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© Screenshot/Videokonferenz/BarbaraWimmer

Science

"Der Unterschied zwischen Holzkohle und Spitzmaus ist nicht so groß"

Die futurezone traf den Physiker und futurezone-Kolumnisten Florian Aigner sowie den Molekularbiologen und Science Buster Martin Moder zum Gespräch. Beide haben 2020 Bücher veröffentlicht („Genpoolparty - Wie Wissenschaft uns stärker, schlauer und weniger unausstehlich macht“/„Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl“), die sich mit der Wissenschaft ihres Fachgebiets näher beschäftigen und diese beschreiben.

Im futurezone-Gespräch dreht sich alles um die Unterschiede der Forschung der verschiedenen Fachbereiche sowie die schlimmsten Wissenschafts-Mythen und die Gefahren von künstlicher Intelligenz.

Ihr seid beide Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachbereichen, wo sind sich die Physik und die Molekularbiologie einig, wo gibt es Differenzen?
Florian Aigner:
Die Physik beschäftigt sich mit relativ einfachen Dingen, mit unbelebter Materie, mit kleinen Teilchen oder mit Objekten, die man gut in mathematische Formel fassen kann. In der Molekularbiologie hat man es mit lebendigen Dingen zu tun, bei denen die Fehlerquellen oft größer sind.

Martin Moder: Wir haben lange Zeit geglaubt, dass es einen fundamentalen Unterschied geben muss, zwischen dem, was physikalisch möglich ist und dem, was lebendig ist. Das hat sich in den vergangenen Jahren ein bisschen aufgeweicht. Alles was man in der Biologie beobachtet hat, lässt sich auch chemisch beschreiben, oder physikalisch.

Aigner: Man hat lange gedacht, dass es einen mystischen Unterschied gibt, so etwas wie eine geheimnisvolle „Lebenskraft“.

Moder: Dabei ist der Unterschied zwischen einem nassen Stück Holzkohle und einer Spitzmaus gar nicht so groß, wenn man die Atome betrachtet.

Es gab keine aufregendere Zeit, um Molekularbiologe zu sein, schreibst du auf deiner Website Martin. Warum?
Moder: Es gibt die Ansicht, dass das vergangene Jahrhundert das Jahrhundert der Physik gewesen ist: Relativitätstheorie, Atombomben, Quantenphysik - all diese arge Sachen. Diesem Jahrhundert sagt man nach, es sei das Jahrhundert der Genetik. Es gab den ersten gentechnisch veränderten Menschen in China. Der Moment ist da, an dem die genetische Veränderung des Menschen eine Frage des Wollens und nicht mehr des Könnens ist. Das ist möglicherweise ein neues Kapitel in unserer biologischen Evolution.

Aigner: Natürlich ist die Biologie in einer Aufbruchsstimmung, trotzdem hat die Physik noch einiges mitzureden. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass sich die Trennung zwischen lebendigen und unbelebten Dingen in ein paar Jahren künstlich anfühlt und die Wissenschaftler aufwachsen in einer Welt, wo die Unterscheidung keinen Sinn mehr macht. Natürlich wird es weiterhin unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen geben, aber man wird immer besser verstehen können, wie sie zusammenhängen.

Moder: Das stimmt. Für die großen Sprünge in der Biologie benötigt man gute Bioinformatiker. Ohne gute Programme und Computer kommt man nicht weit und was im Computer passiert, ist letztlich Physik.

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Was sind in euren Forschungsfeldern in der breiten Bevölkerung die größten Mythen?
Aigner: Ich komme aus der Quantenphysik, da ärgere ich mich oft darüber, dass diese in jeden esoterischen Unfug hineingezogen wird. Es gibt fast keinen Unsinn, bei dem nicht jemand versucht, ihn mit Quantentheorie zu legitimieren: Quanten-Astrologie, Quantenheilung oder die Kommunikation mit Engeln zum Beispiel. Da werden ein paar beeindruckende Begriffe verwendet für Sachen, die nichts damit zu tun haben.

Moder: Wenn man sagt, man ist Biologe, zeigen Leute in der Regel auf Pflanzen und fragen einen, was das ist. Man gewöhnt sich deshalb rasch an zu sagen, man sei Molekularbiologe. Da passiert das nicht, weil sie nicht wissen, wo sie hinzeigen sollen.

Wir leben im Zeitalter des „Glaubens“, und nicht mehr des „Wissens“. Viele entgegen vermeintlichen Fakten heutzutage mit „das glaube ich nicht“. Wie entgegnet ihr dem?
Moder: Es kommt ganz darauf an, was sie danach sagen. Man muss sich immer ansehen, auf welcher Ebene die Menschen argumentieren. „Ich glaube nicht, dass man eine Impfung innerhalb von 2 Monaten zulassen sollte“ - Darauf kann man Vieles antworten. Eine aufnahmebereite Person kann durch die richtigen Antworten ihre Ängste verlieren. „Donald Trump wurde von Jesus geschickt, um die Welt zu retten“ - Da sollte man eher nach Hause gehen und sich mit Sinnvollerem beschäftigen.

Aigner: Der wichtigste Grundsatz dabei ist: Glaube nicht alles, was du denkst. Wir müssen lernen, Meinungen zu hinterfragen und dazu gehört auch unsere eigene Meinung. Wir haben rasch ein bestimmtes Bauchgefühl zu gewissen Themen. Es wird aber davon beeinflusst, was wir gerne glauben würden und von welchen Dingen wir gerne hätten, dass sie wahr sind. Zu erkennen, dass man sich irrt, ist eine Kompetenz, die heute wichtiger ist, als je zuvor. Wir müssen lernen, zuverlässige Informationen von wackeligen Vermutungen zu unterscheiden. Dabei machen wir alle Fehler – wir alle müssen dazulernen.

Es gibt auch diesen Spruch: „Glaube keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast.“
Moder: Der Spruch kommt meistens von Leuten, die zu faul sind um eine Studie zu lesen. Demnach dürfte man ja gar nichts glauben, das auf Wissenschaft basiert. Ich gebe aber zu, es ist oft schwierig, Studien wirklich zu verstehen. Manches ist einfach unfassbar kompliziert.

Aigner: Es gibt auch viele wissenschaftliche Publikationen, die in Teilen problematisch sind. Nicht alles, was in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wird, ist die pure Wahrheit. Das klingt aber schlimmer als es ist. Denn die Wissenschaft ist sehr gut darin, Fehler aufzuspüren und zu korrigieren.

Worauf kann man sich dann eigentlich noch verlassen?
Aigner: Das wirklich Verlässliche ist nie die Einzelmeinung – auch nicht, wenn es die Meinung eines Genies ist. Verlässlichkeit entsteht immer erst durch Konsens. Wenn viele Leute in der Wissenschaft diskutieren, streiten, Daten vergleichen, Unstimmigkeiten analysieren und sich am Ende einigen – dann haben wir ein verlässliches Ergebnis.

Moder: Viele haben ein falsches Bild davon, wie Forschung passiert. Es ist falsch, sich vorzustellen: „Da hat jemand eine Idee und schreit Heureka und das ist der Durchbruch und alle klopfen einem auf die Schulter.“ Die Wahrheit: Du präsentierst deine Daten und Ergebnisse und danach suchen deine Kolleginnen und Kollegen alle denkbaren Gründe, warum das potentiell ein Blödsinn ist. Erst wenn du alle Gegenargumente entkräften kannst, danach klopfen sie dir auf die Schulter. Dass sich Forschende manchmal uneinig sind, ist ein ganz wichtiger Aspekt im Prozess des Erkenntnisgewinns.

Kaum ein Thema spaltet die Gesellschaft mehr als Corona. Zu kaum einem Zeitpunkt war die Wissenschaft so gefragt. Aber auch zu kaum einem Zeitpunkt gab es so viele Mythen. Ist das ein Widerspruch?
Aigner: Es ist kein Widerspruch, sondern logisch, dass beides gleichzeitig stattfindet. In einer komplizierten Zeit, in der etwas Neues passiert, wovor wir Angst haben, sucht man Antworten. Die kann man auf beiden Seiten finden. In der Wissenschaft und in den Schwurbelkreisen. Nur ist die eine Seite zielführender als die andere.

Oft ist sich hier die Wissenschaft aber nicht einig?
Aigner: Das liegt daran, dass es um schwierige Fragen geht. Im Frühling gab es etwa die Frage: „Ist es gescheit, Nasen-Mundschutz-Masken zu tragen?“ Da gab es unterschiedliche Empfehlungen seitens der Wissenschaftler. Damals ging es auch darum, ob wir Masken Personen wegnehmen, die diese dringender brauchen. Da kommen soziale und politische Aspekte dazu, die es kompliziert machen. Das bedeutet aber nicht, dass man alles in Zweifel stellen darf, etwa, dass es gar keine Coronaviren gibt. Das ist falsch, da gibt es klare Antworten.

Moder: Man muss klar unterscheiden, welche Fragen man beantworten kann und welche nicht. Wir wissen, dass das Coronavirus um ein Vielfaches tödlicher ist als die normale Grippe. Wir wissen, dass der Mund-Nasen-Schutz sinnvoll ist. Aber manche Themen sind einfach komplexer.

Ihr beschäftigt euch beide mit der Zukunft. Ein Zukunftsthema betrifft die künstliche Intelligenz. Elon Musk aber auch Stephen Hawking warnten davor, dass KI das „schlimmste Ereignis der Menschheit“ werden könnte. Wie ordnet ihr das ein?
Moder: Der Neurowissenschaftler Sam Harris fürchtet, dass künstliche Intelligenz mitunter deshalb zu einem Problem werden könnte, weil die Leute, die daran arbeiten, es so unfassbar interessant finden, dass ihnen die Konsequenzen egal sind, solange sie fortschrittliche KI erleben dürfen. Die Vorstellung, dass wir etwas erschaffen könnten, das intelligenter ist als wir selbst, ist so ziemlich das Spannendste, das ich mir vorstellen kann. Bei „intelligenter als wir“ denken wir gerne and den Unterschied zwischen uns selbst und Einstein. Aber vielleicht ist der Verglich zwischen einer Ameise und uns selbst passender.

Aigner: Wir können die Entwicklung derzeit noch nicht einschätzen. Ich glaube, dass KI in den nächsten Jahrzehnten unser Leben massiv verändern wird und ich glaube, wir unterschätzen das Potenzial und die Wucht, mit der das geschehen wird. Ich weiß aber nicht, ob man das mit dem Verhältnis zwischen uns und einer Ameise vergleichen kann. Ich glaube, hier entsteht etwas ganz Neues, wofür wir keine Vergleiche haben.
Ich sehe hier aber nicht nur eine Gefahr, sondern auch ganz viel Hoffnung und Potenzial. KI kann ein Werkzeug sein. Der Mensch hat es in vielen Bereichen geschafft, Werkzeuge zu bauen. Wir haben Muskelkraft, aber es gibt Maschinen, die uns hier um das Vielfache übertreffen. Wir können keine Hochhäuser bauen, nur mit unserer Muskelkraft. Warum sollen wir nicht auch Maschinen bauen, die uns an Geisteskraft übertreffen?

Moder: Ich glaube, dass man das nicht mit der Muskelkraft vergleichen kann. Es muss gar nicht so weit gehen, dass etwas viel intelligenter ist als der Mensch - es reicht schon, dass es schneller ist. Wenn ich in einem Supercomputer ein gesamtes, menschliches Gehirn simuliere und auf „Start“ drücke, dann sind die elektrischen Signale viel schneller als die biochemischen. Vielleicht fühlt es sich für dieses simulierte Gehirn so an, als hätte es für jede Antwort 10 Jahre Zeit um nachzudenken. Da bekäme man wohl kaum banale Antworten.

Aigner: Aber auch wenn wir KI bauen, ist die vom Menschen erschaffen und von uns abhängig. Wir können den Stecker ziehen.

Moder: Ich glaube, wir sind zu naiv. Wir können uns gar nicht vorstellen, was das bedeutet, wenn etwas deutlich intelligenter ist als wir. Dass wir das abdrehen könnten, da wäre ich vorsichtig.

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Auf welche wissenschaftlichen Durchbrüche werden wir uns in näherer Zukunft freuen können?
Aigner: Es wird viel Spannendes in vielen Bereichen geben. In der Materialforschung setzen sich neue Computermethoden durch, dadurch wird sich der Alltag verändern. Auch in der IT wird es Revolutionen geben. Die Quantenphysik wird weitere Überraschungen liefern. Und angesichts des Klimawandels wird die Forschung im Bereich der Ökologie immer wichtiger.

Moder: Viele Dinge, die sich als großer Durchbruch entpuppt haben, wurden anfangs nicht als bedeutsam wahrgenommen. Wie die Genschere CRISPR präsentiert wurde, bin ich im Seminarraum gesessen und dachte, das ist fad. Zwei Jahre später konnte ich damit ein Projekt starten, das ohne CRISPR unmöglich wäre. Was heute banal wirkt, kann sich morgen als bahnbrechend erweisen. Da muss man geduldig sein.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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