
Im Test: Warum die Apple Watch kein unnötiges Glumpert ist
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Auch mehr als ein Jahr nach der Präsentation bleibt die Apple Watch eine widersprüchliche Angelegenheit. Kritiker sind bis heute gespalten, ob die Smartwatch Apples erster gelungener Schritt in das Computing der Zukunft oder einfach ein unnötiges, überteuertes Hightech-Glumpert ist. Auch die Verkaufsprognosen sind widersprüchlich: Einmal schreiben Analysten von einem Flop für Apple, dann wieder, dass der US-Konzern den Markt komplett aufrollt. In vielen Ländern ist die Apple Watch immer noch nicht erhältlich. In Österreich kann sie ab heute, Freitag, erworben werden.
Um die Watch benützen zu können, ist zumindest ein iPhone 5 notwendig. Das Koppeln geschieht über die offizielle App, die auf dem iPhone installiert werden muss. Der Vorgang ist in wenigen Minuten erledigt. Die App ist die zentrale Steuerungszentrale, um die Uhr zu konfigurieren, Programme darauf zu installieren und wesentliche Einstellungen vorzunehmen. Die Auswahl und Anpassung des Ziffernblattes findet über die Uhr selbst statt. Auch grundlegende Funktionen wie Helligkeit, Textgröße und haptische Benachrichtigungen können über die Einstellungen direkt auf der Uhr vorgenommen werden.
Die rechteckige Form, die an eine Patek Philippe Watch aus den 70er-Jahren angelehnt sein könnte, mag nicht jedem gefallen. In der Umsetzung und Verarbeitung leistet sich Apple aber keine Schwäche. Gerade die Sport-Modelle fühlen sich hochwertiger an als sie auf den ersten Blick aussehen. Das Drehrad wirkt filigran, ist wie alle anderen millimetergenau verarbeiteten Komponenten aber robust. Der Übergang zwischen Gehäuse und abgerundetem Displayglas ist makellos, das Wechseln des Armbands ist denkbar einfach.

© Thomas Prenner
Drücken, Wischen, Drücken
Das Bedienkonzept mit Touch, Drehrad und Zusatzknopf am Gehäuserand bleibt auch nach mehreren Wochen Benutzung ambivalent. Da gewisse Wischbewegungen sowie der feste Druck (Touch Force) auf das Display nur in manchen Apps funktionieren, wischt und klickt man selbst nach Wochen öfter unkoordiniert herum. Drückt man das Rad einmal, gelangt man zum Home-Bildschirm oder Ziffernblatt, bei zweimal drücken wechselt man zur zuletzt verwendeten App. Langes Drücken aktiviert Siri. Die Seitentaste, die leider nicht mit anderen Funktionen programmierbar ist, führt zu einer Freundesübersicht, mit langem Drücken kann die Uhr ausgeschaltet, gesperrt oder in Stromsparmodus geschaltet werden.
Ladezeiten
Größtes Manko der Watch ist die Abhängigkeit vom gekoppelten iPhone und die Ladezeiten diverser Apps. Sei es, dass der interne Miniprozessor einfach nicht mit den gängigen Smartphone-Prozessoren mithalten kann oder das Tethering, also das Weiterschicken und Spiegeln von Informationen vom iPhone auf die Watch, zu Verzögerungen führt – im Alltag sind die Ladezeiten, die bis zu mehrere Sekunden dauern können, definitiv spürbar. Dazu kommt, dass die ständige Bluetooth- und Tethering-Verbindung auch am Akku des iPhones saugt. Bei intensiver Nutzung des iPhones und der Uhr machte der Akku des Smartphones manchmal sogar vor dem Ende des Tages schlapp.

© Thomas Prenner
Akkulaufzeit
Die anfangs heiß diskutierte Akkudauer der Apple Watch spielt im Alltag überraschenderweise kaum eine Rolle. Voll aufgeladen schafft die Uhr knapp zwei Tage. Das Akkuladen mittels Induktion funktioniert problemlos, wer schon andere aktuelle iOS-Geräte besitzt, wird sich vermutlich eher ärgern, dass nun wieder ein neues Kabel dazukommt, welches auf Reisen extra mitgenommen werden muss. Spritzfest ist die Uhr definitiv, auch die morgendliche Dusche mit der Watch ist kein Problem. Dass die Watch laut Apple dezidiert nicht wasserfest bis drei oder fünf Meter ist, war gerade im Sommer schade. Auch zum Schwimmtraining wäre die Watch mitunter praktisch.
Das längerfristige Schicksal der Watch und welche Rolle sie im Apple-Universum spielen wird, dürfte aber ohnehin nicht über die Hardware entschieden werden. Der Schlüssel liegt wie schon beim iPhone und iPad in den Anwendungen. Über 8500 Apps sind für die Watch verfügbar. Dass diese nicht über die Uhr selbst, sondern nur über das iPhone gesucht und installiert werden können, nervt ein wenig. Viele Entwickler verlangen für ihre teilweise schlecht umgesetzten, rudimentären Watch Apps zudem Geld, was die Installierfreudigkeit zusätzlich hemmt.
Daumen hoch für Microsoft
Wie anfangs beim iPad lassen Internetkonzerne wie Google und Facebook mit entsprechend guten Umsetzungen ihrer Standard-Apps noch auf sich warten. Mit Apple Watch OS 2 liefert Facebook nun zumindest den Messenger für die Watch aus. Das Potenzial erkannt hat hingegen Microsoft, das mit der Portierung seiner Outlook-App vieles richtig macht und von Anfang an Antwort-Möglichkeiten sowie Kalender-Optionen integrierte. Die Apple-eigenen Apps wie Nachrichten, Telefon, Kalender, Aktivität, Fotos, Workout und Health sind simpel gehalten, laufen dafür aber flüssig. Bei manchen vermisst man aber mehr Funktionen oder auch Konfigurationsmöglichkeiten.

© Thomas Prenner
Öffi-Zeiten am Handgelenk
Meist sind es die kleinen Dinge, die einen die Uhr nach längerem Gebrauch nicht mehr missen lassen möchten. Wenn man von einer erratisch fahrenden Buslinie in Wien abhängig ist, macht es definitiv mehr Spaß über die One2Go-App auf der Watch schnell zu prüfen, ob sich das Rennen zur Bushaltestelle auszahlt, anstatt während des Laufens dauernd das iPhone zücken zu müssen. Der kompakte Blick auf Uhrzeit, Datum, aber auch das aktuelle Wetter ist ebenfalls ein nettes Feature, was man als Nicht-Uhrenträger in der Smartphone-Ära praktisch schon vergessen hatte.

© Thomas Prenner
Bezahlen mit der Uhr
Tatsächlich sind Funktionen wie das Speichern von Tickets, aber auch das bei uns noch nicht verfügbare Apple Pay zum Bezahlen im Geschäft Szenarien, in denen die Watch ihre Stärke ausspielen kann. In Österreich steht mit Blue Code eine Bezahl-Alternative für die Apple-Uhr zur Verfügung. Leider hat etwa die Erste Bank, welche den Service selber bewirbt, die Nutzung auf der Apple Watch noch nicht freigegeben. Es bleibt zu hoffen, dass die Funktion in Kürze verfügbar ist. Denn auch hier ist es weitaus bequemer, einfach die Uhr am Handgelenk zum Scanner zu halten, als zwischen gekauften Gütern und Einkaufstaschen noch mit dem Handy herumnesteln zu müssen.
Wozu die Uhr sonst noch benutzt wird, hängt sehr stark von den Gewohnheiten und Interessen des Trägers ab. Die Uhr kann beim Aufladen am Nachtkästchen als Wecker verwendet werden oder als Fernbedienung für die eigene Musik am iPhone bzw. von Airplay. Wer viel Fitness macht, kann die Uhr zum Messen des eigenen Pulsschlags oder Kalorienverbrauchs sowie des zurückgelegten Wegs nutzen. Dadurch, dass Apple auch Apps von Drittherstellern künftig Zugriff auf die Watch-internen Sensoren gibt, werden hier noch interessante Anwendungen entstehen.
Mit K.I.T.T. telefonieren
Im täglichen Gebrauch sind naturgemäß die Kommunikationsfunktionen interessant. Mit der Telefoniefunktion, die erstaunlich gute Klangqualität für das Gegenüber liefert, wird endlich Michael Knights Computeruhr Realität. Den Arm angewinkelt in der Höhe zu halten bzw. zum Mund zu führen, ist interessanterweise anstrengender als gedacht. In gewissen Situationen, etwa wenn das iPhone beim Radfahren im Rucksack verstaut ist und man noch dazu am Polizisten vorbeifährt, ist das Telefonieren über die Uhr ein perfektes Täuschungsmanöver und noch dazu sicherer.

© Thomas Prenner
Siri statt Keyboard
Um auf Nachrichten und E-mails zu antworten, kann man mit Emoticons oder vordefinierten Sätzen arbeiten. Apples Sprachassistent Siri funktioniert mittlerweile schon sehr gut – Antworten können folglich auch diktiert und anschließend als transkribierter Text oder als gesprochene Aufnahme verschickt werden. Ungeachtet der Möglichkeiten stößt die Uhr aufgrund ihres Formfaktors und des fehlenden Keyboards naturgemäß an ihre Grenzen. Nicht selten wünscht man sich bei intensiver Nutzung der Watch, dass man auf das Handy noch stärker verzichten und noch mehr auf der Uhr selbst machen könnte.
Wer sich eine Uhr zulegen will, hat die Qual der Wahl. Allein das günstigste Modell, die Apple Watch Sport mit Aluminiumgehäuse ist in zwölf Modellen ab 399 Euro erhältlich. Die Edelstahlvariante mit Saphirglas gibt es ab 649 Euro und in 20 Modellen, wer eine Version mit Gliederarmband will, muss allerdings mindestens 1099 Euro ausgeben. Die goldüberzogene Watch Edition beginnt bei astronomischen 11.000 Euro – wohlgemerkt mit dem gleichen 59-Euro-Gummi-Armband, das auch bei den billigsten Modellen zum Einsatz kommt.

© Thomas Prenner
Es ist kein Geheimnis, dass die Sport-Modelle sich seit Anfang an am besten verkaufen. Wer auf Preis/Leistung setzt, kommt an der Watch Sport kaum vorbei. Das Innenleben ist gleich wie bei den teureren Modellen. Den Langzeit-Test der futurezone von mehreren Wochen überstand sowohl das eloxierte schwarze Aluminium als auch das geringfügig weichere Ion-X-Glas der Watch Sport ohne nennenswerte Kratzer. Die getestete schwarze Gehäuse-Variante wirkt zudem optisch edel. Wer später ein hochwertigeres Armband kaufen will, kann die Uhr ohne Probleme „aufrüsten“. Auch Apple selbst bietet Armbänder ohne Gehäuse an. Günstige und coole Alternativen gibt es mittlerweile von vielen Herstellern – etwa Casetify.
Die oft gestellte Frage, ob die Watch ein nützliches Gerät ist und man „so etwas braucht?“ ist in etwa so zielführend wie die Frage, ob man unbedingt eine Armbanduhr braucht. Die Antwort ist in beiden Fällen natürlich nein. Die Watch kann abgesehen vom Pulsmesser kaum etwas, was nicht auch jedes Smartphone längst kann. Sie ist eine Neuinterpretation des Uhrenkonzepts sowie eine logische Erweiterung des Handys.

© Thomas Prenner
Personalise me!
Der Personalisierungsfaktor, den Apple in seiner Marketingstrategie nicht müde wird zu betonen, ist tatsächlich nicht zu verachten. Das einfache Wechseln und Konfigurieren der verschiedensten Ziffernblätter macht Spaß und verleiht der eigenen Stimmung Ausdruck. Die größte Stärke der Uhr ist die Vielseitigkeit, mit der sie genutzt werden kann. Darin steht sie dem iPhone und auch dem iPad um nichts nah.
Ob die Uhr sich aus der Nische heraus in den Massenmarkt katapultieren kann, wird nicht zuletzt von den Apps abhängen, die größtenteils noch geschrieben werden müssen. Für die nahe Zukunft bleibt zu hoffen, dass auch die hochwertigen Apple-Armbänder günstiger werden. Das Bedienkonzept könnte zudem noch schlüssiger gestaltet werden. Mittelfristig muss die in der Watch verbaute Hardware noch leistungsstärker werden, damit sie als eigenständiges Gerät glänzen kann.
Kommentare