Proteste im Netz: TiSA-Abkommen ist undemokratisch
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23 Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO), darunter auch die EU, verhandelt derzeit mit TiSA ein neues Handelsabkommen. Die Verhandlungen finden dabei, ähnlich wie bei ACTA oder TTIP, nicht öffentlich statt. Laut der EU seien sie aber auch nicht, wie von Kritikern bemängelt, geheim. Die EU-Kommission informiere regelmäßig über den Verlauf der Gespräche und leite alle Verhandlungsdokumente an den Rat der Europäischen Union und an das Europäische Parlament weiter, heißt es auf einer Website der EU-Kommission, die den TiSA-Gegnern damit den Wind aus den Segeln nehmen möchte.
Datenschutz wird ausgehebelt
Die Informationen dort lesen sich völlig konträr zu jenen der Aktivisten, die im Internet Kampagnen gegen das Dienstleistungsabkommen gestartet haben. „Das Dienstleistungsabkommen TiSA wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Insider berichten, dass es die Privatisierung von Wasser und Strom erleichtern und der Datenschutz dadurch regelrecht ausgehebelt werden würde“, heißt es auf der auf der Kampagnen-Seite von Avaaz.org, bei der bereits mehr als 180.000 Menschen (Stand: Mo, 16 Uhr) ihre Unterschrift gegen TiSA abgegeben haben.
Laut Medienberichten sollen die Details zu TiSA jedoch sogar bis zu fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen geheim bleiben. Über den Vertrag wird dabei bereits seit geraumer Zeit verhandelt, 2015 sollten die Verhandlungen bereits offiziell abgeschlossen werden. Trotzdem kennt TiSA, den „kleinen Bruder des Handelsabkommens TTIP“, noch kaum jemand. Was in TiSA wirklich drin steht, kommt derzeit nur durch Leaks an die Öffentlichkeit. Im Dezember 2014 veröffentlichte netzpolitik.org in journalistischer Partnerschaft mit Associated Whistleblowing Press einen Ausschnitt aus dem aktuellen Text des Handelsvertrags (PDF).
EU-Niederlassungen würden fallen
Aus dem Leak geht hervor, dass TiSA sich unter dem Deckmantel der „Liberalisierung und dem Austausch von Dienstleistungen“ auch wichtige Aspekte aus dem Bereich der Netzpolitik beinhaltet. Zu den verhandelnden Nationen gehören neben der EU, Australien, Japan, Mexiko, Kanada und die USA. In dem Papier ist nachzulesen, wie die US-Regierung versucht, Unternehmen davon zu befreien, dass sie in den Ländern, in denen sie eine Dienstleistung erbringen, auch einen Firmensitz haben müssen.
Das würde bedeuten, dass Google, Facebook oder Amazon in Europa offiziell gar keine eigenen Niederlassungen betreiben müssten und damit auch nicht mehr der EU-Gesetzgebung unterliegen würden - auch nicht der kommenden EU-Datenschutzverordnung, die etwa strenge Strafen bei Datenschutz-Verstößen der Unternehmen vorsieht. Klagen wie die von Max Schrems gegen Facebook wären damit ebenso undenkbar wie das Urteil des EuGH zum „Recht auf Vergessen“. „In Verbindung mit dem Freihandelsabkommen TTIP würden europäische Nutzer und Konsumenten in diesem Bereich vollständig der amerikanischen Rechtslage unterworfen sein“, kritisierte etwa der Grüne Europaabgeordnete Michel Reimon.
"Nicht akzeptabel"
In diesem Zusammenhang fordert die US-Regierung laut Reimon auch, dass US-Unternehmen ihre Datenbestände ohne Einschränkungen und rechtlichen Vorschriften in ihr Heimatland transferieren dürfen. Die gesetzliche Regulierung zukünftiger Plattformen soll von der Zustimmung der TiSA-Vertragspartner abhängig gemacht werden. „Diese Aufweichung von Datenschutzstandards ist nicht akzeptabel. Die EU-Kommission muss den Vorschlag blockieren. Konsumenten- und Datenschutzstandards dürfen nicht durch die Hintertür von Handelsabkommen abgesenkt werden. Firmen, die ihre Dienstleistungen in Europa anbieten wollen, müssen auch unsere Standards akzeptieren“, forderte Reimon.
Die EU-Kommission verteidigt TiSA aber. „Es wird zu Wachstum und Arbeitsplätzen führen. Die EU ist der weltweit größte Exporteur von Dienstleistungen mit europaweit zig Millionen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor. Wenn Unternehmen in der EU ihre Dienstleistungen einfacher in andere Länder exportieren können, wird dies Wachstum und Arbeitsplätze innerhalb der EU sichern“, gibt man sich überzeugt. „TiSA wird die Länder in keiner Weise an der Anwendung der Bestimmungen über Vertraulichkeit und Datenschutz hindern“, fügt man hinzu und versucht die Bedenken der Kritiker zu zerstreuen.
Protest von Österreichs Gemeinden
Mit dem Bündnis "TTIP-Stoppen" gibt es auch Protest aus Österreich. In den nächsten Monaten sollen mindestens 250 TTIP-, CETA- und TiSA-freie Gemeinden in Österreich etabliert werden. Schon im Vorfeld der Resolution haben sich 28 Gemeinden und fünf Landtage (Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg, Steiermark und Kärnten) dagegen ausgesprochen, die Freihandelsabkommen in dieser Form abzuschließen. Durch derartige Abkommen würden die Möglichkeiten von Gemeinden nämlich stark eingeschränkt werden bei der Organisation der öffentlichen Daseinsvorsorge und einer eigenen Regionalpolitik, wie das Bündnis betonte.
Neben Avaaz.org haben sich auch die Online-Campaigner campact.de klar gegen TiSA positioniert. „In Zukunft sollen Konzerne auch mit der öffentlichen Daseinsvorsorge – also mit Bildung, Gesundheit und Wasser Kasse machen dürfen. Was einmal privatisiert ist, darf dann nie mehr öffentlich organisiert werden. Auch Regeln für die Weitergabe oder Speicherung unserer Daten wären passé. Damit droht die Demokratie außer Dienst gestellt zu werden“, schreibt Campact.de auf der Suche nach Unterstützern.
Die Wahrheit zwischen den Informationen der EU-Kommission und denen von Online-Kampagnen liegt wohl irgendwo dazwischen. So lange die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und nicht öffentlich stattfinden, werden sich Bürger wohl nur durch Leaks ein wahres Bild von der Situation machen können. Und der aktuelle Leak zeigt: Der EU-Datenschutz sowie die Netzneutralität sind durch TiSA tatsächlich in Gefahr.
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