
ISTA-Präsident: "Wir sind in Österreich zur Spitze aufgestoßen"
Vor 2 Jahren übernahm der Molekularbiologe Martin Hetzer die Leitung des Institute of Science and Technology (ISTA) in Klosterneuburg. Die futurezone war zu Besuch auf dem Campus und hat mit dem ISTA-Präsidenten über die heimische Wissenschaftscommunity, Forschung im Zeitalter “alternativer Fakten” und die Rolle von Künstlicher Intelligenz gesprochen.
futurezone: Worauf sind Sie im Rückblick auf die vergangenen 2 Jahre am meisten stolz in Ihrer Funktion als ISTA-Präsident, was ist gut gelungen?
Martin Hetzer: Als ich gekommen bin, hatten wir 75 Forschungsgruppen, jetzt sind wir schon bei 90. Und wir haben das Ziel, auf 150 anzuwachsen. In diesem schnellen Wachstum ist es sehr wichtig, eine Community zu erhalten, in der sich die Leute kennen. Das wird immer schwieriger, je schneller man wächst. Wir haben daher ein Leadership-Programm gestartet, um zu vermeiden, dass die Leute in einzelne "Silos" abwandern. Je größer wir werden, je mehr Gebäude wir haben, desto stärker sind die Kräfte, die in diese Richtung wirken. Zu sagen: “Ich bleibe in meinem Mikrobereich”, das ist für die Wissenschaft sehr schädlich. Wir wollen hier wirklich etwas schaffen, wo wir Leute nicht in Einzeldisziplinen einordnen, sondern Forschende sollen hierherkommen und den großen Fragen nachgehen können und sich austauschen. Ich denke, das gelingt uns am ISTA gut.
Wohin wollen Sie sich mit dem ISTA in den nächsten Jahren wissenschaftlich entwickeln, gibt es bestimmte Schwerpunkte, die gesetzt werden?
Ein Fokus sind zum Beispiel unsere Aktivitäten im Technologiebereich. Also KI ist natürlich ein Schwerpunkt. Wir sind sehr stark in den Computerwissenschaften und auch der Mathematik. Auch auf einige der theoretischen Bereiche, wie zum Beispiel die theoretische Physik, aber auch die theoretischen Neurowissenschaften legen wir einen Fokus. Was wir in den vergangenen Jahren ebenfalls stark gefördert haben, ist der Bereich der Quantenforschung - das ist in vielen Fragen, etwa auch der Energie, ein wichtiges Thema. Auch Bereiche wie Chemie oder Astrophysik stehen im Mittelpunkt, das wollen wir weiter ausbauen.
Wie entwickelt sich aus Ihrer Sicht die Wissenschaftscommunity in Österreich derzeit generell? Sie waren ja auch lange im Ausland, wie schlagen wir uns da im Vergleich?
Ein Punkt, ich denke, das kann man sagen, ist das Förderlevel, wo wir auf einem guten Weg sind. Man kann argumentieren, dass wir in Österreich im europäischen Zusammenhang zur Spitze aufgestoßen sind. Was wir jetzt auch als Gesellschaft bereit sind, in Wissenschaft zu investieren, da sind wir nicht mehr Schlusslicht, sondern an der Spitze.
Können wir überhaupt mit größeren Nationen mithalten?
Es ergeben sich natürlich interessante Fragen: Was machen wir als kleines Land jetzt wirklich? Da gibt es Herausforderungen und auch Grenzen. Wir können als kleines Land am Geschehen in Europa natürlich nur bedingt teilnehmen. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass wir bestimmte Dinge nicht national angehen können, sondern wirklich ein wissenschaftlich starkes Europa brauchen. Wir brauchen auch ein Umdenken und sollten wegkommen von der Furcht vor dem sogenannten Brain-Drain, also dass Leute weg gehen. Ich glaube, das richtigere Bild ist, dass wir uns als Drehscheibe sehen sollten. Natürlich gehen manche weg, andere kommen wieder zurück. Und natürlich wollen wir auch Leute aus dem Ausland. Es geht darum, wie wir sicherstellen können, dass von überall her die Klügsten zu uns kommen wollen und können.
Haben wir im Moment denn generell genug Top-Leute in der Wissenschaft in Österreich?
Das würde ich mit einem ganz klaren Ja beantworten. Da kann ich an jede Institution oder Universität in Österreich denken und mir fallen sofort Top-Leute ein. Was ich allerdings gerne noch besser entwickelt hätte, ist der Punkt der Zusammenarbeit. Wir sollten nicht nur unsere Ressourcen, sondern eine gemeinsame Vision teilen. Es gibt keinen Grund, warum sich Österreich nicht dauerhaft an der wissenschaftlichen Weltspitze etablieren kann. Es ist alles vorhanden, aber oft vielleicht noch zu fragmentiert. Es gibt Herausforderungen, die einzelne Institute eigentlich nicht alleine stemmen können, die man nur auf nationale, eigentlich auf europäischer Ebene bewältigen kann.
Sie widmen sich am ISTA der Grundlagenforschung. Haben Sie das Gefühl, dass diese den Menschen schwieriger zu vermitteln ist, als Forschung, die sozusagen sofort in etwas “Handfestes”, etwa einem konkreten Produkt, mündet?
Diese Frage ist natürlich eine wichtige, und auch eine regelmäßige. Aber eigentlich würde ich von dieser Frage gerne wegkommen. Diese generelle Unterscheidung in Grundlagenforschung und angewandter Forschung finde ich eigentlich nicht hilfreich. Ich kann nachvollziehen, woher das kommt, es ist auch ein selbst verursachtes Problem, aber es ist eine künstliche Trennung, die es in der Wissenschaft ursprünglich so gar nicht gegeben hat. Wir erzeugen dadurch Barrieren in der Diskussion und verwirren auch die Gesellschaft. Ich denke, in jedem Institut können die beiden Dinge koexistieren - auch wir haben hier Beispiele dafür. Was wir hier versuchen, ist ein Ökosystem aufzubauen, wo es diese Frage gar nicht gibt. Natürlich, wenn man ein Produkt entwickeln will, dann bringt das andere Herausforderungen mit sich als nur reine neugiergetriebene Forschung. Aber wenn wir beides im Kopf behalten, kann man beides koexistieren und sich gegenseitig befruchten lassen.
Wie relevant ist es, dass die breite Bevölkerung mitbekommt, was in der Wissenschaft passiert? Braucht Forschung grundsätzlich mehr Öffentlichkeit?
Ich finde das absolut notwendig. Ich denke, es ist wichtig, dass eine Gesellschaft den Wert von Wissenschaft wirklich versteht und versteht, dass Wissenschaft die treibende Kraft von Innovation ist, eine Möglichkeit, sich als Land zu positionieren. Es ist wichtig zu verstehen, dass, wenn man sich von der Wissenschaft zurückzieht, man auch an gewissen Entwicklungen nicht teilnimmt, nicht mitgestalten kann. Eine Gesellschaft, die der Wissenschaft gegenüber feindlich eingestellt ist, wird auch der Ausbildung von jungen Leuten nicht den nötigen Stellenwert geben. Das sind die Leute, die dann eben später womöglich in die Wissenschaft gehen und die unsere Gesellschaft weiterentwickeln könnten. Um als Land auf einer globalen Ebene wettbewerbsfähig zu sein, muss die Bevölkerung auch wirklich hinter der Forschung stehen. Gerade für uns als kleines Land ist es extrem wichtig, dass wir uns da positionieren.

Der Campus in Klosterneuburg
© EY17 / ISTA
Zahlen zum ISTA
- Aktuell arbeiten 1.200 Mitarbeitende aus 80 verschiedenen Nationen am ISTA in Klosterneuburg
- Mit Anfang 2025 forschen an die 90 Forschungsgruppen in den Bereichen Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Neurowissenschaften, Biologie sowie Erdwissenschaften und Astrophysik
- Bis 2036 will man am ISTA 150 Professoren und Professorinnen plus entsprechende Forschungsgruppen beschäftigen
- Positionen am ISTA sind nach Angaben des Instituts begehrt: Für 8 im Jahr 2022 erfolgreich besetzte Professuren hatten sich 1.229 Personen beworben
Global und wahrscheinlich auch bald national sind Politiker und Politikerinnen in Regierungen zu finden, die sich gegenüber der Wissenschaft eher skeptisch, wenn nicht feindlich zeigen. Welche Entwicklungen erwarten Sie sich für die kommenden Jahre?
Also im Grunde bin ich immer Optimist. Wenn ich zum Beispiel sehe, was da an jungen Leuten hereinkommt, mit welcher Leidenschaft sie auch die großen Probleme unserer Zukunft lösen wollen - ich bin da sehr optimistisch. Es gibt immer wieder politische Veränderungen. Was man aber nicht vergessen darf: Es gibt z. B. in den USA Bereiche der Gesellschaft, in denen nicht einmal grundlegende Evolutionstheorie gelehrt wird, es gibt extrem wissenschaftsfeindliche Strömungen - und trotzdem sind die USA noch immer in vielen Bereichen der treibende Innovationsmotor. Hier braucht die Wissenschaft Resilienz: Zentral für erfolgreiche Spitzenforschung ist internationale Zusammenarbeit und eine ehrliche Offenheit für Talente aus aller Welt. Für mich in meiner Rolle für so ein Institut ist es wichtig, immer wieder klarzustellen, wie wichtig Forschung und Innovation für ein Land sind, um es national und international zu einem Erfolg zu machen. Langfristige Investitionen in Wissenschaft und Forschung sind auch der Motor für eine gesunde Demokratie und Gesellschaft.
Wie kann man verhindern, dass Menschen wissenschaftliche Fakten mit pseudowissenschaftlichen Inhalten und “alternativen Fakten” gleichsetzen, wie wir es aktuell immer stärker sehen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Ich sehe es als extrem wichtig an - für mich in der Rolle als Präsident - aber auch für jede und jeden einzelnen Forschenden hier Wissenschaft der Bevölkerung so mitteilen zu können, damit alle verstehen, was der Wert ist. Und dass das auch eine vertrauensbildende Maßnahme ist. Wir wollen letztlich ein Partner in der Diskussion sein, wo die Leute auch wissen: Alles, was aus diesem Bereich kommt, ist auch wirklich fundiert.
Wie kann man Wissenschaft per se also besser “erklären”?
Wir müssen auch klar artikulieren, wo die Grenzen sind. Das, was der Wissenschaft oft vorgeworfen wird, ist ja genau ihre Stärke. Oft wird es so wahrgenommen, dass wenn 2 Experten sich im Fernsehen widersprechen, die Wissenschaft “keine Ahnung habe”. Aber es ist ja genau, wie Wissenschaft funktioniert: Es ist ein Diskurs, der seit Jahrhunderten erprobt ist und uns letztlich der Wahrheit wirklich näher bringt. Das ist so wichtig, zu kommunizieren. Auch der Wert wissenschaftlicher Entdeckung und was uns das als Gesellschaft bringt, muss immer und immer wieder kommuniziert werden.
Kommen wir noch etwas konkreter zum Thema KI. Gibt es bestimmte Bereiche in der Wissenschaft, wo Künstliche Intelligenz in Zukunft eine besonders wichtige Rolle spielen wird, oder werden wir das einfach überall sehen?
Ich glaube, das wird ziemlich flächendeckend. Ich kann mir wirklich keinen Wissenschaftsbereich vorstellen, der von KI nicht berührt wird. Schon jetzt gibt es viele Bereiche, wo man ohne KI gar nicht mehr auskommt. Etwa alles, wo es um große Datensammlungen geht. Da hat KI einfach Fähigkeiten, die unsere menschlichen weit übersteigen. Vieles, wofür wir als Menschen früher über Jahre hinweg arbeiten mussten, kann jetzt oft innerhalb von Stunden, vielleicht sogar Minuten erledigt werden. Es ist also auch eine wunderbare Beschleunigung von Wissenschaft. Daneben gibt es natürlich menschliches Potenzial und menschliche Kreativität für komplexere Probleme, wo KI entweder nie oder noch lange nicht sein wird.
Gibt es rund um Künstliche Intelligenz an manchen Stellen auch zu viel Hype?
Ich würde es so sagen, dass mit dem Aufkommen einer neuen Technologie, der kurzfristige Impact immer auch überschätzt wird. Oft haben wir dann auch sofort das Gefühl, wir werden von etwas kontrolliert - hier ist der Begriff “Künstliche Intelligenz” vielleicht auch nicht ganz passend und nicht hilfreich. Da kann man sehr viel reinpacken, in dieses “Mensch gegen Maschine”. In der Diskussion glaub’ ich, dass auch sehr viel Hype dabei ist. Natürlich gibt es Risiken, aber letztlich glaube ich, dass wir hier wirklich ein wesentliches Tool haben, in vielen Bereichen ein echter Gamechanger.
Abschließende Frage: Gibt es einen bestimmten Forschungsbereich, in dem Sie in näherer Zukunft einen besonderen Durchbruch erwarten, eine Entwicklung, wo Sie sagen würden, Sie freuen sich besonders darauf, weil sich gerade etwas Entscheidendes tut?
Man hat natürlich immer so seine eigenen Bereiche, die man dann besonders schätzt. Das sind bei mir die Mikrobiologie und die Neurowissenschaften. Da passieren gerade extrem spannende Dinge - etwa, wie das Gehirn genau funktioniert, wieso und wie wir gesund bleiben. Aber eigentlich ist es wirklich schwierig für mich einzuordnen, weil ich zum Beispiel genauso fasziniert bin über die Leute, die sich mit ganz neuen Materialien und ihren Eigenschaften beschäftigen, oder die total verwirrende Quantenwelt. Aber die Antwort, die ich eigentlich am liebsten gebe, ist, dass es eben das Schöne ist, dass wir hier ein Umfeld zu schaffen versuchen, wo sich Leute frei zwischen den Disziplinen bewegen können. Da geschehen oft die total unerwarteten Entdeckungen. Also, wenn ich mich wirklich auf etwas freuen würde für 2025 oder 2026, dann ist es, wenn etwas total unerwartet passiert.
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