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Science

City-Maut und smarte Ampeln: So sollen Städte staufrei werden

Die Golden Gate Bridge in San Francisco, die Öresund-Brücke zwischen Dänemark und Schweden oder die Sydney Harbour Bridge kennt man auf der ganzen Welt. Die Systeme, mit denen die Mautgebühren auf diesen Wahrzeichen eingehoben werden, betreibt Kapsch TrafficCom. In der Wiener Zentrale der Verkehrssparte von Kapsch gibt es einen eigenen Kontrollraum, in dem die Funktionstüchtigkeit der Mautanlagen in aller Welt überwacht wird. Bei der Mauteinhebung ist Kapsch weltweiter Marktführer. In Zukunft will man sich aber stärker der Entwicklung intelligenter Verkehrssteuerungssysteme widmen. Die Ziele sind ambitioniert.

Fahren wie in den Ferien

"Unsere Vision ist es, Verkehrsverhältnisse herzustellen, wie sie in Städten üblicherweise nur in der Ferienzeit herrschen", meint Michael Ganser, Leiter der Abteilung Solution Consulting von Kapsch gegenüber der futurezone. Wer zuletzt während der Energieferien auf Wiens Straßen unterwegs war, versteht was gemeint ist. Die Erreichung des für Autofahrer wünschenswerten Zustandes soll auf mehreren Säulen beruhen. Sie nennen sich vernetzte Fahrzeuge, adaptive Signalsteuerung, kollaboratives Routing und variable Maut.

Profitieren sollen davon am Ende aber nicht nur Pkw-Insassen. "Wenn man all diese Technologien weltweit in allen Städten mit über 200.000 Einwohnern anwenden würde, könnte man zwei Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen einsparen", ist Ganser überzeugt. Durch die Zeitersparnis am Arbeitsweg würde außerdem die Produktivität und damit die Wirtschaftsleistung steigen. Es gäbe weniger Unfälle und dadurch weniger Behandlungskosten. Die Kosten für die Implementierung von dafür notwendigen Technologien könnte man dadurch locker einspielen. Welche Maßnahmen müsste man nun konkret treffen?

Kapsch TrafficCom

Im Kontrollraum von Kapsch TrafficCom wird die Funktionstüchtigkeit aller straßenseitigen Systeme weltweit überwacht

Echtzeitdaten aus Fahrzeugen

Die Vernetzung von Fahrzeugen und Straßeninfrastruktur (V2X, connected cars) schreitet voran. Technologische Entwicklungen machen es laut Ganser heute einfacher denn je, Echtzeit-Verkehrsdaten zu erhalten und zu nutzen. "Eine SIM-Karte und GPS haben ab einem bestimmten Baujahr alle Fahrzeuge an Bord. Bewegungsdaten, die so übermittelt werden, werden anonymisiert und weiterverkauft - auch an uns." Mit den Daten könne man Prognosen über die Verkehrslage in naher Zukunft machen und störenden Entwicklungen aktiv gegensteuern, etwa durch eine adaptive Signalsteuerung.

"Eine verkehrsabhängige Steuerung von Ampeln ist in bestimmten Weltregionen bereits sehr verbreitet. Wenn sie sauber gemacht ist, reduziert das Staus um 25 Prozent", sagt Ganser. In Madrid, Mumbai (Indien) und Quito (Ecuador) hat Kapsch adaptive Signalsteuerungssysteme aufgebaut. "Momentan braucht man noch extrem viele Sensoren, etwa Induktionsschleifen, Radar, Infrarot, Videokameras", meint Ganser.

"Durch Fahrzeugdaten wird das viel günstiger. Damit fällt ein Einführungshindernis weg. Unser Echtzeitwissen über den Verkehr wird drastisch ansteigen." Die Auswirkungen seien vergleichbar mit der Einführung von Satelliten in der Meteorologie, ist der 52-jährige Verkehrstechniker überzeugt.

Surfen auf der grünen Welle

"Wir holen nicht nur Daten raus, sondern schicken Daten rein", schildert Ganser die nächste Stufe des Plans für staufreie Städte. Man teilt also etwa Autofahrern mit, wie sie ihre Fahrgeschwindigkeit anpassen sollten, um auf der "grünen Welle" mitzuschwimmen. In Autos und Navigationssysteme eingebaute Signalassistenten, die das bewerkstelligen können, gibt es bereits. Der Fachbegriff dafür lautet "Green Light Optimal Speed Advisory", oder kurz GLOSA, und sei aktuell "der Renner bei Autoherstellern", meint Ganser.

Halten sich Autofahrer in der Praxis wirklich an solche Empfehlungen und fahren deswegen plötzlich langsamer? Ganser: "Wenn sich jemand an diese Empfehlungen hält, spart er 15 Prozent seiner Fahrenergie ein. Gerade wenn Sie ein Elektroauto haben, interessieren Sie diese 15 Prozent." In der Praxis sei es zudem nicht notwendig, wenn sich alle Fahrer an ein GLOSA halten. "Es müssen nur ein paar Fahrer sein, die bremsen dann den Rest mit ab."

Zusammenarbeit statt Egoismus

Bei der Empfehlung bestimmter Routen durch die Stadt sei unterdessen mehr Zusammenarbeit notwendig. "Alle gängigen Routingsysteme sind egoistisch. Wird Staugefahr erkannt, dann wird eine Ausweichroute gefunden und allen Fahrzeugen wird diese vorgeschlagen. Streckenstücke, die noch frei sind, bekommen dadurch zu viele Fahrzeuge ab." Sinnvoller sei es, wenn Anbieter von Navigationssystemen zusammenarbeiten und die Gesamtverkehrslage stets im Auge zu behalten.

"Dabei muss die Stadt eine Vorlage machen und Unternehmen dazu bringen, ihre Vorgaben beim Routing umzusetzen." Dieser Plan scheitere meist daran, dass Städte nicht in der Lage seien, festzulegen, was das optimale Routing sei. Geschehe das aber, so seien Navigationsfirmen wie Google, TomTom oder Wayze aber durchaus zur Kooperation bereit, erzählt Ganser.

"Um dynamisch und verkehrsabhängig Routing-Informationen weiterzugeben, muss man Machine Learning einsetzen, es bedarf enormer Rechenleistung." Kapsch arbeite auf dem Gebiet mit einem Partnerunternehmen zusammen. Dessen Software berechnet Routenempfehlungen ständig neu. Autofahrern wird so etwa während der Fahrt plötzlich eine Abwandlung der ursprünglich empfohlenen Route vorgeschlagen, um den Verkehrsfluss zu optimieren. Denkbar seien auch Belohnungssysteme, wenn sich die Nutzer an die Routingvorgaben der städtischen Verkehrsmanager halten.

Kapsch TrafficCom

Michael Ganser, Leiter der Abteilung Solution Consulting bei Kapsch TrafficCom

Zugangsbeschränkung

Mit den bereits beschriebenen Maßnahmen ließen sich Staus laut Ganser um 50 Prozent reduzieren. "Um auf 100 Prozent zu kommen, muss man den Zugang zur Straße managen." Geschehen könne dies etwa durch günstige öffentliche Verkehrsmittel oder andere Maßnahmen, um den "Modal Split", also die Anteile verschiedener Verkehrsmittel am Gesamtverkehrsaufkommen, umzugestalten. Ein geeignetes Mittel sei aber auch eine City-Maut, meint Ganser. Als Beispiel dafür wird oft London gesehen, wo man nur gegen eine fixe und relativ hohe Gebühr in das Stadtzentrum fahren darf. Ganser hält dieses Modell aber für suboptimal.

Jene, die es sich leisten können, fahren in London weiterhin mit dem Auto in die Stadt, während die City-Maut sozial Schwächere stärker trifft. "Der Tarif wurde da nicht so gesetzt, dass er die beste verkehrliche Wirkung hat. Da müssen sich Städte entscheiden, ob sie eine City-Maut als Geldquelle sehen oder den Verkehr steuern wollen." Besser sei es, variable Mauttarife einzuführen, die der Verkehrsbelastung folgen und so auch entgeltfreie Zeiten umfassen. Damit könne man den Verkehr besser orts- und zeitabhängig fein steuern. Auch sozialen Gegenargumenten könnte man entkräften: "Man könnte zum Beispiel einkommensbedingte Ausnahmen schaffen."

Maßgeblich für den Erfolg einer City-Maut sei außerdem, ob jene, die Maut bezahlen, auch tatsächlich weniger im Stau stehen. "Wir sagen Städten immer: Führt eine City-Maut nur mit einem ordentlichen Servicelevel ein und erklärt den Leuten, was ihr mit den Einnahmen macht. Damit niemand sagen kann, dass das reine Abzocke ist." In manchen Städten sei eine City-Maut keine gute Lösung, "etwa in Mumbai. In Indien ist alles extrem preissensitiv." Wo es allerdings ein genügend hohes Einkommensniveau gebe, da sei eine City-Maut eine wirkungsvolle und vergleichsweise kostengünstige Maßnahme.

Investitionen notwendig

Warum werden all die vorgeschlagenen Möglichkeiten, eine Stadt staufrei zu machen, nicht schon längst umgesetzt? "Weil kaum einer weiß, dass das geht", meint Ganser. Außerdem bedeute der Aufbau einer intelligenten Verkehrssteuerung immer zunächst zusätzliche Investitionen für eine Stadt. Durch City-Maut ließen sich aber Einnahmen generieren. Die Investitionen könnte man in der Zukunft mit Emissionshandel gegenfinanzieren. "Wenn man der EU sagt: 'Schau her, ich spare durch intelligentes Verkehrsmanagement Kohlendioxid ein, dafür bekomme ich pro Tonne CO2 rund 25 Euro', dann habe ich das Geld für die notwendigen Investitionen beisammen."

Dem Experten ist bewusst, dass das Thema Maut polarisiert. Pendler fühlen sich dadurch oft auf den Fuß getreten, vor allem, wenn keine attraktiven Alternativen bestehen. Durch die Präsenz des Themas Klimawandel im öffentlichen Diskurs wachse aber das Verständnis für neue Formen der Verkehrssteuerung. Ganser: "Der Leidensdruck ist da, man muss etwas machen. Uns ist wichtig, zu zeigen: Die Möglichkeiten, Staus in Städten zu reduzieren, sind vorhanden."

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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