"Das System ist zugunsten der Tech-Konzerne manipuliert"
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An der Universität Wien findet vom 14. bis 17. Februar die Robophilosophy-Konferenz statt, die sich der Rolle von Robotern in Gesellschaft, Politik, Machtpositionen und öffentlichem Raum widmet. Bekannte internationale Experten auf Gebieten wie Philosophie, Robotik, Sozialwissenschaften und Medizin erläutern in Vorträgen ihre Sicht auf die jüngsten Entwicklungen im Bereich Automatisierung und Digitalisierung. Die futurezone hat den britischen Ökonomen Guy Standing, der die Keynote am Mittwoch hält, interviewt. Standing ist der Ansicht, dass der technologische Wandel zu einer extremen Machtkonzentration in den Händen einer Tech-Elite führt und zur Entstehung eines globalen Prekariats beiträgt. Sein Rezept dagegen besteht aus der Einführung eines Grundeinkommens und einer Politik, die sich ihrer Verantwortung bewusst wird.
futurezone: Was ist Ihre wichtigste These zur jüngsten Automatisierungswelle? Guy Standing: Die Globalisierung und die technologische Revolution haben dazu geführt, dass ein globaler Arbeitsmarkt entstanden ist. Das hat in den USA und in Europa zu Outsourcing und Druck auf die Löhne geführt. Dadurch ist das Prekariat angewachsen. Millionen von Menschen sind mit Unsicherheit, unsteter Arbeit sowie niedrigen und schwankenden Löhnen konfrontiert.
Technische Revolutionen haben immer wieder für Umwälzungen gesorgt. Automatisierung und künstliche Intelligenz sind weitaus disruptiver als alles, was wir bisher erlebt haben. Dadurch entsteht eine Plattform-Wirtschaft, die uns Uber und Amazon Mechanical Turk gebracht hat.
Wie wird sich das auswirken? Die Allianz zwischen Technologie und privaten Investoren, die die App-Wirtschaft finanzieren, führt zu drei Entwicklungen. Erstens entsteht eine Concierge-Wirtschaft. Service-Jobs werden unter Verwendung von Apps zu Kurzzeit-Nebenerwerbsarbeiten mit niedrigen und schwankenden Einkommen. Zweitens entwickelt sich Crowd-Arbeit. Wie bei Amazons Mechanical Turk konkurrieren hier Menschen weltweit darum, online kleine Jobs zu übernehmen. Das wird zunehmen, auch für Arbeiten, die eine Ausbildung erfordern, etwa die Analyse juristischer Dokumente oder medizinischer Diagnosen. Drittens arbeiten immer mehr Menschen auf Abruf. Sie sitzen herum, bis sie gerufen werden und werden so ebenfalls Teil des Prekariats.
Wie geht das mit der Idee einer zunehmenden Automatisierung zusammen? Die Technologie hat menschliche Arbeit billig gemacht. Langfristig werden viele Aufgaben automatisiert werden, aber im Moment ist menschliche Arbeitskraft oft günstiger.
Wer ist von diesen Entwicklungen betroffen? Die Entwicklung von Software und die Verfügbarkeit entsprechender Systeme bringt uns alle dazu, mehr Arbeit zu machen, nicht weniger. Wer mit Google oder Amazon online geht, verrichtet Arbeit für diese Konzerne. So arbeite ich heute mehr als je zuvor, werde aber nicht bezahlt. Bezahlte Jobs werden durch unbezahlte Arbeit ersetzt.
KI kann heute vor allem Daten analysieren und Muster erkennen. Muss sich das mittlere Management Sorgen machen? Das mittlere Management ist in Gefahr. Gleichzeitig werden mehr und mehr Betätigungsfelder fragmentiert. Viele Menschen finden sich am unteren Ende ihres Bereichs wieder, wie Rechtsanwaltsfachangestellte oder Sanitäter, und haben kaum Chancen auf einen sozioökonomischen Aufstieg. Am oberen Ende gibt es eine Elite, wie bei Köchen, Ärzten oder Lehrern, die gut lebt. Die Mitte ist am stärksten bedroht, weil sie oft nur noch Knöpfe drückt.
Wie könnte die Politik solche Entwicklungen verhindern? Ich setze mich schon lange für ein Grundeinkommen ein, aus Gründen der Gerechtigkeit und der Freiheit. In den vergangenen Jahren haben sich auch viele Leute aus dem Silicon Valley und der KI-Community positiv zu dieser Idee geäußert, weil sie glauben, dass die Technologie Menschen in vielen Bereichen ersetzen wird.
Ein Grundeinkommen, das Unternehmen eine weiterhin zahlungsfähige Bevölkerung sichert, auch wenn die Jobs knapp werden? Ich bin skeptisch, was die Entstehung von Massenarbeitslosigkeit durch technologische Entwicklungen angeht. Ich denke, das Problem liegt eher in der wachsenden Ungleichheit und der Konzentration von Kapital bei den Tech-Eliten.
Woher könnte das Geld kommen? Das Grundeinkommen könnte durch Besteuerung der Tech-Konzerne finanziert werden. Die profitieren beim Sinken der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auch davon.
Wem Grundeinkommen hilft, hängt von der Implementierung ab. Besteht die Gefahr, dass es zur versteckten Subvention für Firmen wird, die niedrige Löhne zahlen? Ich habe im Silicon Valley und in Davos mit vielen Entscheidungsträgern aus der Tech-Branche geredet. Das sind nicht alles idiotische Libertäre der politischen Rechten. Oft handelt es sich um Sozialliberale, die an ein gutes Leben glauben. Sie verlangen nicht die Abschaffung der Sozialsysteme, auch wenn es einige Ausreißer geben mag.
Wie ist das mit Ihrer Analyse der Rolle der Tech-Konzerne vereinbar? Was die Vertreter der Tech-Firmen sagen, deckt sich oft nicht mit dem, was sie tun. Im Kapitalismus geht es um die Erhöhung der Profite, auch mit räuberischen Mitteln. Dazu kommt, dass es größenwahnsinnige Tendenzen in Führungspositionen gibt. Weist ein Manager diese nicht auf, wird er oft ersetzt. Das ganze System ist mittlerweile zugunsten von Konzernen und Plutokraten manipuliert. Individuen mögen sozialen Normen anhängen, aber das spielt dann kaum eine Rolle.
Ein geringes Grundeinkommen würde demnach trotzdem die Unternehmen stützen. Ich komme aus der Linken und sehe das Grundeinkommen als Teil einer progressiven Strategie. Jedes Grundeinkommen, selbst wenn es gering ist, stößt Veränderung an. Auch wenn es nur 200 Dollar pro Woche wären, die aus der Besteuerung von Firmen oder Abgaben auf die Verwertung von natürlichen Ressourcen kommen, wäre das ein Anfang. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass die soziale Gesellschaft erhalten bleibt. Ich habe Vertrauen in eine Agenda, die von neuen Parteien und politischen Ideen vorgegeben wird.
Die finnische Regierung verschweigt nicht, dass ihr Grundeinkommensexperiment dazu dient, Menschen zu bewegen, Jobs anzunehmen. In Finnland bekommen die Menschen den selben Betrag, wie wenn sie Arbeitslosengeld beziehen würden. Das ist genug, um ihre Verhandlungsposition zu stärken. Wer am unteren Ende der Gesellschaft steht, dem können 560 Euro im Monat helfen, sich zu entspannen. Die finnische Regierung steht rechts der Mitte. Es stört mich nicht allzusehr, wenn sie eigene Beweggründe ins Treffen führt. Das Experiment zeigt trotzdem, dass Leute auch arbeiten wollen, wenn sie bedingungsloses Geld bekommen. Das entkräftet ein Argument der Gegner. Die Menschen wollen ein gutes Leben und verlangen zunehmend eine Politik, die sich nach den Bedürfnissen von 90 Prozent richtet, nicht nach denen von zehn Prozent.
Würde die Verteilung von Geld in der Bevölkerung nicht die Inflation anheizen? Makroökonomisch ist das Grundeinkommen eine Ausgabenumlenkung: Geld, das sonst für andere Dinge ausgegeben würde, fließt in diese Maßnahme. Die EZB hat 1,1 Billionen Euro mit ihren Programmen zur Quantitativen Lockerung an die Banken verteilt. Das war ein Grundeinkommen für reiche Menschen, die Inflation ist nicht gestiegen. Das Grundeinkommen, das durch Besteuerung oder die Reduktion von Subventionen, die heute in die Wirtschaft fließen, bezahlt würde, ist hingegen nur eine Umlenkung von Ausgaben.
Die zu erwartenden steigenden Löhne hätten also keinen Effekt? Die verfügbaren Daten zeigen, dass ein Grundeinkommen die Nachfrage nach grundlegenden Gütern stärken würde. Das würde zu einer Erhöhung des Angebots in diesem Bereich führen, was eine nachhaltige Entwicklung erlauben sollte. Unsere derzeitige Krise ist eine der Ungleichverteilung. Mehr und mehr volkswirtschaftliches Einkommen fließt zum Kapital statt zur Arbeit. Inflation entsteht, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot. Dadurch steigen die Preise. Wenn es keinen Druck auf Unternehmen gibt, die Produktivität zu steigern, steigt die Inflation. Steigen die Gehälter aber, gibt es größeren Druck, die Produktivität zu steigern. Das reduziert die Preise und wirkt der Inflation entgegen.
Was tut die Politik derzeit? Facebook, Amazon und Co haben eine beängstigende Macht. Sie wollen Monopole über die Daten ihre Kunden. Wir haben keine Kontrolle über diese Giganten. Das erinnert mich an das “Gilded Age” am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA, als die sogenannten Räuberbarone die Wirtschaft kontrollierten. Die großen fünf Tech-Konzerne (Alphabet, Amazon, Apple, Facebook, Microsoft, Anm.) sind so mächtig, dass vor allem Europa sich Sorgen machen sollte. Der Aufstieg von Trump kann auch als Reaktion auf Chinas Aufbau von eigenen Tech-Konzernen gesehen werden, die die Vormacht der USA bedrohen.
Wie lange hat die Politik Zeit, Lösungen zu finden? Wir müssen jetzt handeln. Es gibt jeden Tag neue technologische Entwicklungen, die es schwerer machen werden, in fünf Jahren zu reagieren.
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