Symbolbild: Seidenraupen und Kokon

Symbolbild: Seidenraupen und Kokon

© REUTERS / JIHED ABIDELLAOUI

Biotechnologie

Genmanipulierte Raupen produzieren Seide, die fester als Kevlar ist

Seide ist den meisten Menschen als weicher, glänzender Stoff für Kleidung bekannt. Das Material ist aber auch ziemlich fest, es hält also hohe mechanische Belastungen aus, bis es reißt. Produziert wird es durch Seidenraupen. Damit sie zu Schmetterlingen werden können, bauen sie sich mithilfe von Drüsen an ihrem Mund einen Kokon. Sind sie damit umhüllt, werden sie im Normalfall getötet. Dann wird der Kokon zerlegt, um an die Seidenfäden zu gelangen. Diesen Prozess beherrscht die Menschheit seit Jahrhunderten gut. Seidenraupen sind friedliche Tiere, die man gut züchten kann.

Spinnfäden von Spinnen andererseits können noch fester und zäher sein, also viel mechanische Energie aufnehmen, bevor sich Risse bilden. Ihre Eigenschaften werden intensiv erforscht, weil sie selbst die von sehr robusten synthetischen Fasern – etwa Kevlar, das für schusssichere Westen verwendet wird – übertreffen. Die Zucht von Spinnen ist aber schwierig. Im Gegensatz zu Raupen kann man Spinnen nicht in einer Behausung versammeln, ohne dass sie einander umbringen.

Das Beste von beiden

Ein chinesisches Forscher*innenteam unter der Leitung der Donghua Universität in Shanghai hat es nun geschafft, Fasern durch Seidenraupen herstellen zu lassen, die so robust wie die Fäden in Spinnennetzen sind und eine sechsmal höhere Zähigkeit als Kevlar aufweisen. Mittels der Genmanipulationstechnik CRISPR wurde dem Erbgut von Spinnen der Art Araneus Ventricosus jener Teil entnommen, der die Informationen zum Aufbau der Proteine für die Spinnenseide enthält. Die Gene für den Aufbau des Seidenfadens in den Raupen wurden damit ersetzt.

➤ Mehr lesen: Wie funktioniert die Genschere CRISPR?

Araneus Ventricosus ist eine Spinnenart, die zur Familie der echten Radnetzspinnen gehört. Dazu zählt auch die Gattung der in Österreich verbreiteten Kreuzspinnen.

Dieses Schema aus der Studie soll zeigen, wie Spinnen-DNA in Seidenraupen verpflanzt wird

Dieses Schema aus der Studie soll zeigen, wie Spinnen-DNA in Seidenraupen verpflanzt wird

Rotes Leuchten in den Augen

Die Eier von Seidenraupen wurden mit dem neuen Erbgut in Tausenden mikroskopischen Injektionen behandelt. Irgendwann tauchte dann ein rotes Leuchten in den Augen der Raupen auf, die mit UV-Licht bestrahlt wurden – ein Zeichen, dass die Genmanipulation erfolgreich verlaufen war. „Ich habe zu tanzen begonnen und bin zu einem Kollegen gerannt, um ihm das Resultat mitzuteilen“, sagt Doktoratsstudent Junpeng Mi, der Teil des Forscherteams ist. Die Raupen produzieren nun Fäden, die von Branchenexperten als „Hochleistungsfasern“ bezeichnet werden.

Das Material könnte künftig auf vielfältige Weise genutzt werden. Junpeng Mi gibt folgendes Beispiel: „Man könnte es für das Nähen von Wunden verwenden und damit einen globalen Bedarf für mehr als 300 Millionen Operationen jährlich abdecken.“ Seide mit Spinneneinfluss könnte auch für militärische Zwecke (neuartige schusssichere Westen), in der Luftfahrt oder im Automobilbau eingesetzt werden.

Fakten

CRISPR
ist ein molekulares Werkzeug, das es ermöglicht, DNA (Erbinformationen) an bestimmten Stellen zu schneiden und zu verändern. Es wird in der Gentechnik eingesetzt, um Gene zu modifizieren, zu entfernen oder neu einzufügen.

6.600 Seidenraupen
werden laut der Umweltschutzorganisation PETA für 1 kg Seide getötet. Es gibt aber auch tierfreundlich produzierte Seide.

Kommerzialisierung im Visier

„Seide von Seidenraupen ist derzeit die einzige tierische Seidenfaser, die in großem Maßstab kommerzialisiert ist, mit gut etablierten Zuchttechniken. Wenn man genetisch modifizierte Seidenraupen einsetzt, um Spinnenseidenfasern zu produzieren, ermöglicht das als Konsequenz eine kostengünstige Kommerzialisierung in großem Maßstab“, zeigt sich Junpeng Mi überzeugt.

Bis zu einer Kommerzialisierung ist es aber noch ein weiter Weg. Zunächst müssten Raupen gezüchtet werden, die sich für eine Kultivierung in großem Stil eignen. Außerdem muss man erst beobachten, ob sich die Spinnengene im Erbgut halten können, oder über mehrere Generationen von Seidenraupen schrittweise wieder verschwinden. Die chinesischen Forscher*innen haben unterdessen Lust auf mehr. Sie überlegen bereits, wie sie Seidenraupen noch weiter manipulieren können, um noch festere und stärker dehnbare Spinnenseide herzustellen.

Ein Problem spricht die neue Entwicklung nicht an: Bei der Seidenproduktion werden massenhaft Raupen getötet, was von Tierschützer*innen scharf kritisiert wird. Eine Erleichterung für die Tiere bringt die Genmanipulation nicht.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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