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Netzpolitik

„Gesamte Überwachung ist schwer zu überblicken“

Videoüberwachung, IMSI-Catcher, kleiner Lauschangriff, Bodycams oder Fluggastdaten: All diesen Begriffen gemein ist, dass es sich dabei um Überwachungsmaßnahmen handelt, die der Staat in Gesetzen festgeschrieben hat. In welchen, ist oft auch für Experten schwer zu überblicken, wie die Juristin Angelika Adensamer am Donnerstag in einer Pressekonferenz erklärt.

Undurchsichtige Gesetze

„Es ist schwierig, alle Befugnisse zu überblicken: Etwa, wer was wann ermitteln darf, in welchen Datenbanken was gespeichert wird und wer darauf Zugriff hat. Die Befugnisse sind über mehrere Gesetze hinweg verteilt und es ist daher alles etwas undurchsichtig – selbst für Experten“, so die Datenschutz-Spezialistin.

Sie hat zusammen mit der Bürgerrechtsorganisation epicenter.works das „Handbuch Überwachung“ präsentiert, welches sie für die NGO herausgebracht hat. Darin werden die einzelnen staatlichen Überwachungsarten aufgelistet, eingeordnet und anhand von veröffentlichten Zahlen erklärt. Zudem gibt es einen Überblick über die einzelnen Gesetze, mit denen staatliche Überwachung geregelt ist.

Technologie verändert Befugnisse

Doch das Ausmaß der Überwachung kann sich auch ändern, wenn Gesetze gleichbleiben. Und zwar dann, wenn neue Technologien eingeführt werden. „Die Gesichtserkennung ist derzeit etwa mit der Videoüberwachung geregelt, dabei kann diese Technologie viel mehr“, sagt Adensamer. Personen könnten mit Hilfe von Gesichtserkennungstechnologie etwa in Echtzeit gescannt und verfolgt werden. Oder aber die Bilder aus Überwachungskameras werden im Nachhinein nach bestimmten Gesichtern durchforstet, wie es von der Polizei geplant ist. „Wenn sich Technologien ändern, muss man auch die Befugnisse neu evaluieren“, sagt die Juristin.

Mia Wittmann-Tiwald, Co-Vorsitzende der Fachgruppe Grundrechte in der Richtervereinigung, ergänzt, dass notfalls Gerichte als Kontrollinstanz fungieren müssten. „Grundrechte sind die Grundpfeiler einer Demokratie und daher ist es die Aufgabe von Gerichten zu überprüfen, ob Gesetze verhältnismäßig sind. Der Weg ist zwar sehr aufwendig, aber die Komplexität ist den Gerichten schon zumutbar.“

Zahlreiche Überwachung gekippt

Überwachungsgesetze, die vom Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt worden sind, umfassen etwa die Vorratsdatenspeicherung, das Privacy Shield, den Bundestrojaner sowie die automatische Kfz-Kennzeichenüberwachung. Die beiden letztgenannten waren Teil des Überwachungspakets, das von der schwarz-blauen Regierung beschlossen worden war.

Auf die Frage, wie die neue türkis-grün Regierung mit Überwachungsmaßnahmen umgehe, reagierte epicenter.works-Geschäftsführer Thomas Lohninger vorsichtig: „Ob die neue Regierung weniger Überwachung im Programm hat, lässt sich noch nicht beantworten. Das wird sich erst zeigen, wenn etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorliegt.“

v.l.n.r.: Mia Wittmann-Tiwald, Angelika Adensamer, Thomas Lohninger

Sunset Clauses bei Corona-Gesetzen

Positiv anzumerken sei, dass im Regierungsübereinkommen zwischen ÖVP und den Grünen eine „Überwachungsgesamtrechnung“ vorgesehen sei – eine langjährige Forderung der Organisation. Gesetzliche Regelungen von Ermittlungsmaßnahmen bestehender Überwachungssysteme sollen laut dem Regierungsprogramm mit Hilfe der Zivilgesellschaft und Experten evaluiert werden. „Das muss allerdings bald passieren, bevor die Legislaturperiode vorbei ist“, fordert Lohninger.

Die Corona-Krise hat allerdings wahrscheinlich so manche Vorhaben der Regierung durcheinander gebracht. Doch wie sehen eigentlich die Experten die Corona-Maßnahmen? „Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen sind massive Grundrechtseinschränkungen. Die Frage ist, ob sie verhältnismäßig sind. Derzeit sind sie mit einer Ausnahmesituation zu begründen“, sagt Lohninger dazu. Als Organisation kritisch sehe man etwa die Befugnisse der Polizei, COVID-19-Symptome abzufragen. „Die Regierung muss erst in einen normalen Alltagsmodus zurückkommen, um beurteilen zu können, ob Überwachung aus- oder zurückgebaut werden soll“, sagt der epicenter.works-Geschäftsführer.

Generell sei aber ein Trend zu bemerken, dass Gesetze immer öfter mit sogenannten „Sunset Clauses“ versehen seien, so Lohninger. Das bedeutet, dass diese mit einem Datum versehen werden, mit dem sie wieder aufgehoben werden, oder verlängert werden müssen.

Das sind kritische Entwicklungen

Entwicklungen, die man sich aus der Sicht von epicenter.works „genauer anschauen“ sollte, umfassen die Gesichtserkennung, IMSI-Catcher, die SIM-Karten-Registrierungspflicht, die Aufweichung des Briefgeheimnisses sowie die Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung (PNR) der EU. Der Verein, der sich seit 10 Jahren gegen den Ausbau von Überwachung einsetzt, hat hier zusammen mit einer anderen Beschwerdeführerin eine Klage eingebracht. Diese liegt aktuell beim Gericht, doch weil es den gesamten EU-Raum betrifft, wird zuerst ein anderes Verfahren, das derzeit vom EuGH behandelt wird, abgewartet. „Viele der Überwachungsmaßnahmen kommen auch aus der EU“, sagt Adensamer.

Das „Handbuch Überwachung“ von epicenter.works kann online kostenlos abgerufen und gelesen werden. Gegen eine Gebühr von 29,90 Euro wird es an Interessenten auch per Post verschickt.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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