Warum man Alternativen zu Facebook und Twitter suchen sollte
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Nervende Passwortregeln, unverständliche Pop-Ups, mittendrin die ewig klingelnde WhatsApp-Gruppe und Datenskandale überall. Was hat das alles mit mir zu tun? Wieso wollen Firmen überhaupt meine Daten und was bedeutet das eigentlich ganz praktisch? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Klaudia Zotzmann-Koch in ihrem Buch „Dann haben die halt meine Daten. Na und?“. Die Autorin stammt aus dem niedersächsischen Vorharz und ist aktuell Wahlwienerin. Sie ist auch Mitorganisatorin der „Privacy Week“ des Chaos Computer Club Wien (C3W) und zertifizierte Datenschutzexpertin. Die futurezone sprach mit ihr über ihr Buch und darüber, dass der Schutz der eigenen Privatsphäre im Internet nicht immer unbequem sein muss.
futurezone: „Dann haben die halt meine Daten. Na und?“ ist der Titel deines Buches. Das ist etwa vergleichbar mit der Aussage „Ich habe ja nichts zu verbergen“. Wie reagierst du, wenn das jemand dir gegenüber sagt?
Klaudia Zotzmann-Koch: Die meisten von uns laufen nicht in Unterwäsche auf der Straße herum oder haben ein Schild um den Hals, auf dem ihr Gehalt steht, welche Dienste und Zeitschriften sie abonniert oder mit wem sie eine Affäre haben. Mitunter löst die Aussage ,Ich habe nichts zu verbergen' bei mir ein tiefes Seufzen aus – und sie war zugleich der Grund, warum ich das Buch geschrieben habe. Denn jeder von uns hat ein Leben und da gibt es Bereiche, die einfach niemanden etwas angehen. Das respektieren wir im normal-menschlichen Miteinander, das sollte auch in der digitalen Dimension unserer Alltagswelt respektiert werden. Häufig wird die Aussage auch gleichgesetzt mit „ich habe nichts verbrochen“ oder auch mit „ich bin ja gesellschaftskonform“. Aber sich einen höchstpersönlichen Lebensbereich zu bewahren (oder zurückzuerobern) ist etwas völlig Anderes, nämlich menschlich. Jede und jeder von uns kann seine Menschlichkeit verlieren.
Warum ist es aus deiner Sicht nicht egal, wenn „die“ meine Daten haben? Wer sind „die“ überhaupt?
Es ist schwer zu fassen, wer „die“ eigentlich sind. Es ist alles sehr abstrakt und „weit weg“. Es geht nicht nur um Google und
Facebook, sondern darüber hinaus auch um Tausende Firmen, die nichts anderes machen, als mit Daten zu handeln. Und Daten bedeutet letztlich: „digitale Spiegelbilder“ eines jeden Menschen auf der Erde. „Die“ erheben, erschnüffeln alles, was sie über jeden Menschen herausfinden können und verkaufen diese Informationen an eine ungenannte Anzahl anderer weiter. So weiß am Ende jeder, der es bezahlen möchte, alles über mich, aber ich weiß nicht, wer was und wieviel über mich weiß. Ich kann es auch nur begrenzt dadurch kontrollieren, dass ich mich in manchen Bereichen rar mache. Es ist also deswegen nicht egal, wenn „die“ meine Daten haben, weil hier ein immenses Kräfte-Ungleichgewicht herrscht. Den Kopf in den Sand zu stecken und nichts zu tun wird allerdings das Problem nicht lösen. Hier ist die gesamte Gesellschaft und nicht zuletzt die politischen Entscheidungsträger gefragt, diese Geschäftsmodelle zu unterbinden.
Dein Buch ist eine Anleitung, ein Ratgeber für einzelne Nutzer, ihre
Privatsphäre zu schützen. Warum sollen die Nutzer das tun, und warum kann man das Verhalten der Konzerne nicht ändern?
Das Verhalten der Konzerne kann man nur marktwirtschaftlich oder politisch beeinflussen. Marktwirtschaftlich hängt es an der Gewinnmaximierung. Die Datenhändler, also Google, Facebook und die Tausenden anderen, haben kein Interesse an mündigen Nutzerinnen und Nutzern und auch nicht daran, weniger Daten zu erheben. Bleibt die Möglichkeit, politisch gegenzusteuern. Dafür braucht es jeden Einzelnen von uns, um die Bewegung in Gang zu setzen. Ohne Politik gibt es für viele Menschen keine Möglichkeit, sich gegen diese Geschäftsmodelle zu wehren. Gleichzeitig wird sich ohne öffentliches Interesse und Druck aus der Gesellschaft politisch nichts tun. Abgesehen davon ist es auch einfach ein gutes Gefühl selbst informierte Entscheidungen zu treffen und das eigene Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, statt darauf zu warten, dass irgendwer etwas tut.
Ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) aus deiner Sicht mehr Fluch oder Segen? Warum ist es trotzdem wichtig, dass man auch als Einzelner etwas tut?
Die DSGVO ist meines Erachtens deutlich mehr Segen als Fluch. Die Kommunikation seitens Politik und Interessensverbänden war in den zwei Jahren Übergangszeit zwischen Inkrafttreten 2016 und tatsächlicher Wirksamkeit im Mai 2018 eine Katastrophe. Dem verdanken wir auch, dass den Begriffen „Datenschutz“ und „DSGVO“ bis heute verständlicherweise aber auch unberechtigt ein Schmuddel-Image anhaftet. Die DSGVO ist ein Schutzgesetz für die Bevölkerung. Die Rechte müssen wir aber auch aktiv wahrnehmen. Wir vermeiden Verkehrsunfälle ja auch nicht allein dadurch, dass die Straßenverkehrsordnung existiert, sondern dadurch, dass sich der Großteil der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer daran hält.
Die meisten Dinge, die man tun kann, um seine Privatsphäre zu schützen, sind auf den ersten Blick sehr komplex und im Vergleich unbequem. Muss man auf seine Bequemlichkeit verzichten? Geht das nicht auch anders?
Es gibt bereits viele Lösungen, die sehr bequem sind. Messenger wie Signal oder
Threema beispielsweise, sind sehr komfortabel. Auch statt über die bei vielen Smartphones vorinstallierte Anbieter-Cloud, über eine eigene NextCloud das Adressbuch, den Kalender und die Fotos zu synchronisieren, funktioniert genauso leicht. Im Buch nenne ich eine ganze Reihe an einsteigerfreundlichen Möglichkeiten, das eigene Onlineleben sicherer zu gestalten.
Du empfiehlst, komplett aus Facebook,
Instagram,
Twitter und
WhatsApp auszusteigen. Grenzt man sich dann nicht sozial von seinem Umfeld ab, in dem man wichtige Einladungen zu Veranstaltungen nicht mehr erhält? Kann so ein #DeleteFacebook nicht sogar ganze Freundschaften zerstören?
Ich empfehle vor allem, sich nach Alternativen umzusehen. Die Geschäftsmodelle der Online-Riesen sind ethisch nicht vertretbar und werden hoffentlich über kurz oder lang unterbunden werden. Dabei ist Technologie grundsätzlich etwas sehr Positives und bietet uns Möglichkeiten, die vor 35 Jahren noch nahezu undenkbar waren. Echtzeitkommunikation und -berichterstattung, medizinische Unterstützung, mit Menschen in der globalisierten Welt in Kontakt bleiben, usw. Das Internet macht so vieles möglich. Und es ist viel bunter und facettenreicher, als viele denken. Es gibt viel mehr da draußen als die Plattformen der großen Digitalkonzerne, die uns als das Nonplusultra vorgegaukelt werden. Es gibt in nahezu allen Bereichen datenschutzfreundliche Lösungen. Oft sind es kleine Firmen oder Entwicklerteams, die bessere Möglichkeiten bieten und diese überdies weniger übergriffig gestalten. Telefonieren kann man auch über Signal und
Threema, um beim Beispiel zu bleiben. Videofonieren geht mit Jitsi oder einer Erweiterung zur eigenen NextCloud. SocialMedia findet man im sogenannten „Fediverse“, dem „federated universe“. Es ist in der digitalen Welt sehr viel möglich und wer digital kommunizieren möchte, findet auch außerhalb der großen Plattformen Möglichkeiten dazu.
Was ist das „Fediverse“, was kann man sich darunter vorstellen?
Das föderierte Universum. Fediverse funktioniert ähnlich wie E-Mail: Egal, bei welchem Anbieter man seinen eigenen Account hat, man kann allen anderen folgen und sich mit ihnen austauschen. Und zwar auch Accounts auf Plattformen, die einen anderen Funktionsumfang haben. Mastodon beispielsweise ist eine Alternative zu Twitter und mit einem Mastodon-Account kann man allen anderen Mastodon-Accounts folgen, aber auch Accounts auf Pixelfed (einer Alternative zu
Instagram), auf Funkwhale (eine Alternative zu Soundcloud) und mehr. Technisch gäbe es kein Hindernis, dass auch Twitter oder Facebook sich ans Fediverse anschlössen, aber es widerspricht ihren Geschäftsmodellen, die eigenen User möglichst lange auf der eigenen Plattform zu halten, um ihnen möglichst viel Werbung anzeigen zu können. Die meisten Fediverse-Server hingegen werden von Communities in deren Freizeit betrieben, weil sie an besseres Social-Media glauben. So stellen auch schon Universitäten, Bibliotheken, Städte und Gemeinden bereits Mastodon-Server zur Verfügung.
Was hältst du vom neuen Projekt von WikiTribune, dem sozialen Netzwerk von Jimmy Wales?
WT.social hat einen werbefreien Ansatz, ist aber auch wieder eine weitere „gated community“, also eine Plattform, bei der man erst einen Account braucht, um mitmachen und lesen zu können. Offene bzw. interagierende Netzwerke wie das Fediverse sehen meines Erachtens vielversprechender aus, sich in Zukunft durchzusetzen.
Viele Menschen wissen Bescheid über die Datenschutzverstöße von Facebook, aber sie bleiben trotzdem dort. Facebook macht sogar regelmäßig Gewinne... Wie groß muss ein Anreiz sein, damit man soziale Netzwerke wie Facebook wirklich verlässt?
Ich bin immer wieder überrascht, wie viel sich Menschen gefallen lassen. Würden Freunde oder Bekannte uns so behandeln wie Google oder Facebook es tun, hätten wir ihnen schon lange die Freundschaft gekündigt. Menschen haben ein Bedürfnis, mit anderen in Kontakt zu sein, sich auszutauschen und offenbar nicht zuletzt auch, Fotos von ihrem Mittagessen oder ihren Hunden oder Katzen zu posten. Dass das auch außerhalb von Facebook geht, spricht sich langsam rum. Sobald eine kritische Masse des eigenen Freundeskreises beispielsweise im Fediverse vertreten ist, ist es auch leichter, den großen Netzwerken den Rücken zu kehren.
Neulich wurde mir die Frage gestellt, ob es nicht völlig sinnlos ist, jetzt seine Privatsphäre zu schützen, wenn Quantencomputer künftig selbst die sicherste Krypto und jedes Passwort binnen weniger Sekunden knacken können. Wie siehst du diese Zukunft der Privatsphäre im Zeitalter von Quantencomputing?
Der technische Fortschritt wird immer weitergehen und zwar nicht linear, sondern exponentiell - also immer schneller werdend. Natürlich kann man sagen: „Die US-Onlineriesen sind ohnehin da und rauben unsere digitalen Spiegelbilder, wozu soll ich was tun?“ Oder auch „Quantencomputer machen die Verschlüsselung kaputt, da brauch ich nichts mehr machen.“ Die sich immer schneller fortentwickelnde Technik wird auch wieder neue Möglichkeiten mit sich bringen, sich und andere zu schützen. Grundsätzlich gilt: Nichtstun wird nichts ändern. Und nur, weil die Vandalen nebenan hausen und brandschatzen, heißt es ja nicht, dass man seinen eigenen Vorgarten, den Hausflur und das eigene Schlafzimmer nicht sauberhalten kann und sollte.
Wie geht es mit dem Überwachungskapitalismus weiter?
Technisch lässt sich das kaum abschätzen, denn dadurch, dass die technische Entwicklung rasant voranschreitet, wachsen die Möglichkeiten der Konzerne und Werbefirmen quasi täglich. Was wir dringend brauchen, ist eine klare politische Haltung gegenüber den Geschäftsmodellen, die auf Ausspähen und Verkauf digitaler Spiegelbilder beruhen. Es braucht dringend Regelungen und Verbote. Markthörigkeit steht der Politik nicht gut zu Gesicht und auch europäische Unternehmen müssen aufhören, dem Silicon Valley hinterherzuhecheln. Ebenso sind „Start-up-Förderungen“ aktuell primär Subventionen für Unternehmen, die, wenn sie erfolgreich sind, von US-Konzernen aufgekauft werden und so auch wieder das Silicon Valley bereichern, statt sinnvolle europäische Alternativen aufzubauen. Es gibt gute Möglichkeiten für datenschutzfreundliche Umsetzungen in allen Bereichen, mit denen Europa wieder in eine führende Position kommen kann, sofern die Politik dies auch ermöglicht.
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