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Forschung

Gedankenlesendes Implantat soll Epilepsiepatienten helfen

Wissenschaftler haben einer Maus ein Implantat unter die Haut gesetzt, das mittels Gedankensteuerung von einer Versuchsperson aus- und eingeschaltet werden kann. Der in das Nagetier eingebrachte Mechanismus besteht aus modifizierten menschlichen Nierenzellen und einer Diode, die auf elektrische Felder reagiert. Eine Versuchsperson trägt Sensoren zur Messung ihrer Hirnströme (EEG) und schaltet durch Konzentration oder Entspannung eine Spule ein oder aus. Das entstehende elektrische Feld steuert die Diode im Implantat in der Maus. Bei eingeschaltetem Licht produzieren die genetisch veränderten Zellen ein Protein, das dann im Mäuseblut nachgewiesen werden kann.

“Das Protein im Experiment hat keine Wirkung und dient nur dem Nachweis der Produktion. Grundsätzlich können wir aber beliebige Proteine herstellen, auch mit therapeutischer Wirkung”, erklärt Martin Fussenegger von der ETH Zürich gegenüber der futurezone. Im Fokus haben die Forscher derzeit vor allem zwei potenzielle Einsatzgebiete. “Wenn wir Epilepsiepatienten mit Implantaten und EEG-Sensoren ausstatten, könnten die charakteristischen Hirnströme vor einem Anfall erkannt werden und automatisch die Produktion eines Medikaments im Körper auslösen”, sagt Fussenegger.

Unsichtbare Technik

Die zweite vielversprechende Möglichkeit ist die Behandlung von chronischen Schmerzen. Auch hier gehen den spontan auftretenden Anfällen charakteristische Hirnwellenmuster voraus. “Mit unserer Methode wäre eine hohe Dynamik möglich, da Licht und Elektronik schnell moduliert werden können”, sagt Fussenegger. Auch die Früherkennung und Therapie von neurologischen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson wäre laut den Forschern mit ähnlichen Ansätzen möglich.

Die EEG-Sensoren, die Patienten zur Überwachung der Hirnströme tragen müssen, sind relativ einfacher Natur. “Es ist nur eine Elektrode, die aussieht, wie ein Kopfhörer. Man wird den Patienten gar nicht ansehen, dass sie krank sind”; erläutert Fussenegger die psychologischen Vorteile.

Sicherheit geht vor

Die Rechenleistung, die benötigt wird, um die Hirnströme mit pathologischen Mustern abzugleichen und im Notfall das Implantat zu aktivieren, ist nicht sonderlich groß und kann von einem kleinen, externen Modul aufgebracht werden, das Patienten am Körper tragen können. Wo das Implantat selber sitzen müsste, hängt von der jeweiligen Krankheit ab. Ob das produzierte Medikament die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann, ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Teilweise müssten die Implantate wohl direkt in den Schädel gesetzt werden. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. “Erste Tests an Menschen werden wir frühestens in fünf bis zehn Jahren sehen. Das ist ein interdisziplinäres Projekt und wir müssen uns bei der Arbeit an strengen, medizinischen Standards orientieren. Sicherheit geht immer vor. Das dauert eben seine Zeit”, sagt Fussenegger.

Längerfristig wäre auch die Behandlung von Krankheiten wie Diabetes denkbar, die nicht direkt mit den Hirnströmen verbunden sind. “Es gibt vermutlich unterbewusste Zusammenhänge zwischen Tagesablauf, Sättigung und Hirnströmen, die für die Steuerung der Insulinproduktion verwendet werden könnten. Das liegt aber noch viel weiter in der Zukunft”, sagt Fussenegger.

Enzyme als Medikamente

Im Falle von Epilepsie hingegen wird schon darüber nachgedacht, welches Medikament die manipulierten Zellen herstellen könnten. Die Pharmaunternehmen müssen hier unter Umständen auch schon aufgegebene Substanzen nochmals evaluieren, da die neue Therapieform gänzlich andere Anforderungen stellt.

In den Nierenzellen, die in Zürich für das Experiment verwendet wurden, haben die Forscher ein bakterielles Enzym eingebaut, das durch Licht aktiviert wird. Dadurch wird unabhängig von anderen Stoffwechselpfaden in der Zelle eine Signalkette angestoßen, an deren Ende Gene schalten, die für die Produktion eines gewünschten Enzyms kodieren. So ist praktisch jedes Enzym herstellbar.

Aspirinfabrik im Körper

Es lassen sich also alle Medikamente auf Proteinbasis durch ein solches optogenetisches Implantat herstellen. “Zu den Proteinpharmazeutika gehören etwa Hormone oder Antikörper”, erklärt Fussenegger. Würden statt den sogenannten HEK-Zellen (Human-Embryonic-Kydney, menschliche embryonale Nierenzellen) Bakterien verwendet, könnten auch beliebige andere Wirkstoffe, die nicht auf Proteinen basieren, hergestellt werden. “Salicylsäure, der Wirkstoff aus Aspirin, könnte noch mit menschlichen Zellen erzeugt werden, für ein Antibiotikum müssten Bakterien verwendet werden”, sagt Fussenegger. Der Einsatz von Bakterien im Körper birgt allerdings Risiken, die Forscher nicht bereit sind einzugehen.

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Markus Keßler

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