Schwimmender Berg als Stromspeicher
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
An schönen Sonnentagen wird so viel Solarstrom erzeugt, dass man ihn zeitweise gar nicht vollständig verbrauchen kann. Dabei könnte man Überschüsse gut gebrauchen - nämlich dann, wenn die Sonne nicht scheint. Die Frage, wie man den Strom bis dahin speichert, ist nicht leicht zu beantworten. Akkus sind teuer und man bräuchte große Mengen davon, um Überschüsse im Gigawatt-Bereich zwischenzulagern. Pumpspeicherkraftwerke sind für große Strommengen ausgelegt, man benötigt jedoch deutliche Höhenunterschiede dafür. Die gibt es nicht überall. Andere Möglichkeiten, etwa Kondensatoren, Schwungräder oder Druckluft, haben ebenfalls gewisse Einschränkungen. Der deutsche Physiker Eduard Heindl hat ein Konzept entwickelt, das eine Lösung für das Problem sein könnte.
Felsen ausschneiden
Es nennt sich Lageenergiespeicher. Der schlichte Name wird den gigantischen Dimensionen der Idee nicht ganz gerecht. Heindl plant, grob gesagt, aus einem Felsen einen Zylinder mit 250 Meter Durchmesser und einer Tiefe von 300 Meter auszuschneiden. Mit überschüssigem Solarstrom werden dann Pumpen betrieben, die Wasser unter den Zylinder drücken. Der gesamte Felszylinder hebt sich dadurch bis zu 100 Meter in die Höhe. Unter dem solcherart schwimmenden Berg mit einer Masse von rund 255 Millionen Tonnen beträgt der Wasserdruck dann 70 bar. Ist der Zylinder voll ausgefahren, kann das Konstrukt eine Energiemenge von acht Gigawattstunden speichern - in Form von Lageenergie, daher der Name.
"Die Idee ist mir 2010 gekommen, als ich an einem ganz anderen Projekt gearbeitet habe", erzählt Heindl der futurezone. Als erste Berechnungen ergaben, dass man mit der Methode "unglaublich große Energiemengen" speichern könne, ließ sich der Wissenschaftler der Hochschule Furtwangen dies von Kollegen bestätigen.
Granit wäre ideal
In weiterer Folge wurden mehrere Studien durchgeführt, um die Machbarkeit des Lageenergiespeichers zu überprüfen. "Wir ließen etwa weltweit über 100 Bohrkerne von Bergbauunternehmen untersuchen, um herauszufinden, mit welcher Art von Gestein die Idee machbar wäre." Der Fels, den es auszuschneiden gilt, sollte nämlich möglichst einheitlich und dicht sein. "40 Prozent des Gesteins wäre für den Speicher geeignet, drei Prozent wäre perfekt." Granitfelsen in möglichst "störungsarmen" Gebieten, mit wenig tektonischer Aktivität, wären ideal. In Österreich würde sich etwa das Granit- und Gneishochland nördlich der Donau anbieten, meint Heindl.
Vorteilhaft wäre die Lage in der Nähe eines Gewässers. Unter einem voll ausgefahrenen 250 breiten Felsen würden sich knapp sechs Millionen Kubikmeter bzw. sechs Milliarden Liter Wasser befinden. Das entspricht der Wassermenge von rund 2400 olympischen Schwimmbecken mit 50 Meter Länge. Laut Heindl wird das Wasser am besten in einem Auffangbecken zwischengespeichert, sodass im laufenden Betrieb kein zusätzliches Wasser bezogen werden muss.
Im Steinbruch unsichtbar
Für einen Lageenergiespeicher mit einem Durchmesser von 250 Meter müsste man laut Heindl mit einer Bauzeit von drei Jahren und einem dreistelligen Millionenbetrag an Baukosten rechnen. "Ein Energieversorger kann sich so etwas auf jeden Fall leisten", meint Heindl. "Für ein Kraftwerk, einen Staudamm oder einen Pumpspeicher sind Milliardenbeträge notwendig."
In puncto Umweltverträglichkeit ist Heindl ebenfalls optimistisch. "Wir haben ein Gutachten machen lassen. Bei der 250-Meter-Version passiert relativ wenig." Den richtigen Standort vorausgesetzt, gebe es nicht einmal eine optische Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. "Es gibt genug aufgelassene Steinbrüche. Wenn ein Zylinder darin aufsteigt, sieht man das von Außen nicht einmal." Bei der Gestaltung der Zylinderoberfläche gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man könnte sie etwa begrünen oder mit Solarzellen überziehen.
Dichtung
Maßgeblich für das Funktionieren eines Lageenergiespeichers ist die Dichtung rund um den Felszylinder. Die Lösung dafür ist eine rollende Membran, die sich über die mit Stahlbeton verkleidete Außenseite des Felszylinders stülpt. Als Material dafür bietet sich ein mit Stahl und Aramidfasern verstärktes Gummigemisch an, wie es etwa für Förderbänder im Bergbau verwendet wird. Tests bestätigten, dass diese Membran einen Wasserdruck bis zu 200 bar aushält. "Sollte es eine Fehlfunktion geben, tritt im schlimmsten Fall das ganze Wasser aus und fließt in das Auffangbecken", erklärt Heindl. Tsunamiartige Dammbrüche seien jedenfalls nicht die Folge.
Schwieriger erster Schritt
Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht sei ein Lageenergiespeicher machbar. Berechnungen und Gutachten zeigen, dass sich der Bau eines solchen Speichers relativ schnell rentieren würde und die Kosten im Vergleich zu anderen Energiespeicherformen sehr gering seien. Heindl hat deswegen eine eigene Firma namens Gravity Storage gegründet, um das Konzept zu vermarkten.
"Das Interesse ist groß", meint der Physiker. "Aber keiner will den ersten Schritt machen." Das Fehlen eines Referenzbeispiels für einen funktionierenden, großen Lageenergiespeicher schreckt die meisten Interessenten ab. In Saudiarabien sei man knapp vor der tatsächlichen Realisierung eines Pilotprojekts gescheitert. "Wir haben das schon sehr weit vorangetrieben und hatten die Unterstützung des saudischen Energieministers. Der wollte die Solarenergie im Land massiv ausbauen, wurde dann aber vom König gefeuert."
Kommentare