Wie ein Wiener Start-up Spritzen durch Tabletten ersetzen will
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Spritzen lösen bei vielen Menschen Unbehagen aus. Weil viele pharmazeutische Wirkstoffe beim Schlucken durch Magensäure zersetzt oder vom Körper nur schlecht aufgenommen werden, sind Injektionen aber in vielen Fällen notwendig. Das Wiener Start-up NovoArc arbeitet an einer Technologie, die es ermöglichen soll, dass Impfstoffe und andere Pharmazeutika auch dann wirken, wenn sie in Tablettenform verabreicht werden.
Dazu werden die Arzneimittel in eine spezielle Schutzschicht gehüllt, in der sie unbeschadet durch die Magensäure geschleust werden, um danach am Darm anzudocken. "Sie bleiben an der Darmschleimwand kleben und geben dort langsam den Wirkstoff ab, wodurch dieser vom Körper besser aufgenommen wird", sagt David Wurm, der das Start-up gemeinsam mit Julian Quehenberger und dem TU-Professor Oliver Spadiut gegründet hat.
Bestandteile aus widerstandsfähigem Mikroorgranismus
Die Bauteile für die Schutzhülle stammen aus einem besonders widerstandsfähigen Mikroorganismus, an dem das Team seit Jahren forscht. Seine Zellmembran wird von speziellen Lipiden stabilisiert, die es ihm ermöglichen unter widrigsten Umständen zu überleben. Diese Lipide werden von dem Start-up aus dem Mikroorganismus herausgelöst und als Basis für die spezielle Schutzschicht verwendet.
Die Gründer entwickelten an der TU Wien ein neuartiges Verfahren, das es ermöglicht, den Mikroorganismus unter kontrollierten Bedingungen im großen Maßstab anzuzüchten. Ein Patent auf diesen Prozess wurde eingereicht.
Bessere Lagerung, weniger Nebenwirkungen
Die Schutzhülle bietet noch weitere Vorteile. Durch die Lipide würden pharmazeutische Wirkstoffe auch bei der Lagerung stabilisiert, sagt Wurm. Impfstoffe müssten dann nicht mehr bei Minus 80 Grad gelagert werden, das könnte bei Raumtemperatur geschehen.
Auch Nebenwirkungen, etwa bei Antibiotika, würden durch die Schutzhülle verringert, da die Medikamente durch die verbesserte Aufnahme im Körper nicht überdosiert werden müssen.
Von Insulin bis zu mRNA-Impfstoffen
Funktionieren würde die spezielle Schutzhülle bei circa 20 Prozent der derzeit verfügbaren pharmazeutischen Wirkstoffen, sagt Wurm. Von Antibiotika über Insulin bis zu mRNA-Impfstoffen. Nicht hingegen bei Antikörpern. "Die sind zu groß dafür."
Kann also bald die Insulinspritze durch eine Pille ersetzt werden? "Insulin ist der heilige Gral", meint Wurm. Die Wirkstoffe müssten in der richtigen Menge zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein: "Wir starten mit Impfungen, bei denen die Verfügbarkeit im Körper nicht ganz so zeitkritisch ist."
Modellstudien
In-vivo-Tests mit den Lipiden wurden bereits erfolgreich absolviert. Derzeit arbeitet das Start-up an Modellstudien für seine Schutzhülle bei mRNA-Impfstoffen und Antibiotika. Auch bei Pharmafirmen sind die Lipide des Start-ups bereits im Einsatz. Präklinische Tests von Wirkstoffen, die mit den speziellen Schutzhüllen versehen wurden, werden von den Unternehmen bereits durchgeführt.
Die Zulassungsverfahren brauchen jedoch ihre Zeit. "Wir rechnen damit, dass in den nächsten Jahren ein Produkt mit unserer Schutzhülle in der Apotheke steht", sagt Wurm. Eine Corona-Schluckimpfung sei aber noch einige Jahre entfernt.
Die Corona-Pandemie habe das Interesse an innovativen Lösungen gesteigert, erzählt Wurm. Sein Start-up arbeitet auch daran, mRNA-Impfstoffe durch die Lipide effizienter zu machen. Bei ersten Versuchen konnte die Wirksamkeit laut dem Gründer um das 90-fache gesteigert werden.
Erste Investoren an Bord
Gegründet wurde das Spin-off der TU Wien im vergangenen Oktober. Seit Dezember hat man erste Investoren an Bord. Auch Förderungen, unter anderem von der Förderbank Austria Wirtschaftsservice (aws) und der FFG, sowie Einnahmen aus Projekten tragen zur Finanzierung bei.
2025 will NovoArc so weit sein, dass eine eigene Produktionsanlage für die Lipide in Betrieb genommen werden kann. "Bis dahin sind wir ausfinanziert", sagt der Gründer.
Forschung an weiteren Darreichungsformen
Das Start-up will aber auch an weiteren Anwendungsformen der Technologie forschen. Spannend wäre es, Wirkstoffe nasal, etwa über ein Nasenspray, einsetzen zu können, sagt Wurm.
Denkbar sei auch die Lipide dazu zu nutzen, um Wirkstoffe dermal, also über die Haut, zu verabreichen, etwa bei der Behandlung von Psoriasis oder Verbrennungen. Die Lipide hätten dabei auch den Vorteil, dass sie den Wirkstoff bei der Lagerung besser schützen und so die Haltbarkeit von Salben und Cremen erhöhen können.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und Austria Wirtschaftsservice (aws).
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