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Wie ein österreichischer Physiker die Genetik revolutionierte

Vor 75 Jahren hielt der österreichische Physiker Erwin Schrödinger am Trinity College in Dublin (Irland) unter dem Titel "What is Life?" drei Vorträge, die ein Jahr später als Buch erschienen und Genetik und Molekularbiologie maßgeblich beeinflussten. Zum Jubiläum startet morgen, Mittwoch, am Trinity College eine hochkarätig besetzte Konferenz zum Thema "The Future of Biology".

Schrödinger (1887-1961) hatte 1926 mit der Wellenmechanik eine der beiden theoretischen Säulen der Quantentheorie geliefert und wurde dafür 1933 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. 1938 wurde er von den Nationalsozialisten aus Österreich vertrieben, ging zunächst nach Oxford und wechselte 1940 an das neu gegründete Institute for Advanced Studies in Dublin, wo er Direktor der School of Theoretical Physics wurde. Zu seinen Aufgaben zählte auch ein jährlicher öffentlicher Vortrag.

Leben ist Physik

Im Februar 1943 hielt er drei öffentliche Vorlesungen in einem Hörsaal des Trinity College, der heute seinen Namen trägt. Vor rund 400 Zuhörern setzte er sich vom Standpunkt des Physikers aus mit der Frage "Was ist Leben?" auseinander. Im Vorwort zu dem auf den Vorträgen basierenden Buch "What is Life?" entschuldigt er sich dafür, dass er sich als Physiker dem Thema Biologie widme, schließlich erwarte man von einem Mann der Wissenschaft, dass "er von einem Thema, das er nicht beherrscht, die Finger lässt". Im Sinne einer "universalen Betrachtungsweise" müssten sich aber "einige von uns an die Zusammenschau von Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise aus zweiter Hand stammt und unvollständig ist - und sie Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen".

Schrödinger machte sich mit seinem Buch alles andere als lächerlich, sondern versuchte, Leben aus den Gesetzen der Physik zu erklären. So beschäftigte er sich aus physikalischer Sicht mit der Stabilität von Genen, ein damals noch recht abstraktes Konstrukt. Er schätzte die Zahl der Atome, aus denen ein Gen aufgebaut sein müsste, und betrachtete dabei "ein Gen - oder vielleicht das ganze Chromosom - als einen aperiodischen festen Körper", also einer Struktur mit regelmäßigen Wiederholungen und informationstragenden Variationen.

Genetischer Code

Zudem schlug er die damals revolutionäre Idee eines genetischen Codes vor: "In diesen Chromosomen - oder wahrscheinlich nur in einer achsenförmigen Skelettfaser von dem, was sich uns unter dem Mikroskop als Chromosom darstellt - ist in einer Art Code das vollständige Muster der zukünftigen Entwicklung des Individuums und seines Funktionierens im Reifezustand enthalten. Jeder vollständige Chromosomensatz enthält den ganzen Code."

Auch der Thermodynamik widmet er viel Platz, nimmt doch nach deren Zweiten Hauptsatz in jedem physikalischen System, das sich selbst überlassen bleibt, die Entropie (was sich in etwa als Unordnung beschreiben lässt) zu - aus Ordnung wird Unordnung. Doch bei Lebewesen scheint das nicht der Fall zu sein. Ihnen gelingt es, bei der Vererbung mit Hilfe der Gene aus Ordnung wiederum Ordnung zu schaffen - und im Laufe der Evolution nimmt die Ordnung sogar zu, entstanden doch immer höhere Lebewesen. Auch dafür lieferte Schrödinger eine Erklärung: Organismen würden sich von "negativer Entropie" ernähren, es gelinge dem Organismus, "sich von der Entropie zu befreien, die er, solange er lebt, erzeugen muß", um sich dem Zerfall zu entziehen.

Enormer Einfluss

1944 kam Schrödingers Buch bei Cambridge University Press heraus und fiel auf fruchtbaren Boden. Der deutsche Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer schreibt in der Einführung zu einer deutschen Ausgabe des Buchs, dass der Physiker "in seinen Vorlesungen die richtigen Fragen formulierte und die Weichen stellte, die die Biologie auf ihren erfolgreichen Weg brachten." Es gibt aber auch Stimmen, wonach das Werk zu einer Revolution auf dem Gebiet der Genetik geführt habe bzw. die Geburtsstunde der modernen Genetik gewesen sei. Auch James Watson soll von der Lektüre des Buchs so begeistert gewesen sein, dass er nicht mehr Ornithologe werden, sondern unbedingt herausfinden wollte, was ein Gen ist. 1953 hatte er gemeinsam mit Francis Crick die Antwort gefunden: eine Doppelhelix aus DNS.

Für die Organisatoren der Jubiläums-Konferenz am Trinity College hatten Schrödingers Vorlesungen "einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Molekularbiologie". Sie wollen den Jahrestag mit "einer beispiellosen Zusammenkunft einiger der brillantesten Köpfe feiern, die heute in der Biologie arbeiten". Zu den Vortragenden der Konferenz "The Future of Biology" am Mittwoch und Donnerstag zählen Nobelpreisträger wie Bernard Feringa, Michael Rosbash, Susumu Tonegawa oder Ada Yonath, sowie prominente Wissenschafter wie Karl Deisseroth, Svante Pääbo oder Michael Gazzanig. Den Eröffnungsvortrag hält der US-Philosoph Daniel Dennett.

Auch das Wissenschaftsfestival "Be Open", das anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Wissenschaftsfonds FWF am Maria-Theresien-Platz in Wien veranstaltet wird, widmet sich zum 75. Jahrestag von Schrödingers Vorlesung der Frage "What is life?": Am Samstag den 8.9. diskutieren um 14:00 Experten wie der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, Jan-Michael Peters, oder die Moraltheologin Sigrid Müller von der Uni Wien über die Fortschritte in den Lebenswissenschaften, welche ethischen Fragen sich dadurch stellen und wie es mit der gesellschaftlichen Verantwortung aussieht.

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