„WikiLeaks hat nichts verändert“
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Mitten im Trubel rund um WikiLeaks, zwischen der Veröffentlichung des Irak-Videos im April und dem Leak von 250.000 US-Depeschen im November 2010, hat der Deutsche Daniel Domscheit-Berg die Enthüllungs-Plattform verlassen – im Streit. Er und WikiLeaks-Gründer Julian Assange (derzeit im Hausarrest in England) waren sich über Mittel und Ziele von WikiLeaks nicht mehr eins.Mit seinem neuen Projekt Openleaks.org will es Domscheit-Berg besser machen. Im Rahmen des Weltkongress der Zeitungen, der derzeit in Wien stattfindet, will er Online-Medien davon überzeugen, digitale Postfächer in ihre Webseiten zu integrieren. Über diese sollen Informanten geschützt und anonym brisantes Material an Zeitungen, Organisationen und Initiativen einreichen werden können.
Auf der World Newspaper Week versuchen Sie zu erörtern, welche Lehren Zeitungen aus WikiLeaks ziehen können. Welche sind das?Ich glaube, dass WikiLeaks in der Zeitungswelt einen neuen Maßstab gesetzt hat. Es gibt jetzt eine technische Möglichkeit, mit der Quellen anonym Informationen an Journalisten weitergeben können. Das erweitert das Spektrum der Kanäle, über die Informationen an Journalisten gelangen können, und im digitalen Zeitalter ist es logisch, dass man diesen Kanal aufdreht. Bei OpenLeaks bekommen wir viele Anfragen, und ich glaube, dass jedes Medium, das investigativ arbeitet, sich so aufstellen wird.
Der KURIER hat etwa AustroLeaks ins Leben gerufen.Ja, aber wenn man sich die Webseiten von Zeitungen ansieht, sind dort viele andere Dienste wie Google Analytics, Werbe-Systeme, Twitter oder Facebook integriert. Das hat natürlich Implikationen auf Menschen, die über die selbe Webseite anonym Daten einreichen wollen. Das kommt sich in die Quere, weil man als Leser einer Online-Zeitung im Gegensatz zur gedruckten Ausgabe heute überhaupt keine Privatsphäre mehr hat. Im Web weiß nicht nur die Zeitung, welche Artikel ich lese, sondern auch Facebook, Twitter oder Google. Wenn es um Anonymität für Menschen geht, die mit der Zeitung interagieren wollen, ist das natürlich ein Problem.
Was kann OpenLeaks zum Schutz der Privatsphäre der Leser und Quellen beitragen?Es gibt etwa Sandboxing-Lösungen, mit denen verschiedene ausgeführte Javascripts auf einer Webseite separiert werden können, außerdem gibt es verschiedene andere Workarounds. Da ist aber noch viel Forschung und Detailarbeit notwendig, weil das Technologie ist, die gerade erst entsteht.
Für Online-Zeitungen ist der Like-Button aber sehr verlockend. Laut Facebook-Managern lassen sich damit die Zugriffe von Facebook-Nutzern im Schnitt um 300 Prozent steigern.Ich würde nicht sagen, dass man alles rausschmeißen muss, aber man sollte sich grundsätzliche Gedanken machen, ob man das alles wirklich braucht und welche Auswirkungen diese Plugins auf die privaten Informationen der Leser haben. Diese Auseinandersetzung findet aber nicht statt, höchsten in den technischen Abteilungen gibt es ein Problembewusstsein. Man muss sich fragen, ob es das dem eigenen Geschäftsmodell entspricht oder dem von Facebook.
Zurück zu OpenLeaks: Wer steckt dahinter?Wir sind derzeit sechs Leute, die selbst das Projekt finanzieren, und wir werden in Deutschland vorraussichtlich eine gemeinnützige GmbH gründen. Dass nur ich und zwei andere Mitarbeiter, Jan Michael Ihl und Herbert Snorasson aus Island, in der Öffentlichkeit stehen, hat mit dem ganzen Medien-Chaos rund um WikiLeaks zu tun. Die anderen wollen nicht ständig von Medien wegen Interviews belästigt werden.
Ich frage deshalb, weil Sie mir in einem Interview vor mehr als einem Jahr Wikileaks als Bürger-Dienst beschrieben haben, für den 1000 Personen, darunter Anwälte, Menschenrechtler, Journalisten, Techniker und Experten für Handschriften, aber auch „Menschen, die einfach gerne unangenehme Fragen stellen“ aktiv sind und Daten prüfen. Nach der Lektüre Ihres Buches “Inside WikiLeaks” musste ich zum dem Schluss kommen, dass nur fünf Personen tatsächlich mit der Prüfung der Daten betraut waren. Haben Sie da nicht ein Vertrauensproblem?Ja, natürlich. So ist das, wenn man einmal entscheidet, ehrlich zu sein, und das versuchen wir mit dem OpenLeaks-Projekt. Ich bereue sehr, dass ich für WikiLeaks die Wahrheit gebogen haben. Ich habe damals gesagt, dass wir auf ein Netzwerk von 1000 Personen zurückgreifen können, nur haben wir das nie getan. Das haben wir nie dazu gesagt. Wenn die Welt ein Vertrauensproblem mit mir hat, muss ich daran arbeiten, dass wieder abzuschaffen.
Was macht OpenLeaks anders als WikiLeaks?Wir stellen nur die technische Infrastruktur bereit, die es einer Quelle erlaubt, anonym Material einreichen zu können. Alles, was die inhaltliche Arbeit, die Auswertung, die Verifizierung und die Veröffentlichung betrifft, überlassen wir unseren Medienpartnern und greifen so auf deren jahrzehntelange Expertise zurück, was das Publizieren betrifft.
Das Besondere an Wikileaks war aber, dass die Daten nicht nur entgegen genommen, sondern auch gesäubert, verifiziert, aufbereitet und publiziert wurden. Das geht bei OpenLeaks verloren.Das Verarbeiten der Informationen ist ein ungeheurer Aufwand, allein, was fremdsprachiges Material angeht. Oft kommen Daten aus Organisationen, Regierungen, die man gar nicht kennt, die man selbst nicht beurteilen kann. Wenn man die Kontrolle über den ganzen Prozess hat, hat man extrem viel Macht. Das ist bei WikiLeaks negativ aufgefallen, weil niemand diese Macht kontrollieren konnte. Aus meiner Sicht ist es verantwortungsvoller, diese Macht auf viele Schultern zu verteilen, sich Experten ins Boot holt, und so sicherzustellen, das nichts schief gehen kann.
Punkto Experten: Investigative Hightech-Journalisten sind eher die Ausnahme. Wie geben Sie ihr Fachwissen, etwa was die Säuberung von Dokumenten angeht, an Medienpartner weiter?Unser Projekt ist keine Dienstleistung, von der am Ende alle abhängig sind, sondern so gedacht, dass alle Beteiligten etwas lernen, etwa in Schulungen oder einer offenen Wissens-Datenbank, die wir gerade aufbauen. Jede Zeitung sollte einmal so etwas haben und selbstständig betreiben können.Stellt OpenLeaks auch Software bereit?Wir haben einen Mechanismus eingebaut, der alle eingereichten Dokumente von den Metadaten befreit. Wenn Sie heute eine Word-Dtatei erstellen, wird der Urheber, der Zeitpunkt und auch der Ort mitgespeichert. Bei Fotos werden in den EXIF-Dateien Zeit, Typ der Kamera und oft GPS-Koordinaten eingeschrieben. Die Medienpartner bekommen von uns ein standardisiertes, gesäubertes Dokument. Außerdem gibt es Tools für Partner, mit denen etwa Schwärzungen richtig gemacht werden können. Bei WikiLeaks haben wir oft Dokumente bekommen, bei denen falsch gemachte Schwärzungen auf digitalen Dokumenten sehr leicht wieder rückgängig gemacht werden konnten. Da können viele Fehler passieren, wenn man nicht weiß, wie man es macht.
WikiLeaks hatte auch den Vorteil, dass keine staatliche Instanz die Veröffentlichungen verhindern konnte, während Gesetzgeber etwa in Großbritannien über “super injunctions” genau das tun.Das ist uns natürlich bewusst. Es gibt zum Beispiel auch das Problem, dass dem Chefredakteur ein Thema nicht opportun ist, also Zensur innerhalb eines Mediums. Deswegen ist es bei OpenLeaks so, dass die Quelle bestimmen darf, wie lange ein Medium einen Leak exklusiv hat - etwa vier Wochen. Wenn die Information bis dahin nicht veröffentlicht wurde, bekommt es der nächste unserer Medienpartner. Damit stellen wir das Interesse der Quelle, dass die Informationen ans Licht kommen und nicht gedeckelt werden, sicher.
Es kann also kein Kampf verschiedener Medien entstehen, wer die Story bekommt?Nein, die Quelle entscheidet, wer es bekommt, nicht Openleaks. Das geschützte Postfach ist ja nicht auf unserer Webseite, sondern in der Webseiten unserer Partner eingebaut. Das heißt, dass der Leaker bewusst zu einem Medium geht. Er kann natürlich auch sagen, dass die Dokumente gar nicht an andere Medien weitergegeben werden. OpenLeaks will gar nicht entscheiden, wer den Leak bekommt, weil es dann wieder politisch wird. Die Quelle weiß ja, dass ein Umweltthema gut bei Greenpeace aufgehoben.
Wie werden die Quellen technisch geschützt?Technisch betrachtet gibt es niemals 100 Prozent Sicherheit - weder beim Online-Banking noch bei einer Plattform wie OpenLeaks. Wenn man Dokumente hat, an denen Geheimdienste großes Interesse haben, dann sollte man sich überlegen, eine alternative Route zu wählen - außer man ist ein sehr versierter IT-ler. Man darf die Menschen nicht alleine in dem Glauben lassen, dass es da einen super sicheren Mechanisums gibt, bei dem überhaupt nichts schiefgehen kann. Wenn es auf der anderen Seite nicht um geheimdienstlich relevantes Material geht, kann man die Sicherheitslatte sehr hoch legen. Man kann per SSL verschlüsseln, Leaker können den Anonymisierungs-Dienst Tor verwenden, und OpenLeaks kann noch eine zusätzliche Verschlüsselungsebene oben drauf legen. Das ist viel sicherer, als wenn sich jede Zeitung selbst ihr digitales Postfach baut.
Wo landen die eingereichten Daten - auf den Servern von OpenLeaks?Wir betreiben ein dezentrales Server-Netzwerk und haben im Vergleich zu Wikileaks einen sehr hohen Standard. In den Rechenzentren, in denen wir aktiv sind, sind die Server mit Kameras überwacht. Außerdem halten wir alle unsere Partner dazu an, uns mit Infrastruktur zu untersützen, immerhin sich wir eine Non-Profit-Organisation. Im Idealfall stellt jeder Partner vier Server bereit, die in ihren eigenen Rechenzentren stehen.
Per Gerichtsbeschluss hätte die Exekutive dann aber sowohl auf die Server der Medienpartner als auch die Server der OpenLeaks GmbH in Deutschland Zugriff.Ja, aber das Netzwerk ist so komplex aufgebaut, dass auf den Servern der Partner selbst keine Daten liegen, sondern diese nur den Durchgangsverkehr abhandeln. Wirklich gespeichert werden die Daten in unserem Backend, und die Daten sind doppelt verschlüsselt.
Wie geht es mit WikiLeaks weiter. Kommen noch größere Leaks?Ich glaube nicht, dass sich so große Leaks wie bei den US-Depeschen und den Afghanstan- und Irak-Dokumenten wiederholen, das war eine ziemlich einmalige Sache.
Mit welchen Enthüllungen rechnen sie bei OpenLeaks?Ich hoffe, dass man wegkommt von dem Spektakulären und sich Dingen annimmt, die nicht so groß, aber genauso wichtig sind. Dort, wo Korruption im Kleinen passiert, dort, wo Umweltschweinereien passieren. Dadurch, dass bei OpenLeaks die Quelle sehr genau steuern kann, wer die Informationen bekommt und so näher an Organisationen kommt, die etwas damit anfangen können. Es ist ein Problem, dass die ganze Welt schreit, wie krass und groß das ist, aber den Informationen selbst hat sich ja kaum einer angenommen. Alles geht in diesem Hype unter, und diesen Hype müssen wir loswerden, damit wir uns auf die Fakten konzentrieren können.
Hat WikiLeaks überhaupt etwas bewegt?Es gab immer viele Schlagzeilen über den Umstand, dass es einen Leak gab, aber kaum jemand hat berichtet, was da drinnen stand. WikiLeaks hat keine reale Konsequenz, hat nichts verändert. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine Erfolgshistorie mit konkreten Punkten, die verändert wurden. Das Wichtigste, was WikiLeaks geschafft hat, ist, dass Menschen wie mein 87-jähriger Opa, die nichts mit dem Internet zu tun haben, das Wort “Whistleblower” gehört haben. jetzt haben viele gehört, dass es eine Chance gibt, die Gesellschaft besser zu informieren und dass es außerhalb des Denunziantentums etwas gibt, wo der Verrat eines Geheimnisses eine positive Konnotation hat. Ich glaube, dass da gerade ein Wandel stattfindet, und das ist der größte Verdienst von WikiLeaks.
Hat WikiLeaks das Hacker-Kollektiv Anonymous inspiriert?Ich hatte das erste Mal mit Anonymous 2008 Kontakt, als Anonymous vor allem gegen Scientology gekämpft hat. Das war aus meiner Sicht eine ehrenwerte Sache und ganz wichtig, aber wie das halt so ist mit einem Mob im Internet. Es ist eine undefinierte Gruppe von wahrscheinlich vielen jungen Leuten, und es ist unwahrscheinlich, dass die immer genau das machen, mit dem jeder übereinstimmt. Aber es ist auch ein Ausdruck des Zeitgeistes. Anonymous ist so etwas wie der anonyme Wutbürger im Internet.
Warum ist Anonymous so aktiv in Österreich?Drei Punkte: Jeder Druck erzeugt Gegendruck, und je stärker der autoritäre Druck in einem Land ist, desto stärker ist der antiautoritäre Druck dagegen. Außerdem ist es ein Zeichen dafür, dass es in Österreich einige technisch sehr fähige Leute gibt, die kreativ und intelligent Dinge mit dem Internet und Technologie machen können. Und drittens ist es ein Zeichen für Zivilcourage, weil es Leute gibt, die bereit sind, für ihre Überzeugung einzustehen, die nicht nur reden, sondern etwas machen - auch wenn es an der Grenze der Legalität stattfindet. Das ist eigentlich etwas, worauf man stolz sein könnte als Österreicher. Es gibt in vielen anderen Ländern viele Leute, die sauer auf die Regierung, auf Ministerien sind, aber die meisten sind zu faul, etwas dagegen zu tun. Denen reicht es, sich zu beschweren.
Wie geht es mit WikiLeaks weiter. Kommen noch größere Leaks?Ich glaube nicht, dass sich so große Leaks wie bei den US-Depeschen und den Afghanstan- und Irak-Dokumenten wiederholt, das war eine ziemlich einmalige Sache.Mit welchen Enthüllungen rechnen sie bei OpenLeaks?Ich hoffe, dass man wegkommt von dem Spektakulären und sich Dingen annimmt, die nicht so groß, aber genauso wichtig sind. Dort, wo Korruption im Kleinen passiert, dort, wo Umweltschweinereien passieren. Dadurch, dass bei OpenLeaks die Quelle sehr genau steuern kann, wer die Informationen bekommt und so näher an Organisationen kommt, die etwas damit anfangen können. Es ist ein Problem, dass die ganze Welt schreit, wie krass und groß das ist, aber den Informationen selbst hat sich ja kaum einer angenommen. Alles geht in diesem Hype unter, und diesen Hype müssen wir loswerden, damit wir uns auf die Fakten konzentrieren können.
Hat WikiLeaks überhaupt etwas verändert?Es gab immer viele Schlagzeilen über den Umstand, dass es einen Leak gab, aber kaum jemand hat berichtet, was da drinnen stand. WikiLeaks hat keine reale Konsequenz, hat nichts verändert. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine Erfolgshistorie mit konkreten Punkten, die verändert wurden. Da stimme ich Ihnen total zu. Das Wichtigste, was WikiLeaks geschafft hat, ist, dass Menschen wie mein 87-jähriger Opa, die nichts mit dem Internet zu tun haben, das Wort “Whistleblower” gehört haben. jetzt haben viele gehört, dass es eine Chance gibt, die Gesellschaft besser zu informieren und dass es außerhalb des Denunziantentums etwas gibt, wo der Verrat eines Geheimnisses eine positive Konnotation hat. Ich glaube, dass da gerade ein Wandel stattfindet, und das ist der größte Verdienst von WikiLeaks.
Hat WikiLeaks das Hacker-Kollektiv Anonymous inspiriert?Ich hatte das erste Mal mit Anonymous 2008 Kontakt, als Anonymous vor allem gegen Scientology gekämpft hat. Das war aus meiner Sicht eine ehrenwerte Sache und ganz wichtig, aber wie das halt so ist mit einem Mob im Internet. Es ist eine undefinierte Gruppe von wahrscheinlich vielen jungen Leuten, und es ist unwahrscheinlich, dass die immer genau das machen, mit dem jeder übereinstimmt. Aber es ist auch ein Ausdruck des Zeitgeistes. Anonymous ist so etwas wie der anonyme Wutbürger im Internet.
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