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Bei Messen lassen sich NFC-Besucher freiwillig Chips einsetzen

© APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND / JONATHAN NACKSTRAND

Science

„Ein Chip unter der Haut ist mir zu invasiv“

Was vor 15 Jahren als Spaß unter IT-Nerds begonnen hat, kommt jetzt immer mehr im Alltag an: das Einpflanzen von Chips unter die Haut. „Menschen haben sich bereits 2004 zum Spaß kleine RFID-Chips einpflanzen lassen, um sich damit am Computer einzuloggen oder ihr Auto aufzusperren. Jetzt setzen es Firmen bei ihren Mitarbeitern ein“, erzählt Ulrike Hugl, Forscherin an der Universität Innsbruck, im Gespräch mit dem KURIER. Sie hielt auf der Sicherheitskonferenz DeepSec einen Vortrag zum Thema „RFID-Chip im Körper“.

Das Technik-Unternehmen „Three Square Market“ (32M) in Wisconsin in den USA hatte seine Mitarbeiter schon vor eineinhalb Jahren mit einem Mini-Chip ausgestattet, der zwischen Daumen und Zeigefinger unter der Haut implantiert wurde. Der Chip wird seither von den Mitarbeitern dazu genutzt, um sich in die Büro-Computer einzuloggen, für Essen und Trinken aus den Automaten zu zahlen, Türen zu öffnen und den Kopierer zu bedienen.

Großflächiger Einsatz in England

Vor kurzem wurde via Guardian bekannt, dass auch in Großbritannien bereits Gespräche mit interessierten Firmen laufen, dieses Modell großflächig zu kopieren. Die Chips dafür stammen von der schwedischen Firma Biohax. „Die Firmen stammen aus dem Finanz- und Rechtsbereich und sind nicht klein. Ein Unternehmen soll mehrere hunderttausend Angestellte haben“, sagt Hugl. Das Einsetzen eines Biochips kostet dabei etwa 170 Euro pro Stück.

Die Mitarbeiter sollen nicht dazu gezwungen werden, sondern das Ganze soll auf Freiwilligkeit beruhen, heißt es seitens der Unternehmen. Für Hugl ist das allerdings mehr Schein als Sein: „Natürlich entsteht da ein Druck auf die Mitarbeiter. Es entsteht soziale Kontrolle und ein Gruppenzwang, das tun zu müssen, was die anderen machen.“

Breite Kritik

Für die Forscherin sei das in etwa vergleichbar mit „Sozial Freezing“: „Unternehmen haben angekündigt, die Kosten für das Einfrieren von Eizellen von Mitarbeiterinnen zu übernehmen. Natürlich ist dadurch ein Druck auf die Mitarbeiterinnen entstanden, nicht mehr selbst zu entscheiden, wann sie Kinder bekommen. Ich frage mich da: Wie weit dürfen Firmen gehen?“

In Großbritannien warnten der Firmenverband CBI (Confederation of British Industry) sowie die Gewerkschaft TUC vor solchen Entwicklungen. „In Österreich würden derartige Vorhaben auf großen Widerstand der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen stoßen. Ohne Betriebsrat ginge das nicht“, meint Hugl. „Allerdings kann ich es mir als Option vorstellen, wenn die Mitarbeiter das aktiv vorantreiben.“

Die Firmen argumentierten damit, dass Mitarbeiter den Chip auch privat nutzen dürften, um etwa Autos aufzusperren oder um ihre Gesundheitsdaten darauf zu speichern. Dieser Ansatz wurde auch bereits von einigen Spitälern ausprobiert, um darauf Patientendaten zu speichern.

Ulrike Hugl auf der DeepSec in Wien

Fehlende Diskussion in der Gesellschaft

„Ich könnte mir vorstellen, dass die technologische Entwicklung weiter voranschreitet und wir keine kritische Diskussion darüber in der Gesellschaft haben. Dann kann es passieren, dass sich niemand etwas dabei denkt und sich in zehn Jahren alle einen Chip einpflanzen lassen“, warnt Hugl. Die Wissenschaftlerin bemängelt, dass wie bei vielen Technologie- und Datenschutz-Themen eine „breite Diskussion“ in der Gesellschaft fehle und sich zu wenig Menschen damit befassen.

Hugl selbst würde sich nie so einen Chip einpflanzen lassen. „Ein Chip unter der Haut ist mir zu invasiv“, sagt sie. „Nachdem ich weiß, was da alles getrackt, gemonitored und gedatamined wird, hätte ich meine größten Bedenken. Ich meide generell Technologien, die Daten über mich sammeln“, so die Forscherin. „Aus dem Bereich Wirtschaftskriminalität wissen wir, dass sich Angreifer anpassen an Technologien oder sie so nutzen, dass sie zu ihrem Vorteil sind. Eine Zutrittskarte kann ich jemandem physisch wegnehmen. Das Implantat kann ich allerdings nur herausschneiden“, fährt die Expertin fort.

Schnelle Entwicklung möglich

Der Chip ist zudem in der Lage, genau zu tracken wann ein Mitarbeiter kommt und geht. Außerdem stellt sich die Frage, was mit dem Chip passiert, wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen wieder verlässt. „Was bedeutet das für den Körper?“, fragt sich Hugl, die davor warnt, dass das, was vor 15 Jahren als Versuche begonnen hat, plötzlich relativ rasch zu einer Massenanwendung werden könnte. Laut Amal Gfraafstra, der mit Digiwell selbst kleine Chips zum Implantieren vertreibt, seien es längst nicht mehr nur "IT-Nerds", die sich Chips einpflanzen würden. Es sei bereits das "Tattoo der Neuzeit".

„Manchmal vergehen da nur ein paar Jahre dazwischen. Viel hängt davon ab, wie man etwas vermarktet“, warnt Hugl, die fürchtet, dass wir von der Entwicklung „einfach überrollt“ werden könnten. Die Wissenschaftlerin wünscht sich daher einen breiten Diskurs über diese Themen – und zwar bevor sich plötzlich jeder einen Chip einpflanzen lässt, ohne davor nachzudenken.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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