„International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER)
© ITER Organisation

Science

Großes Problem von Fusionsreaktoren gelöst - von Wiener Forschern

Fusionsreaktoren sind seit Jahrzehnten große Hoffnungsträger als Energiequelle der Zukunft. Allerdings gibt es bis heute keine kommerzielle Anlage, die nach dem Prinzip arbeitet. Eine der wichtigsten Fragen, die es noch zu klären gibt, ist der Schutz der Reaktorwand vor dem unvorstellbar heißen Plasma im Inneren. Forscher*innen aus Wien und Deutschland meinen nun, dafür eine Lösung gefunden zu haben, die sie im Fachblatt „Physical Review Letters“ vorstellen.

Der in Südfrankreich im Bau befindliche „International Thermonuclear Experimental Reactor“ (ITER) soll in großem Maßstab zeigen, wie aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie erzeugt werden kann. Um die Fusion herbeizuführen, ist ein gigantischer Energieaufwand nötig. Die Kernfusion könnte ihren Unterstützern zufolge aber auf lange Sicht eine Alternative zur Verbrennung fossiler Brennstoffe und der umstrittenen Kernspaltung werden. An dem Milliarden Euro teuren ITER-Projekt sind 35 Länder beteiligt: neben sämtlichen EU-Mitgliedstaaten auch Großbritannien, die Schweiz, Russland, China, Indien, Japan, Südkorea und die USA. Erste Testläufe sind für das Jahr 2025 geplant, wie stark die Corona-Pandemie den Zeitplan aber erneut verzögert, ist noch offen.

Tokamak-Reaktor

Die Anlage ist ein sogenannter Tokamak-Reaktor. Hier wird das ungefähr 100 Millionen Grad Celsius heiße Plasma in einem donut-förmigen Vakuumgefäß gehalten. Sehr starke Magnete an der Reaktorwand sollen verhindern, dass die Hitze das Gefäß schädigt. Genau hier liegt der Knackpunkt im Betrieb, denn bei herkömmlichen Konzepten, bei denen das Plasma mittels der Magnete in einer Form gehalten wird, die im Querschnitt am ehesten einer Ellipse gleicht, kommt es immer wieder zu größeren Plasmainstabilitäten - sogenannte „Typ-I ELM“-Ausbrüche, bei denen auf einmal relativ viel ultraheißes Plasma die Wände nachhaltig schädigen kann.

Bei kleineren Reaktoren halten die Wände solche Ausbrüche aus, sind aber wie am ITER sehr viele Teilchen und damit sehr viel Energie im Spiel, hätte das „gravierende Folgen“, sagte Georg Harrer vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien der APA. Das sei eines der größten Hindernisse beim Einsatz der Technologie. Das Plasma komplett von der Reaktorwand wegzuhalten ist jedoch auch keine Option, „schließlich muss neuer Brennstoff zugeführt und das bei der Fusion entstandene Helium abtransportiert werden“, so der an der Arbeit beteiligte TU-Forscher Friedrich Aumayr in einer Aussendung.

In Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München konnten die Wiener Physiker*innen eine neue Art des Betriebes entwickeln, bei dem die heißen Plasmateilchen mit Hilfe der Magnete in einer anderen Form gehalten werden. Die Wissenschafter*innen zwangen das Plasma in einen Querschnitt, der eher einem abgerundeten Dreieck ähnelt. Wenn sie zusätzlich auch noch darauf achteten, dass die Teilchen-Konzentration an den Rändern hoch ist und eine Art „Schutzschicht mit Gas“ bildet, konnten die „Typ-I ELMs“ hintangehalten werden.

ASDEX Upgrade

Das könne man ohne Anpassungen der Geräte rein über die Einstellung der Magnete regeln, erklärte Harrer. Bisher dachte man, dass dieses Szenario für große Reaktoren ungeeignet ist. In der neuen Arbeit zeigt das Team aber, dass dem nicht so sein dürfte. In der Praxis umgesetzt hat man dies schon an einem kleinen Fusionsreaktor in der Schweiz und am doppelt so großen „ASDEX Upgrade“ in Deutschland. Noch eine Stufe größer ist der „Joint European Torus“ (JET) in Culham (Großbritannien). „Wir dürfen im nächsten Schritt unser Szenario am JET ausprobieren“, sagte Harrer.

Der Vorteil des Ansatzes ist, dass bei der Dreiecks-Form mehrere tausend Mal pro Sekunde kleine Instabilitäten auftreten. Diese extrem kurzen „Bursts“ können die Reaktorwand aber nicht so aufheizen wie die gefürchteten „Typ-I ELMs“. Vergleichen könne man das mit einem Kochtopf, bei dem kontinuierlich etwas Druck entweicht, und nicht etwa in größeren, aber selteneren Schüben. „Ich bin überzeugt, dass unser Szenario ein sehr guter Weg ist, um die Typ-I ELMs zu verhindern“, so Harrer.

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