen will: „Vieles, was wir gerade für Wasserstoff untersuchen, ist auch für andere Zwecke interessant, zum Beispiel Mineralien aus der Tiefe abzubauen, oder Geothermie.“

Wir würden hier gerne ein Youtube Video zeigen. Leider haben Sie uns hierfür keine Zustimmung gegeben. Wenn Sie diesen anzeigen wollen, stimmen sie bitte Youtube zu.
Die Umweltauswirkungen eines möglichen Abbaus von natürlichem Wasserstoff im Gebirge schätzt Zwaan als vergleichsweise gering ein: „Man muss ein paar Monate lang bohren, aber danach hat man nur ein paar Rohre – es gibt keine Umweltverschmutzung, wenn man das richtig macht.“
➤ Mehr lesen: Neue Technologie könnte der Durchbruch für Wasserstoff sein
Wasserstoff für die Industrie
Forschung alleine reiche nicht, um irgendwann mit natürlichem Wasserstoff zur Energiewende beitragen zu können, meint Zwaan: „Unternehmen müssen sich dafür interessieren, Behörden müssen Bedingungen schaffen, und dann hoffen wir, dass das klappt.“
Doch selbst wenn auf einmal ungeahnte Mengen weißen Wasserstoffs vorhanden wären und Unternehmen diese nutzen wollen würden, könnte man damit nicht einfach etablierte fossile Brennstoffe ersetzen. Die Infrastruktur, zum Beispiel Pipelines und Speicher, müssten erst angepasst werden, sagt Misch von der Montanuniversität Leoben.
➤ Mehr lesen: Wie heißer Stahl dabei hilft, Wasserstoff effizient zu gewinnen
„Wir brauchen dringend nachhaltigen Wasserstoff für die Stahlerzeugung und andere hochtemperaturindustrielle Prozesse“, betont der Forscher. Der größte Teil an Wasserstoff, der derzeit in der österreichischen Industrie zum Einsatz kommt, werde weiterhin aus fossilen Brennstoffen produziert.
Kommentare