Personen 2011: Von Steve Jobs bis Anonymous
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Analyse

Anonymous vs. Facebook: Kampf um Privatsphäre

“Remember, remember the 5th of November” - mit diesen Worten wird in Großbritannien jedes Jahr dem Scheitern der Schießpulververschwörung (“Gunpowder Plot”) gedacht. Am 5. November 1605 hätte der britische König - ein Protestant - samt damals neu eröffnetem Parlament in die Luft gesprengt werden sollen. Die katholischen Verschwörer unter der Führung des Sprengstoffexperten Guy Fawkes wurden damals geschnappt und exekutiert.

406 Jahre später hat der 5. November neue Bedeutung bekommen. Er gilt heute als Jahrestag des Hacker-Kollektivs Anonymous, das in Österreich unter dem Namen “AnonAustria” höchst aktiv ist. Die Guy-Fawkes-Maske haben sich Mitglieder und Unterstützer von Anonymous zum Markenzeichen gemacht. Seit rund dreieinhalb Jahren taucht der freche Grinser mit dem Spitzbart bei immer mehr Demonstrationen auf - zuletzt bei der globalen “Occupy”-Bewegung (zu dt. “besetzen”) im Oktober, in deren Rahmen auch in Wien gegen soziale Ungleichheit, das Bankenwesen und Korruption demonstriert wurde.

Operation Facebook
Für den 5. November hat Anonymous die “Operation Facebook” angekündigt. Im Laufe des Samstags wird mit einem Cyber-Angriff auf das Online-Netzwerk Facebook gerechnet, dessen Zwang zur Preisgabe der echten Identität unvereinbar mit der Anonymität der Hacker scheint. "Wir erwarten einen möglichen Angriff von Anonymous genauso, wie wir andere Angriffe an jedem anderen Tag erwarten”, so eine Facebook-Sprecherin. “Allerdings haben wir Partnerschaften aufgebaut und Backend-Systeme sowie Protokolle entwickelt, die es uns erlauben, uns allen Herausforderungen zu stellen.”

Der österreichische Sicherheits-Experte Joe Pichlmayr von Ikarus Security Software rechnet nicht mit einem konzertierten DDoS-Angriff, der Facebook komplett lahmlegen könnte. Dafür seien die Server-Kapazitäten des Online-Netzwerks zu mächtig. “Innerhalb des Hacker-Kollektivs gab es bereits große Zweifel, dass es die Falschen treffen könnte”, so Pichlmayr. Seine Sicherheitsfirma hat bereits Nachforschungen angestellt und konnte keine Aktivierungen großer Bot-Netze feststellen. Pichlmayr glaubt eher, dass einzelne Anonymous-Mitglieder gezielt die Profile von Politikern oder Firmen angreifen könnten, um dort Daten zu ergattern oder deren Freundesnetzwerke offenzulegen. “Aber das werden wir erst am Sonntag oder danach genau wissen.”

Kein DDoS-Angriff
Auf Pastebin.com, jener Webseite, auf der bisher immer wieder Dokumente durch angebliche Anonymous-Mitglieder veröffentlicht wurden, wurde von Unbekannten ein Fahrplan für die “Operation Facebook” veröffentlicht. Darin ist unter anderem die Rede davon, dass keine DDoS-Attacke stattfinden soll, sondern Facebook und seine Geschäftsmethoden vielmehr an den virtuellen Pranger gestellt werden sollen - etwa mit Propaganda-Videos, dem systematischen Anlegen von gefälschten Profilen oder einem Boykott der Webseite.

Facebook ist die größte Datenbank über Menschen auf dem Planeten. Diese Daten werden Behörden und Firmen zugänglich gemacht”, heißt es. Zudem würde Facebook die privaten Informationen nicht gut genug schützen, Datendieben leichtes Spiel machen und Daten auch nach der Löschung durch die Nutzer behalten. “Mit der Attacke können wir die sozialen Netzwerke der Zukunft davon überzeugen, Daten privat und sicher zu halten.”

Weitere Operationen
Unterdessen ist Anonymous auch an ganz anderen Fronten aktiv: So wurde kürzlich bei der “Operation Darknet” eine Kinderpornographie-Webseite gehackt, deren Videomaterial von den Servern gelöscht und die IP-Adressen von etwa 200 Nutzern veröffentlicht. Unterstützung wollen sie dabei von Entwicklern des Web-Browsers Firefox bekommen haben, die mit der Bereitstellung eines Zertifikats für das manipulierte Plugin “Torbutton” aushalfen. Mit diesem konnten die Besucherdaten der Kinderporno-Seite unbemerkt aufgezeichnet werden.

In Mexiko hat Anonymous außerdem dem Drogenkartell “Zetas” damit gedroht, Daten über Kartell-Mitglieder und Helfer zu veröffentlichen, sollte ein entführtes Anonymous-Mitglied nicht freigelassen werden. Aus Angst um Menschenleben hatte sich ein Teil der Hacker von der Drohung wieder distanziert, während eine andere Gruppe daran festhält.

Sympathien der "Occupy"-Bewegung
Letzterer Fall zeigt wieder deutlich: Die Anonymous-Bewegung ist keineswegs einheitlich und organisiert - im Prinzip kann jeder zum Mitglied und unter dem Pseudonym aktiv werden. Die weite Verbreitung der Fawkes-Maske verdeutlicht dabei, dass die Hacker mittlerweile große Sympathie genießen und sich viele von ihren Forderungen - Recht auf freie Meinungsäußerung, Datenschutz und Privatsphäre - angesprochen fühlen.

“Es gibt viele Überschneidungspunkte zwischen Anonymous und der Occupy-Bewegung”, sagt Pichlmayr. “Beiden geht es ja ganz grundlegend um das Hinweisen und Aufdecken von Misständen.” Dass nun viele politisch und gesellschaftlich Engagierte die Anonymous-Symbolik annehmen, sollte man aber nicht mit illegalen Hacking-Aktivitäten verwechseln. Insgesamt glaubt Pichlmayr, dass sich aus dieser Bewegung eine politisch relevante Partei mit Chancen auf zweistellige Wahlergebnisse bilden wird - “egal, ob die Piratenpartei oder Wutbürger Österreichs heißt.”

Verbotene Maske
Den  Weg in die Popkultur hat die Guy-Fawkes-Maske über den Hollywood-Film „V wie Vendetta“ geschafft. Die Verfilmung des gleichnamigen Comics mit Natalie Portman spielt in einem fiktiven England im Jahr 1997, in dem der Anarchist „V“ gegen ein faschistisches Regime kämpft. Sein Symbol ist die Maske.

Comic und Film dürften jene Hacker inspiriert haben, als sie Anfang 2008 ihren Online-Kampf gegen die umstrittene religiöse Bewegung „Scientology“ auf die Straße trugen. „Tausende Mitglieder sind hinter ihren Computern hervorgekommen und haben auf der Straße  protestiert“, sagt die US-Forscherin Gabriella Coleman, die als "Anonymous"-Kennerin bekannt ist. „Die Anonymous-Aktivisten haben gewusst, dass sie ihre Identität verbergen müssen, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten.“ Der US-Konzern Time Warner nimmt übrigens viel Geld ein, seitdem die Masken im Verkauf boomen – denn er besitzt die Lizenzrechte an dem Bild.

In Österreich besteht seit 2002 ein Vermummungsverbot bei Versammlungen. Auch die Fawkes-Maske darf deswegen bei Demonstrationen nicht getragen werden. In der Praxis muss man sie nach Aufforderung der Polizei abnehmen, ansonsten riskiert man eine Geldstrafe oder im schlimmsten Fall eine Arreststrafe von bis zu sechs Wochen.

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Jakob Steinschaden

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