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Netzpolitik

IoT-Kongress: "Autonome Fahrzeuge haben Vorurteile"

„Technologien, so wie wir sie gestaltet haben, haben immer schon etwas mit unserer Gesellschaft getan“, sagt Christopher Frauenberger, Forscher an der TU Wien, bei seiner Keynote am IoT-Fachkongress bei Austrian Standards in Wien. Er bringt auch sogleich ein Beispiel aus dem IoT Bereich: Es dreht sich um ein Fußgängererkennungssystem von autonomen Fahrzeugen. Da seien Vorurteile eingebaut, so Frauenberger. Frauen – und vor allem dunkelhäutige Frauen – würden dadurch allgemein schlechter erkannt. „Damit gibt es eine Vorhersageungleichheit und autonome Fahrzeuge erhöhen nicht die Verkehrssicherheit für alle“, so der Forscher.

Ein weiteres Beispiel, das er brachte, war die Installation von Wasserstellen in Afrika. Das habe dazu geführt, dass Frauen, die davor mehrere Stunden am Tag Wasser holen gegangen waren, plötzlich viel mehr Zeit hatten und dadurch selbstständiger und unabhängiger vom Partner geworden seien. „Das zeigt, dass Technologie auch an gesellschaftlichen Strukturen rütteln kann.“

Datenflut mit Verantwortung

„Was passiert, wenn wir in jedem Haus, in jeder Umgebung, in der wir leben, mit vernetzten Geräten zu tun haben, die Daten sammeln? Die Datenflut, die dabei entsteht, ist unglaublich. Wir haben die Verantwortung dafür, was das mit der Gesellschaft macht. Die Zeiten, wo man sich hinter der Begründung ‚Ich war nur Techniker‘ versteckt, sind vorbei“, sagt Frauenberger.

Frauenberger plädierte daher in seiner Keynote dafür, dass die Gesellschaft mitbestimmen müsse und auch Technikerinnen und Techniker sowie Unternehmen die Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Entwicklungen übernehmen müssen. „Wir als Technologen sind auch politische Akteure und wir brauchen gemeinsame Verhandlungsräume. Ich könnte mir etwa ein Parlament der technischen Zukünfte vorstellen, wo debattiert wird, was wir uns vorstellen“, sagt Frauenberger.

Bee-o-Meter als positives Beispiel

Die Frage, wie IoT unsere zukünftige Lebenswelt beeinflusst, beschäftigte im Anschluss auch die Podiumsgäste des von Ingrid Brodnig moderierten Panels. Elisabeth Rettl von Hutchison Drei brachte ein positives Beispiel, das man gemeinsam mit einem Kunden entwickelt habe. So gibt es etwa beim Spar einen Altspeiseöl-Container, bei dem man sein Altöl einfüllen und damit ein paar Cent verdienen kann. „Das ist ein extrem gelungenes IoT-Beispiel“, erzählt Rettl.

Ein anderes Beispiel sei der „Bee-o-Meter“, der vom Telekomausstatter ZTE und Hutchison Drei gemeinsam mit dem Kärntner Unternehmen IoT40 Systems entwickelt worden ist, so die Hutchison Drei-Vertreterin. Mit dem „Bee-o-Meter“ können Bienenstöcke überwacht werden. Dadurch wird festgestellt, wie es den Bienen geht. „Damit kann man Imkern helfen, sich leichter um ihre Bienen zu kümmern“, so Rettl.

Martina Paul von den IT-Services der Sozialversicherung stellt ein Zukunftsprojekt vor, dass man kommendes Jahr einsetzen möchte: „Wir werden den Prozess der Wahlarztverrechnung automatisieren. Von der Identitätserkennung bis hin zur Texterkennung und den Anweisungen, soll alles automatisiert werden“, so Paul.

Selbst bestimmen statt Industriegremien

Clara Neppel von IEEE merkt an, dass nicht alle Beispiele so sinnvoll seien. „Es gibt vernetzte Zahnbürsten und Waschmaschinen – doch die Frage ist: Brauchen wir diese?“ Man solle nicht die Kontrolle verlieren und zu viel Autonomie abgeben, so die Expertin. Derzeit würde man in diversen Gremien hauptsächlich verwalten statt gestalten. Dies sei gefährlich, weil sich ansonsten Industriekonsortien bilden, die sich dieser Themen annehmen würden und diese nach ihren Agenden umsetzen. „Wenn wir gemeinsame Verhandlungen nicht zustande bringen, machen es andere“, warnt auch Frauenberger.

Brodnig nimmt von der Diskussion mit, dass Standards alleine nicht alle Probleme lösen können, sie aber sehr wichtig seien, damit alle Dinge miteinander kommunizieren können. „In einer digitalisierten Welt ist es notwendig, dass wir Brücken schaffen“, sagt Manfred Matzka, Vizepräsident von Austrian Standards International. „Standards sind ein wesentliches Element und prägend für neue technologische Entwicklungen.“

Security by Design

Auch im Bereich von IoT-Security braucht es Standards für sichere Lösungen. Hier gibt es diverse Produktzertifizierungen und den EU Cybersecurity Act, der einige Dinge für den IoT-Bereich regelt. „Security by Design erwartet man sich, wird aber in der jetzigen Produktgeneration manchmal schmerzlich vermisst“, sagt Thomas Bleier, Geschäftsführer von B-SEC better secure.

Er empfiehlt Firmen eine Risikoanalyse im Unternehmen zu machen und im Bereich Sicherheit systematisch vorzugehen. „Man sollte Security immer gleich von Beginn an mitdenken und nicht erst im Nachhinein“, so Bleier. „Dazu braucht es im Unternehmen einen nachvollziehbaren Prozess, und Entscheidungen sollen nicht nur von einer Person abhängig gemacht werden.“

Wie lange bis zum autonomen Auto?

Ein wichtiger Bereich von IoT ist „Smart Mobility“. Doch wie lange braucht es laut Experten noch bis zum selbstfahrenden Auto? Und wie wird die Übergangsphase ablaufen? „Das Automobil hat 60 Jahre gebraucht, um weltweit 50 Millionen Nutzer zu haben“, erklärt Thomas Stottan, CEO von Audio Mobil Elektronik. Beim Internet hätte dies drei Jahre gedauert, doch die Automobilbranche würde in anderen Zyklen denken. „Auch die Freigabeprozesse sind anders als beim Smartphone“, so Stottan. „Die Übergangsphase bis zum komplett autonomen Fahrzeug wird länger dauern als kommuniziert.“

Daher sei es laut Stottan wichtig, dass wir uns um Standards für die Bedienung von Fahrzeugen kümmern. „1983 hatte ein Auto sieben Funktionen, 2019 waren es 64. Ablenkung und Unachtsamkeit sind beim Fahren unser größtes Problem, wenn es um Unfälle geht“, sagt Stottan. Die sogenannte „ÖNORM V5090“ werde derzeit international „heiß positiv diskutiert“, so der Experte. „Damit kann man Funktionalitäten im Fahrzeug abprüfen,validieren und vergleichen, ob ein Fahrzeug verkehrssicher ist oder nicht“, sagt Stottan.

Im Vergleich mit anderen Autos wie Volvo oder Mercedes schnitt der Tesla nicht gut ab. „Er erkennt keine europäischen Randsteine. Und nach Rücksprache haben wir erfahren, dass es so etwas in Kalifornien nicht gibt und das Fahrzeug dies erst aus den Daten, die sich im Verkehr befinden, lernen müsse. Tesla-Fahrerinnen und -Fahrer sind also Test-Piloten“, erklärt Stottan.

Teststrecken und Zusammenspiel

 Eva Taschl-Unterberger, Geschäftsführerin der DigiTrans, betonte ebenfalls, dass der Umstieg auf autonomes Fahren länger dauern würde als erwartet. „Auch das Testen ist eine große Herausforderung“, so die Leiterin des Testgebietes für autonome Lastautos in Oberösterreich. „Von Fahrzeugen erwarten wir uns, dass sie sicherer sind als Menschen. Das zu prüfen, ist ein offenes Forschungsthema. Wann ist ein Fahrzeug gut genug, um es auf den Markt loszulassen?“ Derzeit sei man noch von standardisierten Testverfahren für autonome Fahrzeuge weit entfernt, so die Expertin.

Es sei zudem noch wenig erforscht, wie sich Menschen für autonome Autos bemerkbar machen können, so die Expertin. „Der Mensch nimmt mit dem Fahrer eines Wagens Blickkontakt auf und dieser gibt ihm ein Zeichen. Aber wie wird das die Maschine machen?“ Laut Stottan wird die Entwicklung auch neue Modelle für den sogenannten „Führerschein“ notwendig machen. „Man muss Menschen auf die neuen Technologien trainieren. Fahrerlos heißt schließlich nicht besitzerlos.“

Eine große Gefahr in der Übergangsphase ist außerdem das Vertrauen des Menschen in die Technik. Viele Menschen würden, wenn sie mit einem digitalen Fahrzeugassistenten zu tun haben, der bereits selbstständig gewisse Funktionen erfüllen kann, die Fähigkeiten des Fahrzeuges überschätzen, sagt Taschl-Unterberger. „Sie glauben stark daran, dass ein Auto das wirklich kann. In der Realität kann ein Auto aber nur bestimmte Situationen meistern und versagt in anderen komplett. Damit rechnet der Mensch nicht und damit haben wir das Risiko, dass wir teilautonome Autos überschätzen“, so die Expertin.

Disruption der Branchen

Zum Abschluss des IoT-Fachkongresses hielt Markus Petzl, Gründer von der Beratungsagentur disruptive, noch einen Vortrag, der aufrütteln sollte. „Disruption ist wie ein Wirbelsturm, weil sie die Kraft hat, dass alte Technologien weggeweht werden. Man glaubt immer, der Wirbelsturm kommt nicht, aber meistens kommt er“, sagt Petzl. So werde etwa die Automobilbranche komplett auf den Kopf gestellt. „Was für eine Industrie ein Fluch ist, kann sich als Segen für die Menschheit entpuppen.“

Petzl entführt das Publikum zugleich in eine sogenannte Spiegelwelt. „Mirrorworld“, wie von Kevin Kelly im Wired-Magazin beschrieben, ist eine Repräsentation der realen Welt in digitaler Form, in der Maschinen komplett ohne Menschen mit Maschinen kommunizieren. „Die gespiegelte Welt ist zehn Mal größer als die Realität und ist eine Welt, die wir nicht sehen. Es weiß noch keiner, was dort alles möglich sein wird. Aber der Unterschied ist: Es gibt die, die vorne mit dabei sind und diese Welt bereits jetzt gestalten.“

Der 4. IoT-Fachkongress findet am 4. November 2020 statt.

Disclaimer: Die futurezone ist Medienpartner des IoT-Fachkongresses.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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