Ein österreichisches Forschungsteam will mithilfe von Simulationen und Sensoren im Schnee das Lawinenfließen künftig besser verstehen

Ein österreichisches Forschungsteam will mithilfe von Simulationen und Sensoren im Schnee das Lawinenfließen künftig besser verstehen

© BFW/futurezone

Science

So lassen sich zerstörerische Lawinen vorhersagen

Der schwere Neuschnee kann am Hang nicht länger am Untergrund haften. Eine Schicht löst sich, zieht Masse mit und rollt schließlich mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometer auf das bewohnte Tal zu. Wie zerstörerisch sie sein wird, ist unklar.

Mit diesem Tempo erfasste auch die Lawine in Galtür 1999 rund 30 Häuser und Höfe. Fast 40 Menschen kamen dabei ums Leben. 

Seit diesem Katastrophenereignis hat sich in der Erforschung der Schneephysik, der komplexen Lawinenvorhersage und der Planung von Schutzbauten viel getan. Um den Lawinenschutz in Zukunft aber noch weiter zu optimieren, entwickelt die Wildbach- und Lawinenverbauung (WLV) und das Institut für Naturgefahren des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) im Rahmen des Forschungsprojekts AvaFrame einen „digitalen Werkzeugkoffer“.

Verlässlichere Aussagen

Der soll verlässlichere Aussagen darüber treffen, wie weit Lawinen reichen und welche zerstörerischen Ausmaße sie für Häuser und Dörfer annehmen können. Dafür wurden Lawinenmodelle der vergangenen 20 Jahre und diverse Daten wie Schneehöhe und andere Eigenschaften eingepflegt. 

Lawinenarten

Es wird zwischen Schneebrett-, Lockerschnee-, Gleitschnee-, Staub- und Nassschneelawinen unterschieden. Eine Staublawine kann bis zu 300 km/h schnell sein und einen ganzen Siedlungsraum beschädigen. Bei einer solchen Lawinenart werden die Warnstufen 4 und 5 auf einer fünfteiligen Skala ausgerufen.

In der Pandemie-Saison (Winter 2021/22) kamen in Österreich 18 Menschen wegen eines Lawinenunfalls ums Leben. 9 davon binnen 2 Tagen, wie das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit (ÖKAS) bewertet hat.

„Wir beschäftigen uns mit der Dynamik von Lawinen, also wie sie fließen, wie zerstörerisch sie sind und wie weit sie kommen. Primäres Ziel ist es, ein operationelles Werkzeug für die Gefahrenzonenplanung zu entwickeln“, sagt Jan-Thomas Fischer, Leiter des Instituts für Naturgefahren des BFW.  

Die Lawinenmodellierung soll dabei unterstützen, einen menschlichen Siedlungsraum vor Lawinen zu schützen. Bei der 3D-Simulation rollt der virtuelle Schnee das Tal hinunter und zeigt die Lawinenbewegung an. Die Ergebnisse können Ingenieur*innen in der Folge in die Planung von Wohnbauten einbeziehen.

Damm oder Schutzwald

„Die andere Anwendung ist die Maßnahmenplanung. Wir nutzen die digitalen Werkzeuge, um zu entscheiden, wie sinnvoll Lawinenverbauungen sind, wo ich etwa einen Damm hinbaue und wie groß der sein soll“, erklärt Fischer. Auch könne untersucht werden, wie gut ein Schutzwald als naturbasierte Lösung funktioniert.

„Wesentlich sind auch Fragen, wie sich ein Schutzwald in Zukunft entwickeln wird. Angesichts des Klimawandels bekommt er ein ganz neues Gewicht“, sagt er. 

Fischer (re.) mit Kollegen Felix Oesterle und Gebhard Walter

Daneben soll AvaFrame auch der Lawinenforschung zur Verfügung stehen und eine Grundlage für neues Wissen oder die akademische Ausbildung bilden. Das neue Tool ist zudem für alle Nutzer*innen frei zugänglich und anpassbar. „Die Berge und das Schneeklima in der Arktis sehen ganz anders aus als etwa in Japan. Bei uns gibt es Unterschiede zwischen hochalpinen Lagen und jenen im Alpenvorland“, sagt Fischer der futurezone.

Klima und Schnee unterscheiden sich deutlich – letzterer habe etwa eine andere Konsistenz und andere Eigenschaften. „Selbst eine Lawine in Vorarlberg oder Richtung Wien ist anderen klimatischen Bedingungen ausgesetzt als am Großvenediger. Das beeinflusst das Lawinenfließen“, fügt der Fachmann hinzu. Die Modelle von AvaFrame seien auf solche lokalen Begebenheiten und Temperaturen adaptierbar.

Simulation zeigt zerstörerisches Ausmaß einer Schneelawine

Sensoren im Schnee

AvaFrame ist grundsätzlich für sehr bis zu extrem große Lawinen ausgelegt, die für Häuser und Dörfer eine Gefahr darstellen. Das Tool soll künftig aber auch auf kleinere Lawinen angewandt werden und somit einen Mehrwert für andere Anwendungen als die Gefahrenzonenplanung bieten. So könnten neben ausgewiesenen Fachleuten und Ingenieur*innen auch Privatpersonen von der Innovation profitieren. Unter anderen könnten sich zum Beispiel Karten für Skitourengeher*innen erstellen lassen, um auszuweisen, wo Lawinengelände ist. 

Zusätzlich zum digitalen Werkzeugkoffer wurde das Projekt AvaRange gestartet, im Rahmen dessen das Team anhand von Sensoren ins Innere von Lawinen schauen kann. „Auch dieses Projekt könnte die Modelle und Simulationswerkzeuge verwenden, um etwa Verschüttungsorte besser vorherzusagen“, sagt Fischer. Die Sensoren messen dabei am Feld, wie die Lawinenbewegung vonstattengeht. „So lässt sich auch überprüfen, wie gut unsere Modelle sind und wie sie weiterentwickelt werden können“. 

Zusätzlich ließe sich untersuchen, welchen Einfluss ein Körper auf die Lawinenbewegung hat und welche Rolle dessen Größe und Form spielt. Diese Daten könne man laut dem Forscher einerseits mit Simulationen und andererseits im experimentellen Feld vergleichen. 

Warum es Wissenschaftern schwerfällt, Erdbeben vorherzusagen

Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO die „schlimmste Naturkatastrophe in der WHO-Region Europa seit einem Jahrhundert“. Aktuell sind mehr als 35.000 Menschen dabei ums Leben gekommen. 

Zwar haben wissenschaftliche und technologische Fortschritte in den vergangenen Jahren für verbesserte Prognosen bestimmter Naturkatastrophen wie etwa Hurrikane geführt, Erdbeben hingegen lassen sich nach wie vor schwer vorab erkennen. Denn dafür muss der Ort, die Stärke und der Zeitpunkt des Bebens bekannt sein. An letzterem hapert’s: Erdbeben passieren plötzlich.

Weit davon entfernt

Laut dem Geophysikprofessor Shimon Wdowinski von der Florida International University sei die Erdbeben-Mechanik generell komplex. Zahlreiche unbekannte Parameter können nach wie vor nicht gemessen werden. Dazu zähle etwa das Stressniveau in der Tiefe des Hypozentrums von etwa 15 Kilometern. 

„Trotz der enormen Fortschritte in der Erdbebenwissenschaft sind wir noch weit davon entfernt, alle Parameter und Variablen zu messen, die für eine Erdbebenvorhersage benötigt werden“, sagt der Forscher in einer Aussendung.

Im Untergrund

Ihm zufolge könnte die Erdbebenvorhersage mit fortschrittlicheren Technologien und stärkeren Rechenkapazitäten einmal praktikabler werden. In ferner Zukunft sei es eventuell möglich, Erdbeben mit einer ähnlichen Genauigkeit vorherzusagen wie etwa Hurrikane, auch wenn ein Vergleich schwierig ist.

„Hurrikane treten in der Atmosphäre auf, wo viele Sensoren eingesetzt werden und über mehrere Tage die atmosphärischen Bedingungen messen können“, sagt er. Die meisten großen Erdbeben hingegen ereignen sich im Untergrund in Tiefen von 10 bis 50 Kilometern, wo detaillierte Beobachtungen dauerhaft schwierig seien.  

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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