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Peter Glaser: Zukunftsreich

Ist der Mensch algorithmisierbar?

Ich unterhielt mich einen Abend lang mit einem Gehirnchirurgen und versuchte es hinauszuschieben, aber irgendwann entschlüpfte mir das ReizsignalComputer“. Ich erwartete erstaunliche Einblicke in die neuesten Verbindungen zwischen Neurologie und Technologie. Der Gehirnchirurg aber sah mich ein wenig traurig an. „Wir gehen da direkt rein ins Gehirn“, sagte er freundlich, „und wissen eigentlich nichts darüber.“ Was mich auf den amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener brachte. Bei medizinischen Forschungen in den vierziger Jahren hatte Wiener entdeckt, dass die Bewegungen der menschlichen Hände über einen elektrischen Regelmechanismus gesteuert werden, der auch auf Maschinen übertragen werden kann.

The Wiener takes it all

Wiener hat uns zwei bedeutende Begriffe hinterlassen: Kybernetik und Menschmaschine. Er sah voraus, dass Rechenmaschinen nicht nur Fließbänder und ganze Fabriken automatisieren können. Seine Analogie von der Menschmaschine breitete sich rasch aus. Bereits in den Siebzigerjahren hatten auch die Lebenswissenschaften die Computer-Metaphorik übernommen. Bei neuronalen Prozessen im Gehirn war nun von „verschalten“ die Rede, aus „erinnern“ wurde „speichern“. In neuer Verkleidung wurde das alte mechanistische Weltbild fortgeführt, das die Schöpfung als ein Uhrwerk betrachtet, welches vollständig verstanden und nachgebaut werden kann.

Im Oktober 1956, ein Jahr vor dem Start des ersten künstlichen Himmelskörpers Sputnik, blickte Wiener zukunftsgewiss vom Umschlag des „Spiegel“. Anlässlich der Montage einer 400 Zentner schweren, sieben Millionen D-Mark teuren „Denkapparatur” der Firma Remington-Rand im Frankfurter Batelle-Institut prophezeite ein Manager der Herstellerfirma: „Frei von der eintönigen Routinearbeit wird der Mensch zunehmend wieder Zeit für schöpferische Aufgaben haben.”

Ist das Gehirn ein Computer?

Anders als die Remington-Leute war Wiener für einen Amerikaner ungewöhnlich fortschrittsskeptisch. „Das Gehirn ist ein Computer”, so lautet sein berühmtester Satz. Aber Computer gleichen eher modernen Fernsehstars: Sie sind ein bisschen beschränkt und hektisch. Die von Wiener prognostizierte automatische Fabrik würde neue Beschäftigungsprobleme aufwerfen – „ich war mir nicht sicher, schon die richtigen Antworten auf alle diese Probleme in der Hand zu haben. Wenn diese Umwälzung uns unvorbereitet träfe, würden wir der größten Arbeitslosigkeit entgegen gehen, die wir je erlebt haben.”

Ausradierte Arbeit

„Obwohl die Automation schon seit längerem stetig an Boden gewinnt“, schrieb der amerikanische Kulturphilosoph Lewis Mumford zehn Jahre später, „ist seltsamerweise erst in jüngster Zeit das Problem aufgetaucht, welche Bedeutung es hätte, wenn der Großteil des menschlichen Arbeitslebens ausradiert würde. Auch heute erkennen nur wenige, dass dieses Problem, einmal ehrlich ausgesprochen, das Endziel der Automation ernsthaft in Frage stellt. Was die mögliche Schaffung einer vollautomatisierten Welt betrifft, so können nur Ahnungslose ein solches Ziel als den höchsten Gipfel menschlicher Entwicklung ansehen. Es wäre eine Endlösung der Menschheitsprobleme nur in dem Sinne, in dem Hitlers Vernichtungsprogramm eine Endlösung des Judenproblems war.“

Willkommen in der Zukunft

Mehr und mehr müssen Arbeiter und Angestellte heute mit dem Effizienztakt der Maschinen Schritt zu halten versuchen. 2012 kaufte Amazon für 775 Millionen Dollar die relativ unbekannte Firma Kiva Systems – die zweitgrößte Akquisition der Amazon-Firmengeschichte. Kiva, heute Amazon Robotics, stellt mobile Lagerroboter her. Ein Analyst sieht durch die Maschinen ein Einsparpotential von zwischen 20 und 40 Prozent pro Bestellung.

Ängste und Euphorie über Automatisierung sind nicht neu. „Bald“, so ein Toast, den der englische Wirtschaftsminister Peter Thorneycroft im Jahre 1955 vor Ingenieuren und Wissenschaftlern aus 26 Ländern ausbrachte – „Bald wird es überall automatische Fabriken, das heißt, menschenleere Betriebe, geben." Experten aus aller Welt waren zu einer Konferenz in London zusammengekommen, Thema: Der Vormarsch der Roboter.

Dampfmaschinen verboten

Immer wieder sind Berufe im Sand der Zeit versunken. Es gibt keinen Aufwecker mehr, der an die Fenster klopft, keine Gaslaternenanzünder, keinen Milchmann und auch Scharfrichter bekommen längst nicht mehr überall eine Anstellung. Und immer wieder stemmten Menschen sich gegen die Maschinen. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts war es in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina verboten, Dampfmaschinen zu betreiben, aus Angst, die Maschine könne zu viele Baumwollarbeiter brotlos machen.

Früher verloren während solcher Rationalisierungsschübe ungelernte Arbeiter und Angestellte ganz unten in der Hierarchie ihre Jobs. Heute ist auch das Führungspersonal betroffen. Die auf Gesundheits- und Biotechnologie spezialisierte chinesische Fondsgesellschaft Deep Knowledge hat eine Deep-Learning-Software namens VITAL („Validating Investment Tool for Advancing Life Sciences“) als stimmberechtigtes Mitglied in den Vorstand aufgenommen. Das System soll die Fähigkeit besitzen, Markttrends zu erkennen, die für Menschen nicht sofort offensichtlich sind.

Was Simon Sharwood von der frechen britischen Technologie-Website The Register allerdings zu dem Einwand veranlasste, Software sei weder eine natürliche noch eine juristische Person – und das Programm ebensowenig ein Vorstandsmitglied wie das Pferd des römischen Kaisers Caligula ein Senator gewesen sei.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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