App soll Familien den Umgang mit ADHS erleichtern
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Rund 5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen weltweit sind von einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung betroffen. ADHS, wie die Beeinträchtigung kurz genannt wird, äußert sich im Alltag einerseits durch Aufmerksamkeitsprobleme und Ablenkbarkeit, andererseits durch Hyperaktivität und Unruhe. Für Familien ist es oftmals nicht leicht, mit solchen Symptomen den Alltag zu bewältigen. Die FH Campus Wien entwickelt deshalb eine App, die mit konkreten Tipps helfen soll.
Anleitungen für alltägliche Aufgaben
Im Forschungsteam der FH arbeiten Expert*innen unterschiedlicher Disziplinen - aus Ergotherapie, Health Assisting Engineering und aus dem Bereich Software Engineering und Digital Communications gemeinsam mit dem App-Entwickler Nous Wissensmanagement GmbH an der Entstehung der App "eCounseling and Learning System for Attention deficit hyperactivity disorder", kurz ELSA. "Wir wollen damit Hilfestellungen dort anbieten, wo sie benötigt werden", erklärt Projektleiterin Andrea Kerschbaumer, denn: Therapieplätze für ADHS gebe es nur wenige. Kindern und Eltern falle es zudem oft schwer, in Therapiesitzungen gelernte Strategien für den Umgang mit ADHS zuhause umzusetzen.
"Im Alltag können durch ADHS unterschiedliche Problemstellungen auftreten", sagt Kerschbaumer. "Kinder haben eine reduzierte Aufmerksamkeitsspanne, eine erhöhte Ablenkbarkeit, einen hohen Bewegungsdrang, lassen Erwachsene nicht ausreden, sind sehr impulsiv und emotional und können nur schwer mit Frustration umgehen." Die App soll Tipps geben, wenn es zu Schwierigkeiten kommt, sie soll Spielideen vorschlagen und Anleitungen für alltägliche Aufgaben bereitstellen.
Videos und kurze Texte
Gegliedert sind die Inhalte in 3 große Handlungsbereiche: Schulische Aktivitäten, Selbstständigkeit im Alltag sowie Freizeitaktivitäten und Erholung. Manche Kinder tun sich nur in gewissen Situationen schwer, andere in allen 3 Bereichen. Die App geht daher individualisiert vor. Eltern legen ein Profil für ihr Kind an und beantworten einige Fragen. "Diese sind ressourcenorientiert, es geht also darum, was das Kind alles kann, nicht darum, was es nicht kann", sagt Kerschbaumer.
Für jene Bereiche, in denen Defizite deutlich werden, erhalten Eltern speziell hervorgehobene Tipps aus einer Liste an Einträgen. Zu jedem Ratschlag gibt es ein Video und einen kurzen Text. Stets mitgeliefert wird auch ein Trick für die jeweilige problematische Situation.
Drehzahlmesser zeigt Erregungsniveau
Ein solcher Trick ist etwa der "Drehzahlmesser". Auf einer Skala mit Zeiger können Eltern und Kinder ihre jeweiligen Gefühlszustände mitteilen. Das reicht von einem geringen Erregungsniveau, bei dem man müde oder träge ist, bis zu einem hohen Erregungsniveau, bei dem man aufgekratzt und besonders ungeduldig ist. Für bestimmte Alltagsaufgaben ist es notwendig, das individuelle Erregungsniveau entweder zu steigern oder zu senken, um in einen konstruktiven Mittelbereich zu gelangen. Gelingen kann das etwa durch Aktivierungs- oder Zentrierungsübungen.
Andere Themenbereiche widmen sich u.a. der Frage, wie sich Kinder zuhause einen Arbeitsplatz für Hausübungen einrichten können, wie sie ihre Schultasche einräumen oder sich Gewand aus ihrem Kleiderschrank aussuchen können. "Kinder mit ADHS stehen nämlich oftmals vor dem Schrank und schaffen es nicht, sich darin zu orientieren."
Extreme Stresssituationen mindern
Die Tipps für den Alltag sind bewusst knapp und leicht verdaulich gehalten, denn oftmals sind neben den Kindern auch deren Eltern von ADHS betroffen. "Nicht nur im Kopf der Kinder herrscht Chaos, so schauen auch manchmal ihre Wohnungen aus", sagt Kerschbaumer. "Auch die Aufmerksamkeitsspanne der Eltern ist manchmal sehr gering und sie tun sich schwer, den Tag zu planen." Besteht die Kapazität und das Interesse zur Vertiefung, biete die App zu jedem Tipp aber auch ausführlichere Informationstexte an.
Kerschbaumer: "Unser Ziel ist die Steigerung der Lebensqualität in den Familien. Wir versprechen keine Heilung, eine App ist kein Medikament. Aber es soll Fortschritte in den Fertigkeiten der Kinder geben und extreme Stresssituationen sollen gemindert werden."
Ab 2024 in den App Stores
Begonnen wurde das von der Stadt Wien - MA 23 geförderte Projekt ELSA Anfang 2022. "Wir sind dabei Ergotherapie-basiert und evidenzbasiert vorgegangen", erklärt Kerschbaumer. In einer mehrmonatigen Bedarfserhebungsphase wurden Interviews mit Eltern, 2 Workshops mit betroffenen Kindern sowie Fokusgruppen mit Ergotherapeut*innen durchgeführt. Demnächst startet die entwicklungsbegleitete Evaluation. Dabei wird der App-Prototyp 12 Familien vorgeführt, um ihr wertvolles Feedback zur laufenden Optimierung der App zu erhalten.
Im Mai 2023 soll dann die Feldstudie beginnen, bei der 10 bis 15 Familien die mit 20 Tipps ausgestattete App 2 Monate lang anwenden. Im Rahmen von Bachelorarbeiten an der FH Campus Wien sollen zusätzlich weiterführende Inhalte für die laufende Ergänzung erstellt werden. Ziel ist, die App ab Anfang 2024 kostenlos in den großen mobilen App Stores anzubieten.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien.
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