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Peter Glaser: Zukunftsreich

Verhalten schalten

In der Verfilmung von Tom Wolfes Reportageroman „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ sieht man Astronautenanwärter - Affen und Menschen - in hektischen Gegenschüssen miteinander konkurrieren, Mensch als auch Tier in dasselbe über mehrere Achsen drehbare Trainingsgestühl gesteckt, wild rotierend und bunte Knöpfe drückend. Lebewesen, die auch unter Ausnahmebedingungen wie gewohnt zu funktionieren versuchen.

Aus den elektrischen Knöpfen von damals sind heute molekularbiologische Versionen geworden – Pillen. Nicht nur die runde Form und das Abrufen spezieller Funktionen erinnern an den guten, alten Knopf. Wieder sind es Tiere und Menschen, die vom aktuellen Stand der Knopfdruck-Philosophie profitieren sollen: einen Knopf drücken und etwas verschwindet.

Stimmungsaufheller im Grundwasser

Für depressive oder verhaltensgestörte Zweibeiner gibt es chemische Stützungshilfen neuerer Generation, die selektiven Serotonin-Hemmer (SSRI). Sie blockieren die Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin, der sich im Zentralnervensystem unter anderem auf die Stimmungslage auswirkt. Der bekannteste SSRI-Wirkstoff ist Fluoxetin, den das Pharma-Unternehmen Eli Lilly 1987 unter dem Markennamen Prozac bekanntgemacht hat. In den USA wird die Zahl der Fluoxetin-Konsumenten heute auf 20 Millionen geschätzt. In Großbritannien wird das Antidepressivum so häufig verschrieben, dass es inzwischen das Trinkwasser belastet.

Da dieser blühende Markt nicht auf den Bereich der Humanmedizin beschränkt werden oder stagnieren sollte, war der Vorstoß ins Veterinäre nur eine Frage der Zeit. In amerikanischen und britischen Zoos werden verhaltensgestörte Tiere nicht nur mit Menschenmedikamenten wie Valium behandelt. Auch die schlagkräftigen SSRI-Stimmungsaufheller sind seit längerem im Einsatz. Man habe „das Recht, Psychopharmaka kurzfristig zu nutzen“, meint ein Zoo-Arzt – allerdings nur, um„den wahren Grund der Depression“ zu ermitteln.

Handhabbar per Glücksdroge

Wie ernsthaft der Hinweis beherzigt wird, dass Medikamente nur eine Verhaltenstherapie unterstützen können („Ohne begleitende Therapie sind Medikamente sinnlos!“), ist schwer zu sagen. Die Verlockung, schwierige oder verhaltensauffällige Tiere ruhigstellen oder quasi per Glücksdroge in sanfte Seligkeit und Handhabbarkeit transformieren zu können, ist zweifellos vorhanden. SSRI-skeptische Tierärzte kritisieren, die medikamentierten Mitwesen würden chemisch „zugerüstet und instrumentalisiert“. Sie sprechen sich dafür aus, die Pillen nicht dem Tier, sondern seinem Halter einzuflößen – der ist meist der Grund dafür, wenn die Katze, das Känguru oder der Hund einen Dachschaden haben.

Trennungsangst bei Hunden wird mit Clomicalm behandelt, für verhaltensgestörte Katzen heißt das gleiche Mittel Clomipramin und wurde bereits 1963 als Antidepressivum (für Menschen) patentiert. Der Patentschutz ist abgelaufen, nun folgt, wie bei anderen Wirkstoffen, die Zweitkarriere in der Tiermedizin. Der zunehmende Bedarf an Psychopillen für „Partnertiere“ - allein der Markt in den USA wird auf über eine Milliarde Dollar geschätzt. beruht auf den sich vertiefenden Bindungen zwischen Mensch und Haustier, verbunden mit unnatürlichen Haltungsbedingungen. „Ich habe prinzipiell nichts gegen den Einsatz von Psychopharmaka“, sagt die Verhaltenswissenschaftlerin Dorit Urd Feddersen-Petersen, die an der Universität Kiel Grundlagenforschung über Hunde betreibt, „befürchte jedoch, dass Hunde damit zunehmend angepasst werden an völlig inadäquate, nicht artgerechte Haltungsbedingungen. Dadurch schreitet die ohnehin schon starke Instrumentalisierung von Heimtieren durch den Menschen weiter fort."

Tiere patchen

Von Halsbändern, die auf Knopfdruck Elektroschocks abgeben oder Zitronensäure versprühen über Pheromon-haltige Duftsprays bis zu Hightech-Pillen gibt es bereits ein eindrucksvolles Arsenal an chemischen Mitteln zur Verhaltenssteuerung. Dabei haben die Vorstellungen, die viele Tierhalter vom Wesen und „richtigen“ Verhalten ihrer Haustiere haben, oft wenig mit der Realität zu tun. Aber statt die falschen Vorstellungen zu beheben, wird immer öfter versucht, das vermeintlich falsche Verhalten der Tiere mit immer massiveren Mitteln zu korrigieren und die Tiere zu „patchen“. Benehmen sich die nicht wie gewünscht ganz auf den Menschen ausgerichtet und stören durch ihr arteigenes, angeborenes Verhalten, werden sie zurechtbehandelt oder abgegeben. Die meisten sogenannten Verhaltensstörungen bei Tieren sind gar keine, sondern ein normales, aber unerwünschtes Verhalten.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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